böse auf ihn geworden sind, und nun wollen sie ihn entweder ins KZ oder in eine Strafkompanie stecken. Natürlich erzählt Enno Kluge nichts von seiner Arbeitsscheu, aber er denkt, das wird der Bulle auch so kapieren.
Und damit hat er sogar recht, der Bulle kapiert das ganz gut, was für ein windiges Früchtchen dieser Enno Kluge ist. »Ja, Herr Kommissar, und wie ich Sie da sah und die Uniform von dem Herrn Wachtmeister, und ich saß doch grade beim Doktor, um mich krankschreiben zu lassen, da habe ich gedacht, nun ist es so weit, nun holen sie dich ins KZ, und da bin ich denn losgelaufen …«
»Soso«, sagt der Assistent. »Soso!« Er überlegt eine Weile und sagt dann: »Aber es scheint mir, Sohn, dass du gar nicht mehr so recht glaubst, dass wir deswegen hier sind.«
»Nein, eigentlich nicht«, gibt Kluge zu.
»Und warum glaubst du das nicht mehr, Sohn?«
»Weil Sie mich da doch viel einfacher in der Fabrik oder in meiner Wohnung festnehmen könnten.«
»Also, ’ne Wohnung hast du auch, Sohn?«
»Aber natürlich, Herr Kommissar. Meine Frau ist doch bei der Post, ich bin richtig verheiratet. Meine beiden Jungen stehen im Felde, der eine ist bei der SS in Polen. Ich habe auch Papiere hier, ich kann Ihnen alles beweisen, was ich gesagt habe, wegen der Wohnung und wegen meiner Arbeitsstelle.«
Und Enno Kluge zieht sein schäbiges, abgegriffenes Brieftäschchen hervor und fängt an, Papiere vorzusuchen.
»Deine Papiere lass jetzt mal stecken, Sohn«, sagt der Assistent abweisend. »Das hat später auch noch Zeit …«
Er versinkt in Nachdenken, und alles schweigt nun.
Der Arzt aber hinter seinem Schreibtisch fängt eilig an zu schreiben. Vielleicht hat er doch Gelegenheit, diesem kleinen Männlein da, das von einer Angst in die andere gejagt wird, einen Krankenschein zuzustecken. Gallenleiden hat er gesagt, nun also. Das sind doch Zeiten, wo man dem anderen helfen muss, wenn’s nur irgend geht!
»Was schreiben Sie denn da, Doktor?«, fragt der Assistent, plötzlich aus seinem Nachdenken hochfahrend.
»Krankengeschichten«, erklärt der Arzt. »Ich will die Zeit ein bisschen nutzbringend verwenden, ein Haufen Menschen sitzt da noch in meinem Sprechzimmer.«
»Richtig, Doktor«, sagt der Assistent und steht auf. Er hat seinen Entschluss gefasst: »Da wollen wir Sie auch nicht länger aufhalten.«
Die Geschichte dieses Enno Kluge kann wahr sein, sie ist sogar höchstwahrscheinlich wahr, aber der Assistent wird das Gefühl nicht los, dass da noch irgendetwas anderes dahintersteckt, dass er nicht die ganze Geschichte zu hören bekommen hat. »Na, denn komm, mein Sohn! Du begleitest uns doch noch ein paar Schritte? O nein, nicht bis zum Alex, nur hierher auf unser Revier. Ich will mich doch gerne noch ein bisschen mit dir unterhalten, mein Sohn, so ein munterer Knabe wie du bist, und den Onkel Doktor dürfen wir hier auch nicht länger aufhalten.« Er sagt zum Wachtmeister: »Nein, keine Fessel. Er geht schon so fein brav mit, ist ja ein kluges Kind. Heil Hitler, Herr Doktor, und schönen Dank!«
Sie sind schon an der Tür, es sieht alles genauso aus, als wollten sie wirklich gehen. Aber da zieht der Assistent plötzlich die Karte, die Quangel’sche Karte, aus der Tasche, hält sie dem Enno Kluge unter die Nase und sagt zu dem Überraschten ganz scharf: »Da, lies uns das mal vor, Sohn! Aber ganz schnell, ohne zu zucken und zu stottern!«
So sagt er ganz bullenmäßig.
Aber schon, als der Assistent sieht, wie der Kluge die Karte anfasst, wie sein glotzendes Auge immer verständnisloser wird, wie Kluge dann zu stammeln anfängt: »Deutscher, vergiss es nicht! Mit dem Anschluss von Österreich fing es an. Es folgte Sudetenland und die Tschechoslowakei. Polen wurde überfallen, Belgien, Holland« – schon da weiß der Assistent mit ziemlicher Gewissheit: Dieser Mann hat die Karte noch nie in Händen gehabt, hat nie ihren Inhalt gelesen, geschweige denn ihn schreiben können – der ist ja viel zu blöd für so was!
Und ärgerlich reißt er dem Enno Kluge die Karte wieder aus der Hand, sagt kurz »Heil Hitler!« und verlässt mit dem Schupo und seinem Festgenommenen das Behandlungszimmer.
Langsam zerreißt der Arzt wieder den für Enno Kluge vorbereiteten Behandlungsschein. Es war keine Gelegenheit, ihm den zuzustecken. Schade! Aber wahrscheinlich hätte er ihm doch nichts geholfen, vielleicht war dieser Mann, der den Schwierigkeiten der heutigen Zeit so wenig gewachsen schien, doch bereits zum Untergang verurteilt. Vielleicht konnte ihm keine Hilfe von außen wirklich helfen, weil nichts Festes in ihm war.
Schade …
24. Das Verhör
Wenn der Kriminalassistent trotz seiner festen Überzeugung, der Enno Kluge komme weder als Schreiber noch als Verbreiter der Karten in Frage, wenn er trotzdem in seiner telefonischen Meldung beim Kommissar Escherich durchblicken ließ, der Kluge sei doch wohl Verbreiter dieser Pamphlete, so tat er es darum, weil ein kluger Untergebener nie die Ansichten seines Vorgesetzten vorwegnehmen soll. Gegen den Kluge lag eine feste Anzeige der Sprechstundenhilfe Fräulein Kiesow vor, und ob die nun begründet war oder nicht, das mochte der Herr Kommissar selber herausfinden.
War sie begründet, so war der Assistent ein fähiger Mann und des Wohlwollens des Kommissars sicher. War sie aber nicht begründet, so war der Kommissar klüger als der Assistent, und so ein Klügersein des Vorgesetzten ist für den Untergebenen oft bekömmlicher als alle Tüchtigkeit.
»Nun?«, sagte der lange, graue Escherich und storchte hinein in das Revier. »Nun, Kollege Schröder? Wo haben Sie denn Ihren Fang?«
»In der hintersten Zelle links, Herr Kommissar.«
»Hat der Klabautermann gestanden?«
»Wer? Klabautermann? Ach so, ich verstehe! Nein, Herr Kommissar, ich habe ihn natürlich nach unserm Telefongespräch sofort abführen lassen.«
»Gut!«, lobte Escherich. »Und was weiß er von den Karten?«
»Ich habe«, sagte der Assistent vorsichtig, »ihn die aufgefundene Karte einmal vorlesen lassen. Den Anfang, heißt das.«
»Eindruck?«
»Ich möchte da nicht vorgreifen, Herr Kommissar«, sagte der Assistent vorsichtig.
»Nicht zu ängstlich, Kollege Schröder! Eindruck?«
»Mir erscheint es jedenfalls unwahrscheinlich, dass er der Schreiber dieser Karte ist.«
»Warum?«
»Ist nicht sehr helle. Außerdem furchtbar verängstigt.«
Der