er am anderen Morgen in der Frühe nach Dresden abreiste, so kam der kaiserlich-königliche Beamte tschechischer Nationalität, welcher es gleich den Kollegen zu Triest und Wien für seine Pflicht hielt, sich spezieller nach ihm zu erkundigen, zu spät und gab nur dem Wirt zu den Drei Karpfen den Rat, künftig in solchen absonderlichen und verdächtigen Fällen den Gast den ersten Zug versäumen zu machen. Die Prager Glocken vernahm der Kriegsgefangene aus dem Lande Tumurkie noch vom Eilzuge aus, um dann sogleich wieder sänftiglich zu entschlummern. Er schlief, bis ihn die königlich-sächsischen Mautbeamten zu Bodenbach weckten, und durch den Kampf um seine Habseligkeiten ermuntert, blieb er wach bis Dresden, wo er im Schatten der Drei Palmzweige auf dem Palaisplatz in der Neustadt von neuem einschlief.
Es ist nicht zu verlangen, dass die Polizei sich überall persönlich bemühe; in Dresden kam sie nicht zu dem Reisenden aufs Zimmer, sondern zitierte, weniger verbindlich als in den kaiserlich-königlichen Staaten, ihn zu sich aufs Büro, was dem Leser der Abwechslung wegen nicht unlieb sein kann, dagegen aber dem geheimnisvollen Fremdling ganz und gar nicht gelegen war. Da er musste, so ging er, wie jeder gute Deutsche es tut, kam schlaftrunken zurück und fuhr, ohne sich nach der Sixtinischen Madonna und der Brühlschen Terrasse umzusehen, nach Leipzig ab und ruhte sanft auf dem süßen Bewusstsein, auch die Dresdener Sicherheitsbehörde über seine Persönlichkeit nicht in Unruhe und Zweifel gelassen zu haben.
Zwischen Dresden und Leipzig liegt Riesa an der Bahn. Da trinkt man ein sehr gutes Eierbier. In der Nähe von Leipzig soll der Fürst Schwarzenberg den Kaiser Napoleon geschlagen haben, was jedenfalls eine große Merkwürdigkeit wäre, wenn es sich beweisen ließe. Wir wollen aber die Sache in der Dunkelheit beruhen lassen, in welcher sie uns von unsern Vätern überliefert wurde – die alten Herren wussten nicht genauer als wir, wer eigentlich bei Leipzig den Kaiser Napoleon geschlagen habe.
Der Kriegsgefangene verschlief Paunsdorf, wo die Sachsen zur guten Sache übertraten, und befand sich in Leipzig, wo die Polizei, aufgeklärt durch die Verlagsartikel einiger hundert Buchhändlerfirmen und tolerant gemacht durch das dreimal im Jahre wiederkehrende Mess-Völkergewimmel, ihn zum ersten Mal seit seiner Ankunft auf dem Territorium des Deutschen Bundes ungeschoren ließ und über die Unzukömmlichkeit seiner Angaben im Fremdenbuch hinwegsah. Wir sind ihr sehr dankbar dafür, denn sie hat uns dadurch einen Ruhepunkt verschafft, von welchem aus wir die fernern Erlebnisse und Abenteuer unseres interessanten Fremdlings durch einige wenige erklärende Worte einleiten können.
Auf unserer, wenn auch nicht langen, so doch unzweifelhaft ungemein verdienstvollen literarischen Laufbahn haben wir uns arg und viel geplagt, verkannte Charaktere, allerlei Spiegel der Tugend und der guten Sitte, abschreckende Beispiele des Trotzes, des Eigensinns und der Unart, lehrreiche, liebliche Exempel aus der Geschichte und aus der Naturgeschichte, sei es in alten oder neuen Dokumenten, sei es in den Gassen oder den Gemächern, auf dem Hausboden oder im Keller, in der Kirche oder in der Kneipe, im Walde oder im Felde aufzustöbern und sie nach bestem Vermögen abgestäubt, gewaschen und gekämmt in das rechte Licht zu stellen. Da ist uns seit dem Jahre achtzehnhundertvierundfünfzig mancher Schweißtropfen entfallen und manche Dummheit entfahren. Hier waren wir zu breit, dort zu flach, hier zu flüchtig, dort zu reflexiv, hier zu hoch, dort zu tief. Hier waren wir affektiert, dort maniriert, hier zu sentimental, dort zu trivial, hier zu transzendental, dort zu real, und unser einziger Trost bleibt nur, dass wir überall und immer zu bescheiden gewesen sind.
Seien wir letzteres heute einmal nicht, sondern rühmen wir uns nach unserm Verdienste!
Wieder liegt ein recht maulwurfsartiges Suchen und Wühlen hinter uns, und vor uns liegen die Materialien der sehr wahrhaften Begebenheiten, deren Zusammenstellung wir jetzt unternehmen. Mit dem unbedingtesten Vertrauen auf die Teilnahme und Anerkennung der Leser werfen wir unsern Hügel auf: »Allerseits schönsten guten Morgen!«
Ah, welch ein Vergnügen, wieder einmal die Nase aus der Tiefe emporzurecken! In welcher Pracht und Herrlichkeit steht der Garten der deutschen Literatur! Wie blitzt der Tau aus den Augen des gefühlvollen Publikums an jeder schönen Blüte, wie jubilieren die lyrischen Lerchen in der blauen Luft, wie jauchzt der Kuckuck, wie freut sich der humoristische Frosch aus dem Grunde seines gesprenkelten Bauches!
Wahrlich, es ist eine Lust, sich noch lebendig zu fühlen in seiner Haut und in seiner Nation; aber wie haben wir auch gesucht und gewühlt! Man gebe uns das uns von Rechts wegen gebührende Lob, und gebe es uns umso willfähriger, als wir doch wieder eingestehen, dass alles menschliche Wissen und Wollen nur Stückwerk sei: unsere über alle Begriffe reichhaltigen Materialien sind lange nicht so vollständig, wie wir es im Interesse der Nachwelt wünschen möchten. Verschiedene alte Tanten und Basen haben in keiner Weise bewogen werden können, ihre Schränke, Kommoden und Strickbeutel zu öffnen; die wichtigsten Papiere sind auf eine schmähliche Art zugrunde gegangen, und mehr als eine löbliche Verwaltungs- oder Justizbehörde mehr als eines hochlöblichen deutschen Bundesstaates hat es schroff von der Hand gewiesen, uns einen Blick in ihre Archive zu gestatten.
Wir waren auf Vermutungen angewiesen, wo wir Gewissheit wünschten, und unsere Fantasie fand häufig einen viel weiteren Spielraum als unser Verstand oder das, was wir unsere Vernunft zu nennen belieben.
Wir nehmen unser Lob scheffelweise und löffelweise; – wir haben das möglichste geleistet in Bezug auf Wahrheit, Ernst und Unparteilichkeit; wir haben uns weder durch den Geschmack des Tages noch durch die glückliche Leichtigkeit unseres literarischen Handwerks zu Ausschreitungen verführen lassen. In jeder Beziehung haben wir uns bestrebt, dem großen Vorwurf nachzuwachsen, und weder häusliches noch öffentliches Ungemach haben uns je länger als eine Erdumdrehung in unserm Vorwärtsschreiten aufgehalten; ja wir haben sogar jede schlaflose Nacht für einen Segen erachtet; denn sie beförderte uns gewöhnlich wenigstens einen Schritt weiter auf unserm hohen Pfade. Niemals aber wurde auch ein schwierigeres, verantwortungsvolleres Werk von uns unternommen als diese Geschichte der Heimkehr
Leonhard Hagebuchers.
Und sie war umso schwieriger, je leichter sie im Anfange erschien!
Es war recht angenehm, einen Helden frisch, fromm und frei aus dem allerunbekanntesten, allerinnersten Afrika in Triest landen zu lassen. Man hätte glorreich lügen können, ohne die mindeste Gefahr