Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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Aus­weg; wenn es hier in Ber­lin für ihn mal ganz schief­ge­hen soll­te, so konn­te er im­mer noch bei der Eva auf­tau­chen, viel­leicht nahm sie ihn doch auf. Sie wür­de sich auch vor den Ver­wand­ten ge­nie­ren, all­zu scharf ge­gen ihn auf­zu­tre­ten. Eva gab noch was auf An­se­hen und gu­ten Ruf. Und schließ­lich hat­te er sie ja durch Kar­le­manns Hel­den­ta­ten in der Schrau­be; sie wür­de es nie lei­den, dass er da­von ih­ren Ver­wand­ten er­zähl­te, lie­ber noch nahm sie ihn in Kauf.

      Ein letz­ter Aus­weg, wenn wirk­lich al­les schief­ging. Vor­läu­fig hat­te er noch sei­ne Lot­te. Sie war wirk­lich ganz nett, bis auf die Schnau­ze, die sie nicht eine Se­kun­de hal­ten konn­te, und bis auf ihre ver­damm­te An­ge­wohn­heit, ewig Män­ner auf die Bude zu brin­gen. Er muss­te dann die hal­be, manch­mal so­gar die gan­ze Nacht in der Kü­che hocken – und am nächs­ten Tag war es wie­der nichts mit der Ar­beit.

      Es war nie mehr ganz das Rech­te mit der Ar­beit, und es wür­de auch nie mehr rich­tig wer­den, das wuss­te er. Aber viel­leicht ging die­ser Krieg schnel­ler zu Ende, als man jetzt dach­te, und es ge­lang ihm doch noch, die so lan­ge hin­zu­hal­ten. So war er wie­der ganz all­mäh­lich ins Bum­meln und ins Blau­ma­chen ge­kom­men. Der Meis­ter krieg­te schon einen wut­ro­ten Kopf, wenn er ihn nur sah. Dann hat­te es einen zwei­ten An­pfiff von der Lei­tung ge­ge­ben, aber die­ses Mal hat­te er nicht lan­ge vor­ge­hal­ten. Enno Klu­ge sah doch auch, was hier ge­spielt wur­de, die brauch­ten je­den Tag Ar­bei­ter, so leicht war­fen die ihn nicht raus!

      Dann wa­ren ganz rasch drei Bum­mel­ta­ge hin­ter­ein­an­der ge­kom­men. Er hat­te da so eine rei­zen­de Wit­we ken­nen­ge­lernt, nicht mehr ganz jung, ein biss­chen sehr aus dem Leim ge­gan­gen, aber ent­schie­den et­was Bes­se­res als sei­ne bis­he­ri­gen Wei­ber. Hat­te sie doch ein gut­ge­hen­des Tier­ge­schäft in der Nähe des Kö­nigs­tors! Sie han­del­te mit Vö­geln und Fi­schen und Hun­den, sie hat­te Fut­ter und Hals­bän­der und Sand und Hun­de­ku­chen und Mehl­wür­mer. Es gab Schild­krö­ten bei ihr, Laub­frösche, Sala­man­der, Kat­zen … Ein Ge­schäft, das wirk­lich was trug, und sie war eine tüch­ti­ge Frau, eine rich­ti­ge Ge­schäfts­frau.

      Er hat­te sich ihr ge­gen­über als Wit­wer aus­ge­ge­ben, er hat­te sie auch glau­ben ge­macht, Enno sei sein Nach­na­me, sie nann­te ihn Häns­chen. Be­stimmt, er hat­te Chan­cen bei der Frau, das hat­te er wäh­rend der drei Bum­mel­ta­ge, die er ihr im Ge­schäft half, gut ge­se­hen. So ein Männ­lein, das nach ei­nem biss­chen Zärt­lich­keit ver­lang­te, war ihr gra­de recht. Sie war in den Jah­ren, da ei­ner Frau angst wird, ob sie für ihre al­ten Tage noch einen Mann ab­kriegt. Na­tür­lich wür­de sie ihn hei­ra­ten wol­len, aber das Ding konn­te er auch schon ir­gend­wie hin­dre­hen, dass es pass­te. Schließ­lich gab es jetzt Kriegs­trau­un­gen, wo die Un­ter­la­gen so ge­nau nicht ge­prüft wur­den, und we­gen der Eva brauch­te er kei­ne Be­den­ken zu ha­ben. Die wür­de froh sein, ihn für im­mer los­zu­wer­den, die wür­de den Mund schon hal­ten!

      Da war plötz­lich bren­nend in ihm der Wunsch auf­ge­taucht, sich erst ein­mal ganz von der Fa­brik frei zu ma­chen. Er muss­te ja so­wie­so krank spie­len, jetzt, da er schon drei Tage ohne Ent­schul­di­gung ge­fehlt hat­te. Da woll­te er auch rich­tig krank sein! Und wäh­rend die­ser Krank­heit wür­de er die Sa­che mit der Wit­we Hete Hä­ber­le schon rich­tig zum Klap­pen brin­gen. Jetzt ekel­te es ihn bei der Lot­te; er konn­te die­se Wirt­schaft nicht län­ger er­tra­gen, ihr Ge­quas­sel nicht, ihre Män­ner nicht und am we­nigs­ten ihre Zärt­lich­keit, wenn sie an­ge­trun­ken war. Nein, in drei, vier Wo­chen woll­te er ver­hei­ra­tet sein und eine or­dent­li­che Wirt­schaft ha­ben! Dazu muss­te ihm der Arzt ver­hel­fen.

      Erst Num­mer 24, es dau­ert im­mer noch eine hal­be Stun­de, bis Enno dran­kommt. Ganz me­cha­nisch steigt er über all die Füße weg und steht wie­der auf dem Flur. Trotz der bis­si­gen Sprech­stun­den­hil­fe wird er noch eine Zi­ga­ret­te auf dem Klo sto­ßen. Er hat Glück, er ge­langt un­ge­se­hen auf die Toi­let­te, aber kaum hat er die ers­ten paar Züge ge­macht, so rüt­telt die­ses Weibs­bild doch wie­der an der Tür.

      »Sie sind ja schon wie­der auf der Toi­let­te! Sie rau­chen ja schon wie­der!«, schreit sie. »Ich weiß ge­nau, dass Sie es sind! Wol­len Sie wohl ma­chen, dass Sie raus­kom­men, oder muss ich erst den Herrn Dok­tor ho­len?«

      Wie sie schreit, wie ekel­haft sie schreit! Da gibt er lie­ber gleich nach, wie er stets lie­ber nach­gibt als wi­der­steht. Er lässt sich von ihr in den War­te­raum ja­gen, er sagt nicht ein Wort zu sei­ner Ent­schul­di­gung. Und da lehnt er nun wie­der ge­gen die Wand und war­tet, dass sei­ne Num­mer dran­kommt. Die wird ihn schön beim Arzt ver­kla­gen, die­se ver­damm­te Kreuzot­ter, die!

      Die Sprech­stun­den­hil­fe hat den klei­nen Enno Klu­ge auf sei­nen Platz ge­jagt, sie geht zu­rück über den Flur. Dem hat sie es aber be­sorgt!

      Da sieht sie eine Kar­te am Bo­den lie­gen, et­was ent­fernt vom Brief­kas­ten­schlitz. Die Kar­te hat vor fünf Mi­nu­ten noch nicht hier ge­le­gen, als sie dem letz­ten Pa­ti­en­ten öff­ne­te, das weiß sie ge­nau. Und es hat gar nicht ge­klin­gelt, jetzt ist doch über­haupt nicht die Zeit für Post­zu­stel­lung.

      All das hat die Hil­fe flüch­tig ge­dacht, wäh­rend sie sich nach der Kar­te bück­te, und spä­ter weiß sie es auch ganz ge­nau, dass sie schon da, ehe sie die Kar­te in Hän­den hielt, ehe sie noch ge­se­hen hat­te, was mit ihr los war, dass sie da schon das Ge­fühl hat­te, es war die­ser klei­ne, schlei­chen­de Mann, der et­was da­mit zu schaf­fen hat­te.

      Sie wirft nur einen Blick auf den Text, liest ein paar Wor­te und stürzt auf­ge­regt zum Arzt in das Be­hand­lungs­zim­mer. »Herr Dok­tor! Herr Dok­tor! Was ich da eben auf un­serm Flur ge­fun­den habe!«

      Sie un­ter­bricht die Kon­sul­ta­ti­on, sie er­reicht, dass der halb­aus­ge­zo­ge­ne Pa­ti­ent in ein Ne­ben­zim­mer ge­schickt wird, dann gibt sie dem Arzt die Kar­te zu le­sen. Sie kann es kaum ab­war­ten, dass er zu Ende ge­le­sen hat, und schon be­rich­tet sie von ih­rem Ver­dacht: »Es kann wirk­lich kein an­de­rer ge­we­sen sein als die­ser klei­ne Schlei­cher! Gleich war er mir un­sym­pa­thisch mit sei­nem scheu­en Blick! Und das ver­kör­per­te schlech­te Ge­wis­sen, nicht einen Au­gen­blick hat er sich ru­hig hal­ten kön­nen, im­mer auf den Flur raus, zwei­mal hab ich ihn von der Toi­let­te ge­jagt! Und wie ich das zum zwei­ten Mal tat, da hat hin­ter­her die Kar­te auf dem Flur ge­le­gen! Von au­ßen kann sie gar nicht ein­ge­wor­fen sein, da­für hat sie viel zu weit ab vom Brief­kas­ten­schlitz ge­le­gen! Herr Dok­tor, ru­fen Sie gleich die Po­li­zei an, ehe der Kerl weg­schleicht! O Gott, er kann jetzt schon weg sein, ich muss gleich ein­mal nach­se­hen …«

      Da­mit stürzt sie aus dem Be­hand­lungs­zim­mer, die Tür hin­ter sich weit of­fen­las­send.

      Der Arzt steht da, die Kar­te noch im­mer in der Hand. Es ist ihm äu­ßerst pein­lich, dass so was gra­de in sei­ner Sprech­stun­de pas­sie­ren muss! Gott­lob, dass die Hil­fe die Kar­te fand und dass er nach­wei­sen kann, dass er seit zwei Stun­den sein Zim­mer nicht ver­las­sen hat, nicht ein­mal auf der Toi­let­te ist er ge­we­sen. Das Mäd­chen hat recht, das Bes­te ist, gleich die Po­li­zei an­zu­ru­fen. Er fängt an, im Te­le­fon­buch nach der Num­mer sei­nes Re­viers zu su­chen.

      Das Mäd­chen sieht durch die of­fen ge­blie­be­ne Tür. »Er ist noch da, Herr Dok­tor!«, flüs­tert sie. »Er denkt na­tür­lich, so kann er den Ver­dacht von sich ab­len­ken. Aber ich bin ganz si­cher …«

      »Es ist gut«, un­ter­bricht der Arzt die Auf­ge­reg­te. »Ma­chen Sie