Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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wie in der To­des­zel­le der Plöt­ze. Sein Geist hat­te nie so frei schwei­fen kön­nen wie hier.

      Ein gu­tes Le­ben, die­ses Le­ben!

      Hof­fent­lich ging es auch Anna gut. Aber der alte Rat Fromm war ein Mann, der Wort hielt. Auch Anna wür­de über alle Ver­fol­gun­gen hin­aus sein, auch Anna war frei, ge­fan­gen frei …

      68. Die Gnadengesuche

      Otto Quan­gel hat­te erst seit ei­ni­gen Ta­gen in der Dun­kel­zel­le ge­le­gen – ge­mäß Be­schluss des Volks­ge­richts­hofs –, er fror jäm­mer­lich in dem klei­nen Kä­fig aus Ei­sen­stan­gen, der am ehe­s­ten ei­nem sehr en­gen Af­fen­kä­fig im Zoo glich –, da tat sich die Tür auf, Licht ging an, und sein An­walt, Dr. Stark, stand in der Tür des Rau­mes, in dem der Git­ter­kä­fig auf­ge­baut war, und sah sei­nen Man­dan­ten an.

      Quan­gel stand lang­sam auf und schau­te zu­rück.

      Da war die­ser ge­schnie­gel­te und ge­bü­gel­te Herr also noch ein­mal zu ihm ge­kom­men, mit sei­nen ro­si­gen Fin­ger­nä­geln und der nach­läs­si­gen, schlep­pen­den Art zu re­den. Wahr­schein­lich, um sich den Ver­bre­cher in sei­ner Qual an­zu­se­hen.

      Aber auch da schon hat­te Quan­gel die Zy­an­ka­liam­pul­le in sei­nem Mun­de ge­tra­gen, die­sen Ta­lis­man, der ihn Käl­te und Hun­ger er­tra­gen ließ, und so hat­te er ru­hig, ja, mit ei­ner hei­te­ren Über­le­gen­heit auf den »fei­nen Herrn« ge­blickt, er, in sei­ner Zer­lumpt­heit, vor Frost zit­ternd, der Ma­gen bren­nend vor Hun­ger.

      »Nun?«, hat­te Quan­gel schließ­lich ge­fragt.

      »Ich brin­ge Ih­nen das Ur­teil«, sag­te der An­walt und zog ein Pa­pier aus der Ta­sche.

      Aber Quan­gel nahm es nicht. »Es in­ter­es­siert mich nicht«, sag­te er. »Ich weiß ja doch, dass es auf To­dess­tra­fe lau­tet. Auch mei­ne Frau?«

      »Auch Ihre Frau. Und es gibt kei­ne Be­ru­fung da­ge­gen.«

      »Gut«, ant­wor­te­te er.

      »Aber Sie kön­nen ein Gna­den­ge­such ma­chen«, sag­te der An­walt.

      »An den Füh­rer?«

      »Ja, an den Füh­rer.«

      »Nein, dan­ke.«

      »Sie wol­len also ster­ben?«

      Quan­gel lä­chel­te.

      »Sie ha­ben kei­ne Angst?«

      Quan­gel lä­chel­te.

      Der An­walt sah zum ers­ten Mal mit ei­ner Spur von In­ter­es­se in das Ge­sicht sei­nes Man­dan­ten, er sag­te: »So wer­de ich für Sie ein Gna­den­ge­such ein­rei­chen.«

      »Nach­dem Sie mei­ne Ver­ur­tei­lung ge­for­dert ha­ben!«

      »Es ist so üb­lich, bei je­dem To­des­ur­teil wird ein Gna­den­ge­such ein­ge­reicht. Es ge­hört zu mei­nen Pf­lich­ten.«

      »Zu Ihren Pf­lich­ten. Ich ver­ste­he. Wie Ihre Ver­tei­di­gung. Nun, ich neh­me an, Ihr Gna­den­ge­such wird we­nig Wir­kung ha­ben, las­sen Sie es lie­ber.«

      »Ich wer­de es trotz­dem ein­rei­chen, auch ge­gen Ihren Wil­len.«

      »Ich kann Sie nicht hin­dern.«

      Quan­gel setz­te sich wie­der auf die Prit­sche. Er war­te­te, dass der an­de­re jetzt mit die­sem blö­den Ge­wäsch auf­hör­te, dass er gin­ge.

      Aber der An­walt ging nicht, son­dern er frag­te nach ei­ner lan­gen Pau­se: »Sa­gen Sie, warum ha­ben Sie das ei­gent­lich ge­tan?«

      »Was ge­tan?«, frag­te Quan­gel gleich­gül­tig, ohne den Ge­bü­gel­ten an­zu­se­hen.

      »Die­se Post­kar­ten ge­schrie­ben. Sie ha­ben doch nichts genützt und kos­ten Ih­nen nun das Le­ben.«

      »Weil ich ein dum­mer Mensch bin. Weil mir nichts Bes­se­res ein­ge­fal­len ist. Weil ich mit ei­ner an­de­ren Wir­kung rech­ne­te. Da­rum!«

      »Und Sie be­dau­ern es nicht? Es tut Ih­nen nicht leid, we­gen solch ei­ner Dumm­heit das Le­ben zu ver­lie­ren?«

      Ein schar­fer Blick traf den An­walt, der alte, stol­ze, har­te Vo­gelblick. »Aber ich bin we­nigs­tens an­stän­dig ge­blie­ben«, sag­te er. »Ich habe nicht mit­ge­macht.«

      Der An­walt sah lan­ge auf den schwei­gend Da­sit­zen­den. Dann sag­te er: »Ich glau­be jetzt doch, mein Kol­le­ge, der Ihre Frau ver­tei­dig­te, hat recht ge­habt: Sie bei­de sind wahn­sin­nig.«

      »Nen­nen Sie es wahn­sin­nig, dass man je­den Preis da­für be­zahlt, an­stän­dig zu blei­ben?«

      »Sie hät­ten das auch ohne Kar­ten blei­ben kön­nen.«

      »Das wäre schwei­gen­de Zu­stim­mung ge­we­sen. Was ha­ben Sie da­für be­zahlt, dass Sie so ein fei­ner Herr ge­wor­den sind mit so schön ge­bü­gel­ten Ho­sen, mit la­ckier­ten Fin­ger­nä­geln und mit ver­lo­ge­nen Ver­tei­di­gungs­re­den? Was ha­ben Sie da­für be­zahlt?«

      Der An­walt schwieg.

      »Da ha­ben Sie es!«, sag­te Quan­gel. »Und Sie wer­den im­mer mehr da­für be­zah­len, und viel­leicht wer­den Sie ei­nes Ta­ges auch den Kopf da­für las­sen müs­sen, ge­nau wie ich, aber dann las­sen Sie ihn für Ihre Un­an­stän­dig­keit!«

      Noch im­mer schwieg der An­walt.

      Quan­gel stand auf, er lach­te. »Se­hen Sie«, lach­te er. »Sie wis­sen gut, dass der hin­ter den Git­ter­stä­ben an­stän­dig ist und Sie da­vor der Lump, dass der Ver­bre­cher frei ist, aber der An­stän­di­ge zum Tode ver­ur­teilt. Sie sind kein Rechts­an­walt, nicht ohne Grund habe ich Sie Links­an­walt ge­nannt. Und Sie wol­len ein Gna­den­ge­such für mich ma­chen – ach, ge­hen Sie doch!«

      »Und ich wer­de doch ein Gna­den­ge­such für Sie ein­rei­chen«, sag­te der An­walt.

      Quan­gel ant­wor­te­te nicht.

      »Also auf Wie­der­se­hen!«, sag­te der An­walt.

      »Kaum – oder Sie se­hen bei mei­ner Hin­rich­tung zu. Sie sind herz­lich ein­ge­la­den!«

      Der An­walt ging.

      Er war ab­ge­brüht, ver­här­tet, er war schlecht. Aber er hat­te noch so viel Ver­stand, sich zu­zu­ge­ste­hen, dass der an­de­re der bes­se­re Mann war.

      Das Gna­den­ge­such wur­de auf­ge­setzt, Irr­sinn war der An­lass, der den Füh­rer zur Gna­de be­stim­men soll­te, aber der An­walt wuss­te gut, dass sein Man­dant nicht irr­sin­nig war.

      Auch für Anna Quan­gel wur­de ein Gna­den­ge­such un­mit­tel­bar an den Füh­rer ein­ge­reicht, aber die­ses Ge­such kam nicht aus der Stadt Ber­lin, es kam aus ei­nem klei­nen, ar­men mär­ki­schen Dorf, und un­ter dem Ge­such stand: Fa­mi­lie Heff­ke.

      Die El­tern von Anna Quan­gel hat­ten einen Brief ih­rer Schwie­ger­toch­ter be­kom­men, von der Frau ih­res Soh­nes Ul­rich. In dem Brief stan­den nur schlim­me Nach­rich­ten, und sie wa­ren ohne Scho­nung in kur­z­en, har­ten Sät­zen nie­der­ge­schrie­ben. Der Sohn Ul­rich saß wahn­sin­nig in Wit­tenau, und Otto und Anna Quan­gel wa­ren dar­an schuld. Die aber wa­ren zum Tode ver­ur­teilt wor­den, weil sie ihr Land und ih­ren Füh­rer ver­ra­ten