Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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»So!«

      Er ist sehr miss­mu­tig, denn er hat die An­ge­klag­te plötz­lich zu ei­ner in­ter­essan­ten Fi­gur ge­macht, was kei­nes­wegs in sei­ner Ab­sicht lag. Auch ist er, wie die meis­ten An­we­sen­den, fest da­von über­zeugt, dass sie lügt, dass es viel­leicht nur zwei oder drei Lieb­ha­ber wa­ren, wo­mög­lich so­gar kei­ner. Man könn­te sie we­gen Ver­höh­nung des Ge­richts in Stra­fe neh­men las­sen. Aber wie ihr die­se Ab­sicht be­wei­sen?

      End­lich ent­schließt er sich. Er sagt gräm­lich: »Ich bin fest da­von über­zeugt, dass Sie maß­los über­trei­ben, An­ge­klag­te. Eine Frau, die sie­ben­un­dacht­zig Lieb­ha­ber ge­habt hat, wird sich wohl kaum der Zahl er­in­nern. Sie wird ant­wor­ten: vie­le. Aber Ihre Ant­wort be­weist gra­de Ihre Ver­kom­men­heit. Sie rüh­men sich noch Ih­rer Scham­lo­sig­keit! Sie sind stolz dar­auf, eine Hure ge­we­sen zu sein. Und aus der Hure sind Sie dann das ge­wor­den, was aus al­len Hu­ren ge­mei­nig­lich wird, Sie sind eine Kup­pel­mut­ter ge­wor­den. Den ei­ge­nen Sohn ha­ben Sie ver­kup­pelt.«

      Jetzt hat er Anna Quan­gel doch ge­bis­sen, der Pin­scher.

      »Nein!«, schreit Anna Quan­gel und er­hebt bit­tend die Hän­de. »Sa­gen Sie doch das nicht! So et­was habe ich nie ge­tan!«

      »Das ha­ben Sie nicht ge­tan?«, kläfft der Pin­scher. »Und wie wol­len Sie das nen­nen, dass Sie der so­ge­nann­ten Braut Ihres Soh­nes mehr­fach nachts Un­ter­kunft ge­währt ha­ben? Da ha­ben Sie wohl Ihren Sohn un­ter­des aus­quar­tiert? He? Wo hat denn die­se Tru­del ge­schla­fen? Sie wis­sen doch, sie ist tot, ja, das wis­sen Sie doch? Sonst säße die­ses Frau­en­zim­mer, die­se Mit­hel­fe­rin Ihres Man­nes bei sei­nen Ver­bre­chen, auch hier auf der An­kla­ge­bank!«

      Aber die Er­wäh­nung der Tru­del hat Frau Quan­gel neu­en Mut ein­ge­flö­ßt. Sie sagt, nicht zum An­klä­ger, son­dern zum Ge­richts­hof hin­über: »Ja, gott­lob, dass die Tru­del tot ist, dass sie die­se letz­te Schan­de nicht mit­er­lebt hat …«

      »Mä­ßi­gen Sie sich ge­fäl­ligst! Ich war­ne Sie, An­ge­klag­te!«

      »Sie war ein gu­tes, an­stän­di­ges Mäd­chen …«

      »Und trieb ihr fünf Mo­na­te al­tes Kind ab, weil sie kei­ne Sol­da­ten zur Welt brin­gen woll­te!«

      »Sie hat das Kind nicht ab­ge­trie­ben, sie war un­glück­lich über sei­nen Tod!«

      »Sie hat es sel­ber ein­ge­stan­den!«

      »Das glau­be ich nicht.«

      Der An­klä­ger schreit los: »Was Sie hier glau­ben oder nicht, das ist uns gleich! Aber ich rate Ih­nen drin­gend, Ihren Ton zu än­dern, An­ge­klag­te, sonst er­le­ben Sie noch et­was sehr Un­an­ge­neh­mes! Die Aus­sa­ge der Her­ge­sell ist von dem Kom­missar Laub pro­to­kol­liert. Und ein Kri­mi­nal­kom­missar lügt nicht!«

      Dro­hend sah sich der Pin­scher im gan­zen Saal um.

      »Und nun er­su­che ich Sie noch­mals, An­ge­klag­te, mir zu sa­gen: Hat Ihr Sohn in in­ti­men Be­zie­hun­gen zu die­sem Mäd­chen ge­stan­den oder nicht?«

      »Da­nach sieht eine Mut­ter nicht hin. Ich bin kei­ne Schnüff­le­rin.«

      »Aber Sie hat­ten eine Auf­sichts­pflicht! Wenn Sie den un­sitt­li­chen Ver­kehr Ihres Soh­nes in der ei­ge­nen Woh­nung zu­las­sen, ha­ben Sie sich der schwe­ren Kup­pe­lei schul­dig ge­macht, so be­stimmt es das Straf­ge­setz­buch.«

      »Da­von weiß ich nichts. Aber ich weiß, dass Krieg war und dass mein Jun­ge viel­leicht ster­ben muss­te. In un­sern Krei­sen ist das so, wenn zwei ver­lobt sind oder so gut wie ver­lobt, und noch dazu Krieg ist, so se­hen wir nicht so ge­nau hin.«

      »Aha, jetzt ge­ste­hen Sie also, An­ge­klag­te! Sie ha­ben von den un­sitt­li­chen Be­zie­hun­gen ge­wusst, und Sie ha­ben sie ge­dul­det! Das nen­nen Sie dann: nicht so ge­nau hin­se­hen. Aber das Straf­ge­setz­buch nennt es schwe­re Kup­pe­lei, und eine Mut­ter ist schänd­lich und völ­lig ver­wor­fen, die so et­was dul­det!«

      Leb­haf­tes La­chen …

      »Und was die SA aus­frisst mit ih­ren Mäd­chen …«

      Das La­chen bricht ab.

      »Und die SS – sie er­zäh­len ja, die SS schän­det die Ju­den­mäd­chen erst und schießt sie hin­ter­her tot …«

      Ei­nen Au­gen­blick To­ten­stil­le …

      Aber dann bricht der Tu­mult los. Sie schrei­en. Wel­che von den Zu­hö­rern klet­tern über die Schran­ken und wol­len auf die An­ge­klag­te ein­drin­gen.

      Otto Quan­gel ist auf­ge­sprun­gen, be­reit, sei­ner Frau zu Hil­fe zu ei­len …

      Der Schutz­po­li­zist, die feh­len­den Ho­sen­trä­ger be­hin­dern ihn.

      Der Prä­si­dent steht da und ge­bie­tet hef­tig, aber ver­geb­lich Ruhe.

      Die Bei­sit­zer re­den laut mit­ein­an­der. Der Blö­de mit dem stets of­fe­nen Mund schüt­telt die Fäus­te …

      Der An­klä­ger Pin­scher kläfft und kläfft, und nie­mand ver­steht ein Wort …

      Die hei­ligs­ten Ge­füh­le der Na­ti­on sind ver­letzt, die SS ist be­lei­digt, die Lieb­lings­trup­pe des Füh­rers, die Eli­te ger­ma­ni­scher Ras­se!

      Schließ­lich wird Anna Quan­gel aus dem Saal ge­schleppt, der Lärm be­ru­higt sich wie­der, der Ge­richts­hof zieht sich zur Be­ra­tung zu­rück …

      In fünf Mi­nu­ten er­scheint er wie­der:

      »Die An­ge­klag­te Anna Quan­gel ist von der Teil­nah­me an der Ver­hand­lung ge­gen sie aus­ge­schlos­sen. Sie bleibt von jetzt an in Fes­seln. Dun­kelar­rest bis auf Wei­te­res. Was­ser und Brot nur je­den zwei­ten Tag.«

      Die Ver­hand­lung geht wei­ter.

      1 BDM, Bund Deut­scher Mä­del <<<

      64. Die Hauptverhandlung: Der Zeuge Ulrich Heffke

      Der Zeu­ge Ul­rich Heff­ke, die­ser Qua­li­täts­ar­bei­ter, der buck­li­ge Bru­der Anna Quan­gels, hat schwe­re Mo­na­te hin­ter sich. Der tüch­ti­ge Kom­missar Laub hat­te ihn mit sei­ner Frau gleich nach der Fest­nah­me der Quan­gels ver­haf­tet, ohne je­den stich­hal­ti­gen Ver­dacht, ein­fach nur, weil er ein Ver­wand­ter der Quan­gels war.

      Von da an hat­te Ul­rich Heff­ke in Angst ge­lebt. Die­ser sanf­te Mensch mit ei­nem schlich­ten, ein­fa­chen Geist, der sein Leb­tag al­lem Streit aus dem Wege ge­gan­gen war, war von dem Sa­dis­ten Laub ver­haf­tet wor­den, ge­quält, an­ge­schri­en, ge­schla­gen. Man hat­te ihn hun­gern las­sen, ge­de­mü­tigt, kurz, er war mit al­len teuf­li­schen Küns­ten ge­mar­tert wor­den.

      Dar­über war der Geist des Bu­ckels völ­lig ver­wirrt ge­wor­den. Er hat­te nur ängst­lich ge­lauscht, was sei­ne Quä­ler hö­ren woll­ten, und er hat­te dann be­sin­nungs­los auch die ihn be­las­tends­ten Ge­ständ­nis­se ab­ge­legt, de­ren