Hans Fallada

Hans Fallada – Gesammelte Werke


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wer­den, also, Herr Klu­ge!«

      So sanft boh­ren­dem Zu­re­den war Enno Klu­ge ei­gent­lich nie in sei­nem Le­ben ge­wach­sen ge­we­sen. Er stand zwei­felnd da. Die Frei­heit lock­te, und mit der Fa­brik wür­de auch al­les in Ord­nung kom­men, wenn er die­sen Mann da nicht vor den Kopf stieß. Er hat­te eine schreck­li­che Angst da­vor, die­sen net­ten Kom­missar vor den Kopf zu sto­ßen. Dann be­ar­bei­te­te wo­mög­lich der Bul­le den Fall wei­ter, und der wür­de ihn ei­nes Ta­ges doch noch dazu brin­gen, den Ein­bruch bei der Ro­sen­thal zu ge­ste­hen. Dann war Enno Klu­ge ver­lo­ren, der SS-Mann Per­si­cke …

      Er konn­te wirk­lich dem Kom­missar den Ge­fal­len tun – was war ei­gent­lich da­bei? Es war so ’ne Quatsch­kar­te, ir­gend­was Po­li­ti­sches, mit dem er nie was zu tun ge­habt hat­te, wo­von er nichts ver­stand. Und der Mann in der Frank­fur­ter Al­lee wür­de wirk­lich nie zu fin­den sein, weil es ihn ein­fach nicht gab. Ja, er woll­te dem Kom­missar den Ge­fal­len tun und un­ter­schrei­ben.

      Aber dann warn­te ihn wie­der sei­ne an­ge­bo­re­ne Vor­sicht, sei­ne Ängst­lich­keit. »Ja«, sag­te er, »und wenn ich un­ter­schrie­ben habe, dann las­sen Sie mich doch nicht frei.«

      »Aber! Aber!«, sag­te der Kom­missar Esche­rich und sah sein Spiel schon so gut wie ge­won­nen. »We­gen so ’ner Drecks­kar­te, und wo Sie mir doch einen Ge­fal­len tun. Ich gebe Ih­nen mein Ehren­wort, Herr Klu­ge, als Kri­mi­nal­kom­missar und als Mensch: So­bald Sie das Pro­to­koll un­ter­schrie­ben ha­ben, sind Sie frei.«

      »Und wenn ich nicht un­ter­schrei­be?«

      »Sind Sie na­tür­lich auch frei!«

      Enno Klu­ge ent­schloss sich. »Also, ich werd es un­ter­schrei­ben, Herr Kom­missar, da­mit Sie kei­ne Unan­nehm­lich­kei­ten ha­ben, und ich tu Ih­nen auch mal einen Ge­fal­len. Aber Sie ver­ges­sen das nicht mit mei­ner Fa­brik?«

      »Wird heu­te noch er­le­digt, Herr Klu­ge. Heu­te noch! Las­sen Sie sich da mor­gen mal ein biss­chen se­hen, und un­ter­las­sen Sie über­haupt die­se blö­de Krank­schrei­be­rei! Mal einen Tag blau, sa­gen wir ein­mal in der Wo­che, da wird nie­mand mehr ein Wort sa­gen, wenn ich mit de­nen ge­spro­chen habe. Soll es so recht sein, Herr Klu­ge?«

      »Aber na­tür­lich! Ich bin Ih­nen sehr dank­bar, Herr Kom­missar!«

      So spre­chend, wa­ren sie über den Zel­len­gang wie­der in der Stu­be an­ge­langt, wo der As­sis­tent Schrö­der war­tend saß, ge­spannt, wie das Ver­hör aus­ge­fal­len sein wür­de, und im Voraus schon in sein Schick­sal er­ge­ben, wenn es doch et­was setz­te. Er sprang auf, als die bei­den ein­tra­ten.

      »Na, Schrö­der«, sag­te der Kom­missar lä­chelnd und deu­te­te mit dem Kopf auf Klu­ge, der klein und ängst­lich bei ihm stand, denn der Bul­le sah ihn schon wie­der so furcht­ein­flö­ßend an. »Da ha­ben Sie un­sern Freund. Er hat mir eben zu­ge­ge­ben, dass er die Kar­te bei dem Dok­tor auf den Flur ge­legt hat, er hat sie von ei­nem Herrn auf der Frank­fur­ter Al­lee be­kom­men …«

      Der Brust des As­sis­ten­ten ent­rang sich ein Laut wie Stöh­nen. »Den Don­ner!«, sag­te er dann. »Aber er kann doch gar nicht …«

      »Und jetzt«, fuhr der Kom­missar un­be­rührt fort, »und jetzt ma­chen wir bei­de hier nur ein klei­nes Pro­to­koll, und dann geht der Herr Klu­ge nach Haus. Ist frei. Stimm­t’s, Herr Klu­ge, oder stimm­t’s nicht?«

      »Ja«, ant­wor­te­te Klu­ge, aber nur ganz lei­se, denn die Ge­gen­wart des Bul­len flö­ßte ihm im­mer neue Be­den­ken und neue Angst ein.

      Der As­sis­tent aber stand ganz däm­lich da. Der Klu­ge hat­te die Kar­te nicht hin­ge­legt, nie und nie im Le­ben, das stand für ihn fest. Und nun war der Klu­ge doch be­reit, das Ge­gen­teil zu un­ter­schrei­ben.

      Was für ein Fuchs, die­ser Esche­rich! Wie er das wohl er­reicht ha­ben moch­te? Schrö­der ge­stand sich – nicht ohne Neid – ein, dass die­ser Esche­rich ihm weit über­le­gen war. Und dann, nach sol­chem Ge­ständ­nis, den Bur­schen auch noch frei­las­sen! Nicht zu ver­ste­hen, nicht zu durch­schau­en! Na, es gab eben im­mer noch Klü­ge­re, so schlau man sich auch vor­kam.

      »Hö­ren Sie, Kol­le­ge«, sag­te Esche­rich, der jetzt die Ver­blüf­fung des As­sis­ten­ten ge­nug ge­nos­sen hat­te, »Sie könn­ten ei­gent­lich einen Gang für mich tun, jetzt gleich, aufs Prä­si­di­um.«

      »Zu Be­fehl, Herr Kom­missar!«

      »Sie wis­sen, ich habe da doch die­sen Fall – wie hieß er doch gleich? –, ach ja, die­sen Fall Kla­bau­ter­mann. Sie er­in­nern sich doch, Kol­le­ge?«

      Die Au­gen bei­der tra­fen sich und ver­stan­den sich.

      »Also, Herr Schrö­der, Sie ge­hen für mich aufs Prä­si­di­um und sa­gen dem Kol­le­gen Lin­ke – aber set­zen Sie sich doch, Herr Klu­ge, ent­schul­di­gen Sie, ich will dem Kol­le­gen nur noch ein paar Wor­te sa­gen.«

      Er ging mit dem As­sis­ten­ten zur Tür. Er flüs­ter­te: »For­dern Sie dort zwei Leu­te an. Sol­len so­fort hier­her­kom­men, tüch­ti­ge Leu­te zum Be­schat­ten. Die­ser Klu­ge wird vom Ver­las­sen des Re­viers an ohne Un­ter­bre­chung be­schat­tet. Mel­dung über sei­ne Wege alle zwei, drei Stun­den, wie’s passt, te­le­fo­nisch zu mir auf die Ge­sta­po. Deck­wort: Kla­bau­ter­mann. Zei­gen Sie den bei­den Leu­ten den Mann, sie sol­len sich ab­lö­sen. Und kom­men Sie wie­der hier rein, wenn die Män­ner be­reit­ste­hen. Dann lass ich das Häs­chen hier lau­fen.«

      »Geht al­les in Ord­nung, Herr Kom­missar. Heil Hit­ler!«

      Die Tür klapp­te, der Bul­le war ge­gan­gen. Ne­ben Enno Klu­ge setz­te sich der Kom­missar und sag­te: »Also den wä­ren wir los! Den mö­gen Sie wohl nicht sehr ger­ne, Herr Klu­ge?«

      »Nicht so sehr wie Sie, Herr Kom­missar!«

      »Ha­ben Sie ge­se­hen, was der für Au­gen mach­te, als er hör­te, ich las­se Sie lau­fen? Der hat jetzt eine schö­ne Wut im Bauch! Des­we­gen habe ich ihn ja gra­de weg­ge­schickt, den kann ich bei un­serm klei­nen Pro­to­koll nicht brau­chen. Hät­te uns im­mer­zu rein­ge­re­det. Ich las­se nicht mal ein Tipp­fräu­lein kom­men, klie­re die paar Zei­len lie­ber al­lein. Ist ja doch nur eine Ab­ma­chung un­ter uns, da­mit ich vor mei­nen Vor­ge­setz­ten we­gen Ih­rer Frei­las­sung ein biss­chen ge­deckt bin.«

      Und nach­dem er so den klei­nen Angst­pe­ter wie­der ein biss­chen be­ru­higt hat­te, nahm er die Fe­der und be­gann zu schrei­ben. Manch­mal sag­te er laut und deut­lich, was er schrieb (wenn er das schrieb, was er laut sag­te, was bei ei­nem so ge­ris­se­nen Kri­mi­na­lis­ten, wie es der Esche­rich war, nicht ein­mal so ganz si­cher war), manch­mal mur­mel­te er nur. Klu­ge konn­te nicht recht ver­ste­hen, was er sag­te.

      Er sah nur, es wur­den nicht nur ein paar Zei­len, es wur­den drei, es wur­den fast vier Ak­ten­sei­ten. Aber das in­ter­es­sier­te ihn im Au­gen­blick noch nicht ein­mal so sehr, ihn in­ter­es­sier­te bloß, ob er jetzt wirk­lich gleich frei­kam. Er sah nach der Tür hin. Mit ei­nem ra­schen Ent­schluss stand er auf, ging zu ihr hin und öff­ne­te sie ein we­nig …

      »Klu­ge!«, rief es hin­ter ihm, aber nicht be­feh­lend. »Herr Klu­ge, ach bit­te!«

      »Ja?«, frag­te er und sah zu­rück. »Ich darf wohl doch nicht ge­hen?« Er lä­chel­te ängst­lich.

      Der Kom­missar sah ihn, den Fe­der­hal­ter in der Hand, mit ei­nem