Fieber hineingeredet, als er der Frau Klaudine die letzten Augenblicke seines Aufenthalts in Abu Telfan schilderte; aber die leisen Tropfen an dem zerbrochenen Mühlrad und die Bewohnerin der Mühle selber hatten doch den Sieg davongetragen über die Aufregung und das Fieber. Immerfort klangen die Tropfen und die gute sanfte Stimme der alten Frau in seinem Ohre. Er sah Nikola von Einstein in der Fensterbrüstung sitzen, wie sie mit den Blüten und grünen Zweigen, welche in das Fenster lugten, spielte; er sah sie auf dem weißen Pferde gleich einer Jägerin aus Tristan und Isolde, wie sie über die Hecke winkte, ehe sie im Walde verschwand. Auch ihre Stimme und ihr Lachen erfüllten die Nacht und sein Herz; – sein Weg führte ihn sanft ansteigend aus der Tiefe in die Höhe, und nun stand er, immer noch zwischen den Ährenfeldern, neben einem alten, morschen, sehr überflüssigen Wegweiser und blickte zurück und rief, was er schon einmal am Zaun des Bumsdorfer Gutsgartens ausgesprochen hatte:
»Bei Gott, es ist doch schön im Vaterlande. Kurru, kurru, kurru, masch biqwa Schilla qwa Baggara!«
Letzteres Gegurgel bedeutete die Nationalhymne des Mondgebirges, deren Anfang in wortgetreuer Übersetzung lautet:
Was ist des Negers Vaterland?
Ist’s Schillukland? Baggaraland?
Ist’s, wo der Niger brausend geht?
Ist’s, wo der Sand der Wüste weht?
O nein, nein, nein usw.
und welche deshalb für den Deutschen von Interesse und literarisch- wie politisch-historischer Bedeutung sein muss, weil sie mit einem Liede, welches er selbst bis in die jüngste Zeit gern und häufig sang, eine unverkennbare Ähnlichkeit besitzt.
Ja, das Vaterland war sehr groß und sehr schön, und sehr hübsches, angenehmes, verständiges, aber auch sehr kurioses Volk lief darin herum. Mit einer ausgezupften Ähre in der Hand ging der Afrikaner weiter, und die Vorstellung, die Landenge von Suez durchgraben zu helfen, würde ihn heute nicht bewogen haben, von der Universität Leipzig durchzubrennen. Dagegen erschien ihm die Idee, der deutschen Nation öffentliche, gut honorierte Vorlesungen über das Tumurkieland zu halten, in der Tat recht einleuchtend und leicht ins Werk zu setzen.
»Warum nicht?« fragte er den dunkeln Horizont, den warmen Nachtwind und die funkelnden Sterne und fügte hinzu:
»Nur Mut – und Selbstvertrauen bis zur Unverschämtheit, Hagebucher! Zeige ihnen, mein Sohn, dass du doch nicht so ganz umsonst so lange in die Schule der Troglodyten gingst und mit einigem Nutzen am Mondgebirge den Eselskopf trugst, auf Erbsen knietest und die Rute bekamst. Weshalb solltest du es nicht wagen, Alter, den Kampf mit dieser närrischen Zivilisation von neuem aufzunehmen – wer weiß, wie viel Honig die Biene in sich hat? Jedenfalls, mein Kind, hast du weder Ruf noch Ruhm zu verlieren; und zu gewinnen –«
Er brach ab und seufzte tief; doch es war ein Zauber in dieser Nacht, und er konnte auch schon den Gedanken an Gewinn tapfer von sich abschütteln. Seine Schritte wurden immer länger, er ging körperlich und geistig durch, und es war ein großes Wunder, dass er mit heilen Gliedern auf der Bumsdorfer Landstraße wiederanlangte.
Nochmals hielt er an und horchte auf ein Rauschen seitwärts von des Vetters Wassertreter tadellos gehaltenem Pfade. Da war ein laufender Brunnen und eine Steinbank daneben inmitten einer Baumgruppe, ihm wohlbekannt aus seinen Knabenjahren. Obgleich er den Platz schon am hellen Tage einige Male aufgesucht hatte, so behagte es ihm doch auch jetzt in dieser Nacht wieder, dass der Strahl noch immer so frisch und kräftig in das Becken schoss, dass das lustige Gesprudel und Geplätscher während seiner Abwesenheit nicht versiegt war. Er beugte sich nieder, um gleich dem alten Zyniker mit der hohlen Hand zu schöpfen, besann sich jedoch eines Bessern und hielt den Mund an die Rinne wie vorzeiten und trank in vollen Zügen. Oft hatte er an diesen Quell denken müssen in dem heißen, glühenden Felsental von Abu Telfan und hätte oft mit Freuden ein Jahr seines Lebens für eine Minute an dieser Stelle hingegeben. Nun dachte er daran zurück und richtete sich wiederum dankbar und klüger in die Höhe. Er saß noch einen Augenblick ausruhend auf der Bank und benutzte die gute, klare Stimmung, um sich und der alten Dame in der Katzenmühle zu versprechen, fürderhin auch mit wenigem zufrieden zu sein und nötigenfalls das Leben fortzuführen in Europa wie in der Lehmhütte des Tumurkielandes, auch sich nicht allzusehr an den Worten und Werken seiner lieben Nachbarn zu ärgern, sondern in Geduld die Tage und die Dinge an sich kommen zu lassen, ferner mit Hilfe der Götter seine Meinung deutlich zu sagen, dieselbe aber auch, und zwar ebenfalls mit Hilfe der Götter, ruhig für sich zu behalten, dann für seine Gesundheit zu sorgen und zuletzt sich ein gutes Konversationslexikon zu eifrigstem Studium anzuschaffen. Lauter verständige, ehrenwerte und nützliche Vorsätze, Gelöbnisse und Pläne, aber alle kaum originell genug, um näher darauf eingehen zu müssen, weshalb wir sie ihm zu eigener reiflicher Überlegung anheimgeben und uns, da er überdies recht bequem neben diesem rauschenden Born sitzt, zu einem anderen Wanderer kehren, der sich ebenfalls um diese Zeit auf dem Wege gen Bumsdorf befindet.
Am Marktplatz der Stadt Nippenburg liegt ein stattliches Haus mit glänzenden Spiegelscheiben und graugrünen Fensterläden, einem weiten Torweg und einem kurzstämmigen, haarigen Hausknecht: der Goldene Pfau, der erste Gasthof der Stadt. Seit undenklichen Zeiten steht sein Ruf fest, nicht nur in Nippenburg, sondern weit in die Lande. Generationen von Honoratioren haben ihre Bälle in seinen Räumen gehalten, Generationen von fetten Amtmännern und fetten und hagern Pastoren sind vor seiner gastlichen Pforte abgestiegen, hundert Generationen von Handlungsreisenden haben seinen Preis gesungen weithinaus einst über die Grenzen des Hansabundes und jetzt über die des Zollvereins, und der Goldene Pfau verdient das alles; er ist auch heute noch ein Ort, an welchem man es sich wohl sein lassen kann und wo man unter allen Umständen seine Rechnung findet.
Im Goldenen Pfau befand sich natürlich auch der »Herrenklub« von Nippenburg, und der Steuerinspektor Hagebucher war ebenso natürlich ein ausgezeichnetes, wohlangesehenes Mitglied dieser trefflichen Gesellschaft. Seine Pfeife mit einer Fliege auf dem Kopfe wurde vom Kellner mit kaum geringerm Respekt in Verwahrung gehalten als die des Kreisgerichtsdirektors und des Generalsuperintendenten; er – der Herr Steuerinspektor – war sehr eigen in betreff seiner Pfeife. Sein Platz wurde selten von einem frechen oder unwissenden Usurpator eingenommen. Er – der Inspektor – machte keinen Anspruch darauf, die Zeitungen zuerst zu bekommen, aber er bekam sie zu seiner Zeit und