Vorder- und Achtersegel gesetzt und damit unsere Geschwindigkeit, aber nicht unsere Behaglichkeit vergrößert. Schlafen konnte ich nicht, denn ich musste immer an die schauderhafte Lage der armen Ponys denken, und so schleppte sich die Nacht endlos hin. Während der Morgenwache nahmen Wind und Seegang noch zu und um 6 wurde wieder Eis vor uns gesichtet. Unter gewöhnlichen Umständen wäre nichts sicherer gewesen, als schnell ostwärts zu steuern, aber uns musste alles daran liegen, der Ponys wegen glatteres Wasser zu erreichen – also vorwärts durch den Eisstrom, über dem Wasser stark brandete! Bei so hohem Seegang zwischen losem Eis zu fahren, war überaus gefährlich; aber bald kamen wir an ein kompakteres Eisfeld, und als wir es glücklich hinter uns hatten, fanden wir zu unserer Überraschung verhältnismäßig glatte See.
So weit war alles gut. Der Gefahr waren wir entronnen, aber nun erhob sich die Frage: Was wird länger dauern: der Sturm oder unser zeitweiliges Obdach, das uns zu dauerndem unnützen Kohlenverbrauch zwang?
Im Laufe des Tages wurde unsere Zuflucht unsicherer. Aus Süden und Westen kamen Anzeichen von Packeis, und um 8 Uhr abends mussten wir westwärts dampfen, um anderswo Schutz zu suchen, in dem böigen Wind ein bedenkliches Unternehmen. Aber jetzt nahm der Wind von Minute zu Minute ab und legte sich schließlich ganz, und als sich um 10 Uhr die Wolken im Westen verzogen hatten, bot sich uns ein zwar ferner, aber herrlicher Anblick: Alle Berge des Südviktorialandes lagen im prächtigsten Sonnenschein! Mount Sabine und Mount Whewell traten am deutlichsten hervor, Letzterer von hier aus als ein schönes, scharfes Horn, eine ebenso auffallende Landmarke wie Mount Sabine, der 204 Kilometer entfernt war, als wir ihn sahen; aber die Luft war so klar, dass er auch in 270 Kilometer Entfernung ebenso gut sichtbar gewesen wäre.
Der Sturm scheint nun endlich vorüber und das neue Jahr uns holder zu sein als das alte. Dann schreibe ich mit Vergnügen: Finis 1910!
Sonntag, 1. Januar 1911. 73° 5’ südlicher Breite, 174° 11’ östlicher Länge. Um 4 Uhr morgens dampften wir langsam nach Südwesten, und um 8 waren wir aus dem Eis heraus und steuerten unter Fock- und Achtersegel südwärts. Um diese Zeit klärte sich der Himmel auf und wir hatten den ganzen Tag über strahlenden Sonnenschein; noch jetzt, um 11 Uhr abends, sonnen sich die Leute bei gänzlicher Windstille und sitzen lesend auf Deck. Das Land ist völlig klar: Die Coulmaninsel ist 140 Kilometer im Westen sichtbar.
Die Dünung hat nachgelassen, aber nicht so schnell, wie ich erwartete. Doch sollen die Ponys sich gut gehalten haben, wie Oates meldet.
Montag, 2. Januar. Eine herrliche Nacht! Und ein herrlicher Vormittag! Die Sonne schien fast unausgesetzt und einige von uns zogen Eimer voll Seewasser herauf, um auf Deck ein Bad mit Salzwasserseife zu nehmen. Das Wasser war natürlich eiskalt, aber sich hinterher von der Sonne trocknen zu lassen, war ein Genuss. Seit wir den Südpolarkreis überschritten haben, ist die Gewohnheit, auf Deck zu baden, eingeschlafen; nur Bowers ist ihr bei jedem Wetter treu geblieben.
Abends 8 Uhr 30 sichteten wir den Mount Erebus in etwa 210 Kilometer Entfernung. Der Himmel ist mit leichten Haufenwolken bedeckt und der Wind weht aus Osten mit Stärke 2 bis 3. Da alle Segel gesetzt sind, kommen wir tüchtig vorwärts.
Dienstag, 3. Januar. Meine nächste Hoffnung ist bereits zuschanden geworden: Kap Crozier mit all seinen Anziehungspunkten bleibt uns versagt!
Schon am Morgen, als wir bei schönstem Wetter nur 45 Kilometer vom Kap entfernt waren und das Land immer deutlicher vor uns aufstieg, während der Erebus sich hinter Wolken verbarg, ahnte ich nichts Gutes: Wind und Dünung hatten zwar auf das fahrende Schiff wenig Einfluss, versprachen aber für die Landung die größten Schwierigkeiten. Bald nach Mittag kamen wir 9 Kilometer östlich von Kap Crozier an die Eisbarriere heran, die sich von dieser Ecke der Ross-Insel aus weithin nach Osten bis König-Eduard-Land erstreckt. Sie war nicht höher als 18 Meter und vom »Krähennest« aus gut zu überblicken; nach dem Rand zu senkte sich ein wenigstens 2 Kilometer langer sanfter Abhang, und dahinter war deutlich erkennbar, wie das Land der Schwarzen (oder Weißen?) Insel die ungeheuren Reihen der Presseisrücken überragte. Seit den Tagen der »Discovery« hatte sich hier nichts verändert; wir sahen unsere alte Posthausstange noch so gerade stehen, wie wir sie vor acht Jahren eingerammt hatten, und haben alles mit unseren alten Fotografien verglichen: Nichts ist anders geworden, was bei dem Barrierenrand sehr überraschend ist. Wilson meinte sogar, dass die Barriere noch an derselben Stelle mit den Klippen des Kaps zusammenstoße, und er zeichnete dieses Stück des Barriererandes, von da, wo wir herangekommen waren, bis zu den Crozierfelsen. 4 oder 5 Kilometer vor den Felsen macht die Barriere eine scharfe Wendung rückwärts, etwa einen Kilometer weit, dann läuft sie mit ziemlich regelmäßiger Oberfläche weiter nach Westen, bis sie einige Hundert Meter vor den Klippen aufhört. Den Zwischenraum zwischen Barriere und Felsen nimmt ein besonders hoher Presseisrücken ein; doch waren die Anzeichen der Pressung am Rand weniger stark ausgeprägt, als ich erwartet hatte.
Inzwischen war eins der Walfischboote ins Wasser gelassen worden, und Wilson, Griffith Taylor, Priestley, Evans und ich ruderten an Land. Die Achterwache, Oates, Atkinson und Cherry-Garrard, wollte es sich nicht nehmen lassen, die Riemen selbst zu führen; so konnte die Mannschaft an Deck bleiben und Cherry-Garrard fing bei dieser Gelegenheit einige Taschenkrebse.
Ich wollte die Möglichkeit einer Landung prüfen; vor allem hoffte ich festzustellen, ob zwischen dem Presseisrücken und den Felsen, auf dem Weg, den einst Royds zum Brutplatz der Kaiserpinguine hinuntergestiegen war, durchzukommen sei. Aber als wir uns der Ecke näherten, stellte sich heraus, dass sich eine große schmutzige Scholle Meereis zwischen Barriere und Felsen eingeklemmt und so stark aufwärts gekrümmt hatte, dass sie über einen Meter hoch über dem Wasser stand. Dabei brandete die Dünung so heftig zwischen den treibenden Eisblöcken längs des wirklichen Strandes und seines Eisfußes, dass von Landen gar keine Rede sein konnte; es wäre nur unser Boot zerschellt und wir alle wären miteinander ins Wasser gefallen.
Ich litt Tantalusqualen – nicht nur wegen der Unmöglichkeit der Landung überhaupt. Gerade auf diesem Stück alten Buchteises, etwa 2 Meter über uns, war ein lebendiges Pinguinküken trostlos gestrandet und dicht neben ihm schlief eines der getreuen Pinguineltern. Das Küken aber war in einem Alter und einem Entwicklungsstadium, in dem noch keiner von uns den Kaiserpinguin gefangen oder untersucht hatte: Es war im Begriff, seine Daunen zu verlieren, die Flügelstummel waren bereits ganz daunenfrei und genauso gefiedert wie die der ausgewachsenen Vögel; teilweise hatten auch schon der Kopf und, wie bei der gewöhnlichen Mauserung, ein senkrecht die Brust hinunterlaufender Streifen die Daunen abgeworfen. Es wäre also ein Triumph gewesen, dieses Küken dingfest zu machen, aber wir konnten nicht heran und ich durfte seinetwegen nicht unser aller Leben aufs Spiel setzen. So musste es denn bleiben, wo es war, da oben auf der einen Quadratmeter großen Eisscholle, dem verlassenen Überbleibsel einer blühenden Pinguinkolonie, die vor etwa Monatsfrist auf dem schwimmenden Buchteis nordwärts in See gegangen war. Rings war so viel blitzsauberes Eis, wie sie sich nur wünschen konnten – aber diese beiden Zurückgebliebenen hatten geduldig auf ihrer schmutzigen Scholle, die jetzt über dem Wasserspiegel emporgepresst war, gewartet und sich wohl alle Tage gewundert, dass sie sich nicht endlich auch der allgemeinen Auswanderung anschließen sollten. Der Vorfall war in jeder Beziehung interessant und führte auf allerlei Mutmaßungen über die langsame Gehirnarbeit dieses merkwürdigen Völkchens.
Aus der unteren Seite dieser etwa einen halben Meter dicken Scholle hingen Beine und untere Körperhälften toter Kaiserpinguinküken heraus, an einer Stelle auch Kadaver eines ausgewachsenen Pinguins. Diese traurigen Reste früheren friedlichen Lebens dort oben waren augenscheinlich auf der Oberfläche des Eisfeldes eingefroren und wurden jetzt von unten allmählich wieder herausgespült. So bot diese alte, schmutzige, eingeklemmte Scholle des abgetriebenen Buchteises einen förmlichen Abriss der Lebensgeschichte dieser seltsam primitiven Vögel.
Da eine Landung infolge der Dünung unmöglich war, ruderten wir eine Strecke an den Felsen entlang. Diese Crozierklippen sind sehr interessant. Sie bestehen hauptsächlich aus vulkanischem Tuff, schließen aber mächtige Schichten von säulenförmigem Basalt ein und zeigen prächtige Muster von eingeklemmten und gewundenen Säulen und von Höhlen mit ganzen und halben Pfeilern, die fast wie eine Miniaturnachbildung des Giant’s Causeway aussahen, des Riesendammes an der Nordostspitze von Irland mit seinen 40 000 Basaltsäulen.
Wenig