Wilhelm Raabe

Gesammelte Werke


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er am an­de­ren Mor­gen in der Frü­he nach Dres­den ab­reis­te, so kam der kai­ser­lich-kö­nig­li­che Be­am­te tsche­chi­scher Na­tio­na­li­tät, wel­cher es gleich den Kol­le­gen zu Triest und Wien für sei­ne Pf­licht hielt, sich spe­zi­el­ler nach ihm zu er­kun­di­gen, zu spät und gab nur dem Wirt zu den Drei Kar­pfen den Rat, künf­tig in sol­chen ab­son­der­li­chen und ver­däch­ti­gen Fäl­len den Gast den ers­ten Zug ver­säu­men zu ma­chen. Die Pra­ger Glo­cken ver­nahm der Kriegs­ge­fan­ge­ne aus dem Lan­de Tu­mur­kie noch vom Eil­zu­ge aus, um dann so­gleich wie­der sänf­tig­lich zu ent­schlum­mern. Er schlief, bis ihn die kö­nig­lich-säch­si­schen Maut­be­am­ten zu Bo­den­bach weck­ten, und durch den Kampf um sei­ne Hab­se­lig­kei­ten er­mun­tert, blieb er wach bis Dres­den, wo er im Schat­ten der Drei Palm­zwei­ge auf dem Palais­platz in der Neu­stadt von neu­em ein­sch­lief.

      Es ist nicht zu ver­lan­gen, dass die Po­li­zei sich über­all per­sön­lich be­mü­he; in Dres­den kam sie nicht zu dem Rei­sen­den aufs Zim­mer, son­dern zi­tier­te, we­ni­ger ver­bind­lich als in den kai­ser­lich-kö­nig­li­chen Staa­ten, ihn zu sich aufs Büro, was dem Le­ser der Ab­wechs­lung we­gen nicht un­lieb sein kann, da­ge­gen aber dem ge­heim­nis­vol­len Fremd­ling ganz und gar nicht ge­le­gen war. Da er muss­te, so ging er, wie je­der gute Deut­sche es tut, kam schlaf­trun­ken zu­rück und fuhr, ohne sich nach der Six­ti­ni­schen Ma­don­na und der Brühl­schen Ter­ras­se um­zu­se­hen, nach Leip­zig ab und ruh­te sanft auf dem sü­ßen Be­wusst­sein, auch die Dres­de­ner Si­cher­heits­be­hör­de über sei­ne Per­sön­lich­keit nicht in Un­ru­he und Zwei­fel ge­las­sen zu ha­ben.

      Zwi­schen Dres­den und Leip­zig liegt Rie­sa an der Bahn. Da trinkt man ein sehr gu­tes Eier­bier. In der Nähe von Leip­zig soll der Fürst Schwar­zen­berg den Kai­ser Na­po­le­on ge­schla­gen ha­ben, was je­den­falls eine große Merk­wür­dig­keit wäre, wenn es sich be­wei­sen lie­ße. Wir wol­len aber die Sa­che in der Dun­kel­heit be­ru­hen las­sen, in wel­cher sie uns von un­sern Vä­tern über­lie­fert wur­de – die al­ten Her­ren wuss­ten nicht ge­nau­er als wir, wer ei­gent­lich bei Leip­zig den Kai­ser Na­po­le­on ge­schla­gen habe.

      Der Kriegs­ge­fan­ge­ne ver­schlief Pauns­dorf, wo die Sach­sen zur gu­ten Sa­che über­tra­ten, und be­fand sich in Leip­zig, wo die Po­li­zei, auf­ge­klärt durch die Ver­lags­ar­ti­kel ei­ni­ger hun­dert Buch­händ­ler­fir­men und to­le­rant ge­macht durch das drei­mal im Jah­re wie­der­keh­ren­de Mess-Völ­ker­ge­wim­mel, ihn zum ers­ten Mal seit sei­ner An­kunft auf dem Ter­ri­to­ri­um des Deut­schen Bun­des un­ge­scho­ren ließ und über die Un­zu­kömm­lich­keit sei­ner An­ga­ben im Frem­den­buch hin­weg­sah. Wir sind ihr sehr dank­bar da­für, denn sie hat uns da­durch einen Ru­he­punkt ver­schafft, von wel­chem aus wir die fer­nern Er­leb­nis­se und Aben­teu­er un­se­res in­ter­essan­ten Fremd­lings durch ei­ni­ge we­ni­ge er­klä­ren­de Wor­te ein­lei­ten kön­nen.

      Auf un­se­rer, wenn auch nicht lan­gen, so doch un­zwei­fel­haft un­ge­mein ver­dienst­vol­len li­te­ra­ri­schen Lauf­bahn ha­ben wir uns arg und viel ge­plagt, ver­kann­te Cha­rak­tere, al­ler­lei Spie­gel der Tu­gend und der gu­ten Sit­te, ab­schre­cken­de Bei­spie­le des Trot­zes, des Ei­gen­sinns und der Un­art, lehr­rei­che, lieb­li­che Exem­pel aus der Ge­schich­te und aus der Na­tur­ge­schich­te, sei es in al­ten oder neu­en Do­ku­men­ten, sei es in den Gas­sen oder den Ge­mä­chern, auf dem Haus­bo­den oder im Kel­ler, in der Kir­che oder in der Knei­pe, im Wal­de oder im Fel­de auf­zu­stö­bern und sie nach bes­tem Ver­mö­gen ab­ge­stäubt, ge­wa­schen und ge­kämmt in das rech­te Licht zu stel­len. Da ist uns seit dem Jah­re acht­zehn­hun­dert­vierund­fünf­zig man­cher Schweiß­trop­fen ent­fal­len und man­che Dumm­heit ent­fah­ren. Hier wa­ren wir zu breit, dort zu flach, hier zu flüch­tig, dort zu re­fle­xiv, hier zu hoch, dort zu tief. Hier wa­ren wir af­fek­tiert, dort ma­ni­riert, hier zu sen­ti­men­tal, dort zu tri­vi­al, hier zu tran­szen­den­tal, dort zu real, und un­ser ein­zi­ger Trost bleibt nur, dass wir über­all und im­mer zu be­schei­den ge­we­sen sind.

      Sei­en wir letz­te­res heu­te ein­mal nicht, son­dern rüh­men wir uns nach un­serm Ver­diens­te!

      Wie­der liegt ein recht maul­wurfs­ar­ti­ges Su­chen und Wüh­len hin­ter uns, und vor uns lie­gen die Ma­te­ria­li­en der sehr wahr­haf­ten Be­ge­ben­hei­ten, de­ren Zu­sam­men­stel­lung wir jetzt un­ter­neh­men. Mit dem un­be­ding­tes­ten Ver­trau­en auf die Teil­nah­me und Aner­ken­nung der Le­ser wer­fen wir un­sern Hü­gel auf: »Al­ler­seits schöns­ten gu­ten Mor­gen!«

      Ah, welch ein Ver­gnü­gen, wie­der ein­mal die Nase aus der Tie­fe em­por­zu­re­cken! In wel­cher Pracht und Herr­lich­keit steht der Gar­ten der deut­schen Li­te­ra­tur! Wie blitzt der Tau aus den Au­gen des ge­fühl­vol­len Pub­li­kums an je­der schö­nen Blü­te, wie ju­bi­lie­ren die ly­ri­schen Ler­chen in der blau­en Luft, wie jauchzt der Kuckuck, wie freut sich der hu­mo­ris­ti­sche Frosch aus dem Grun­de sei­nes ge­spren­kel­ten Bau­ches!

      Wahr­lich, es ist eine Lust, sich noch le­ben­dig zu füh­len in sei­ner Haut und in sei­ner Na­ti­on; aber wie ha­ben wir auch ge­sucht und ge­wühlt! Man gebe uns das uns von Rechts we­gen ge­büh­ren­de Lob, und gebe es uns umso will­fäh­ri­ger, als wir doch wie­der ein­ge­ste­hen, dass al­les mensch­li­che Wis­sen und Wol­len nur Stück­werk sei: un­se­re über alle Be­grif­fe reich­hal­ti­gen Ma­te­ria­li­en sind lan­ge nicht so voll­stän­dig, wie wir es im In­ter­es­se der Nach­welt wün­schen möch­ten. Ver­schie­de­ne alte Tan­ten und Ba­sen ha­ben in kei­ner Wei­se be­wo­gen wer­den kön­nen, ihre Schrän­ke, Kom­mo­den und Strick­beu­tel zu öff­nen; die wich­tigs­ten Pa­pie­re sind auf eine schmäh­li­che Art zu­grun­de ge­gan­gen, und mehr als eine löb­li­che Ver­wal­tungs- oder Jus­tiz­be­hör­de mehr als ei­nes hoch­löb­li­chen deut­schen Bun­des­staa­tes hat es schroff von der Hand ge­wie­sen, uns einen Blick in ihre Archi­ve zu ge­stat­ten.

      Wir wa­ren auf Ver­mu­tun­gen an­ge­wie­sen, wo wir Ge­wiss­heit wünsch­ten, und un­se­re Fan­ta­sie fand häu­fig einen viel wei­te­ren Spiel­raum als un­ser Ver­stand oder das, was wir un­se­re Ver­nunft zu nen­nen be­lie­ben.

      Wir neh­men un­ser Lob schef­fel­wei­se und löf­fel­wei­se; – wir ha­ben das mög­lichs­te ge­leis­tet in Be­zug auf Wahr­heit, Ernst und Un­par­tei­lich­keit; wir ha­ben uns we­der durch den Ge­schmack des Ta­ges noch durch die glück­li­che Leich­tig­keit un­se­res li­te­ra­ri­schen Hand­werks zu Aus­schrei­tun­gen ver­füh­ren las­sen. In je­der Be­zie­hung ha­ben wir uns be­strebt, dem großen Vor­wurf nach­zu­wach­sen, und we­der häus­li­ches noch öf­fent­li­ches Un­ge­mach ha­ben uns je län­ger als eine Er­dum­dre­hung in un­serm Vor­wärts­schrei­ten auf­ge­hal­ten; ja wir ha­ben so­gar jede schlaflo­se Nacht für einen Se­gen er­ach­tet; denn sie be­för­der­te uns ge­wöhn­lich we­nigs­tens einen Schritt wei­ter auf un­serm ho­hen Pfa­de. Nie­mals aber wur­de auch ein schwie­ri­ge­res, ver­ant­wor­tungs­vol­le­res Werk von uns un­ter­nom­men als die­se Ge­schich­te der Heim­kehr

      Leon­hard Ha­ge­bu­chers.

      Und sie war umso schwie­ri­ger, je leich­ter sie im An­fan­ge er­schi­en!

      Es war recht an­ge­nehm, einen Hel­den frisch, fromm und frei aus dem al­le­run­be­kann­tes­ten, al­lerin­ners­ten Afri­ka in Triest lan­den zu las­sen. Man hät­te glor­reich lü­gen kön­nen, ohne die min­des­te Ge­fahr