Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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2 hin­ter sich …«

      Der An­klä­ger un­ter­bricht wie­der. Er kläfft los, der An­walt habe wie­der­um das Ver­bot des Ge­richts­ho­fes über­tre­ten.

      Der Ver­tei­di­ger wi­der­spricht.

      Der An­klä­ger liest ab, von ei­nem Block: »Nach dem Ste­no­gramm hat die Ver­tei­di­gung Fol­gen­des ge­sagt: Sie hat – auch aus die­sem Grun­de – den Schutz des Pa­ra­gra­fen 51 Ab­satz 2. Die Wor­te ›Auch aus die­sem Grun­de‹ be­zie­hen sich ganz klar auf die von der Ver­tei­di­gung be­haup­te­te Geis­tes­krank­heit der Fa­mi­lie Heff­ke. Ich be­an­tra­ge Ge­richts­be­schluss!«

      Prä­si­dent Feis­ler be­fragt den Ver­tei­di­ger, wor­auf er die Wor­te »Auch aus die­sem Grun­de« be­zo­gen habe?

      Der An­walt er­klärt, die­se Wor­te hät­ten sich auf im wei­te­ren Ver­lauf sei­ner Ver­tei­di­gung zu ent­wi­ckeln­de Grün­de be­zo­gen.

      Der An­klä­ger schreit, nie­mand be­zie­he sich in sei­ner Rede auf et­was, das noch nicht ge­sagt wor­den sei. Eine Be­zug­nah­me kön­ne nur auf Be­kann­tes, nie auf Un­be­kann­tes er­fol­gen. Die Wor­te des Herrn Ver­tei­di­gers stell­ten nichts als eine fau­le Aus­re­de dar.

      Der Ver­tei­di­ger pro­tes­tier­te ge­gen den An­wurf, eine fau­le Aus­re­de ge­braucht zu ha­ben. Im Üb­ri­gen kön­ne man sich in ei­ner Rede sehr wohl auf et­was noch Vor­zu­tra­gen­des be­zie­hen, dies sei eine be­kann­te Re­de­kunst, Span­nung auf et­was noch Vor­zu­tra­gen­des zu er­zeu­gen. So habe zum Bei­spiel Mar­cus Tul­li­us Ci­ce­ro in sei­ner be­rühm­ten drit­ten Phil­ip­pi­ka ge­sagt …

      Anna Quan­gel war ver­ges­sen; jetzt sah Otto Quan­gel mit vor Stau­nen ge­öff­ne­tem Mun­de von ei­nem zum an­de­ren.

      Ein hit­zi­ger Dis­put war im Gan­ge. Es reg­ne­te Zi­ta­te in La­tein und Alt­grie­chisch.

      Schließ­lich zog sich der Ge­richts­hof wie­der­um zu­rück, und Prä­si­dent Feis­ler ver­kün­de­te bei sei­nem Wie­de­rer­schei­nen zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung (denn die meis­ten hat­ten über dem ge­lehr­ten Dis­put den An­lass dazu völ­lig ver­ges­sen), dass dem An­walt der An­ge­klag­ten we­gen noch­ma­li­ger Über­tre­tung ei­nes Ge­richts­be­schlus­ses das Wort ent­zo­gen sei. Die Of­fi­zi­al­ver­tei­di­gung der Anna Quan­gel sei dem zu­fäl­lig an­we­sen­den As­ses­sor Lü­de­cke über­tra­gen.

      Der graue Ver­tei­di­ger ver­beug­te sich und ver­ließ den Sit­zungs­saal, ver­sorg­ter denn je aus­se­hend.

      Der »zu­fäl­lig an­we­sen­de« As­ses­sor Lü­de­cke er­hob sich und sprach. Er hat­te noch nicht viel Er­fah­rung, er hat­te auch nicht recht zu­ge­hört, er war vom Ge­richts­hof ein­ge­schüch­tert, au­ßer­dem war er zur­zeit stark ver­liebt und kei­nes ver­nünf­ti­gen Ge­dan­kens fä­hig. Er sprach drei Mi­nu­ten, bat um mil­dern­de Um­stän­de (falls der Hohe Ge­richts­hof nicht an­de­rer Mei­nung sein soll­te, in wel­chem Fal­le er bat, sei­ne Bit­te als un­ge­spro­chen an­zu­se­hen) und setz­te sich wie­der, sehr rot und ver­le­gen aus­se­hend.

      Dem Ver­tei­di­ger Otto Quan­gels wur­de das Wort er­teilt.

      Er er­hob sich, sehr blond und sehr hoch­mü­tig. In die Ver­hand­lung hat­te er bis­her in kei­nem Fall ein­ge­grif­fen, er hat­te sich nicht eine No­tiz ge­macht, der Tisch vor ihm war leer. Wäh­rend der stun­den­lan­gen Ver­hand­lung hat­te er sich ei­gent­lich nur da­mit be­schäf­tigt, sei­ne ro­si­gen, sehr ge­pfleg­ten Fin­ger­nä­gel sanft ge­gen­ein­an­der zu rei­ben und im­mer wie­der ge­nau zu be­trach­ten.

      Jetzt aber sprach er, der Talar war halb ge­öff­net, eine Hand hat­te er in der Ho­sen­ta­sche, die an­de­re mach­te spar­sa­me Ges­ten. Die­ser Ver­tei­di­ger konn­te sei­nen Man­dan­ten nicht aus­ste­hen, er fand ihn wi­der­lich, be­schränkt, un­glaub­haft häss­lich und gra­de­zu ab­sto­ßend. Und Quan­gel hat­te lei­der al­les ge­tan, die­se Ab­nei­gung sei­nes Ver­tei­di­gers noch zu ver­stär­ken, in­dem er trotz des drin­gen­den Abra­tens Dr. Reich­hardts dem An­walt jede Aus­kunft ver­wei­gert hat­te: er brauch­te kei­nen An­walt.

      Jetzt also sprach Rechts­an­walt Dr. Stark. Sei­ne na­sa­le, schlep­pen­de Re­de­wei­se stand in star­kem Ge­gen­satz zu den kras­sen Wor­ten, die er ge­brauch­te.

      Da­mit ver­beug­te sich der Ver­tei­di­ger zur all­ge­mei­nen Über­ra­schung und setz­te sich wie­der, sorg­fäl­tig die Ho­sen über den Kni­en hoch­zie­hend. Er warf einen prü­fen­den Blick auf sei­ne Nä­gel und be­gann, sie sach­te ge­gen­ein­an­der zu rei­ben.

      Nach ei­nem kur­z­en Stut­zen frag­te der Prä­si­dent den An­ge­klag­ten, ob er noch et­was zu sei­nen Guns­ten vor­zu­tra­gen habe. Er möge sich aber ge­fäl­ligst kurz fas­sen.

      Otto Quan­gel sag­te, sei­ne Ho­sen fest­hal­tend: »Ich habe nichts zu mei­nen Guns­ten zu sa­gen: Aber ich möch­te mei­nem An­walt auf­rich­tig für sei­ne Ver­tei­di­gung dan­ken. End­lich habe ich er­fasst, was ein Links­an­walt ist.«

      Und Quan­gel setz­te sich un­ter stür­mi­scher Be­we­gung der an­de­ren. Der An­walt un­ter­brach sein Na­gel­po­lie­ren, er­hob sich und ver­kün­de­te nach­läs­sig, dass er auf einen An­trag ge­gen sei­nen Man­dan­ten ver­zich­te, die­ser habe nur wie­der be­wie­sen, dass er ein un­ver­bes­ser­li­cher Ver­bre­cher sei.

      Dies war der Au­gen­blick, da Quan­gel lach­te, zum ers­ten Mal seit sei­ner Ver­haf­tung, nein, seit un­denk­li­chen Zei­ten, hei­ter und un­be­küm­mert lach­te. Die Ko­mik, dass die­ses Ver­bre­cher­ge­sin­del ihn ernst­haft zum Ver­bre­cher stem­peln woll­te, über­wäl­tig­te ihn plötz­lich.

      Der Prä­si­dent ließ den An­ge­klag­ten we­gen sei­ner un­ziem­li­chen Hei­ter­keit scharf an. Er er­wog, mit noch schär­fe­ren Stra­fen ge­gen Quan­gel vor­zu­ge­hen, aber dann fiel ihm ein, dass er ei­gent­lich alle nur mög­li­chen Stra­fen be­reits über den An­ge­klag­ten ver­hängt hat­te, dass ihm nur noch die Aus­schlie­ßung aus dem Ver­hand­lungs­zim­mer blieb, und er be­dach­te, wie we­nig es wir­ken wür­de, wenn er das Ur­teil in Ab­we­sen­heit bei­der An­ge­klag­ten ver­kün­den wür­de. So be­schied er sich zur Mil­de.

      Der Ge­richts­hof zog sich zur Ur­teils­fäl­lung zu­rück.

      Gro­ße Pau­se.

      Die