sich vor, noch heute mit dem Vertriebsleiter die Planung für das Quartal durchzusprechen. Das ist zwischen den beiden ein heikles Thema, da sich der Produktionschef von seinem Vertriebskollegen ständig übergangen fühlt und deshalb dagegen wehrt, die Folgen seiner Schnellschüsse ausbaden zu müssen.
Bei inaktivem Systemwissen bleiben nur vage Ahnungen
Auch in dieser Situation hat seine »Ahnung« den Produktionsleiter nicht getrogen. Er erlebt zum wiederholten Male, wie der Vertrieb sich einfach über seine Vorgaben hinwegsetzt. Der Vertriebsmann dagegen ist empört, dass er für diesen Spitzenauftrag keine Anerkennung, sondern nur »Nörgelei« erntet. Es kracht wieder einmal zwischen den beiden. Der Konflikt verschärft sich zu einer Dauerspannung, die klare Kommunikation und gute Lösungen erschwert. Mit moderierten Klärungsgesprächen kamen Produktionschef und Vertriebschef bislang nicht weiter. Hier könnte die Aufstellungsmethode helfen, die systemische Dynamik ans Licht zu bringen, den Konflikt zu lösen und das Spannungsfeld für die Zukunft zu harmonisieren. In einer Aufstellung wird das Systemwissen bewusst aktiviert. Im zweiten Kapitel erfahren Sie, wie diese Methode funktioniert.
Was nützt es Ihnen nun konkret, das Informationsfeld in Ihrem Unternehmen bewusst zu machen?
Ebenso wie der Einblick ins eigene Unbewusste Menschen von manchem Ungemach befreien kann, fördert auch die Erkenntnis systemischer Barrieren in einem Unternehmen die Entwicklung neuer Lösungen. Verschüttete Ressourcen werden freigesetzt und die tägliche Zusammenarbeit wird erleichtert.
Wenn die systemischen Prinzipien nicht befolgt werden, die Unternehmen reibungslos funktionieren lassen, können Probleme entstehen. Würde man einen Formel 1-Rennwagen mit Diesel betanken, wären selbst für den besten Fahrer aus der Poleposition die Siegeschancen gleich null. Er scheiterte nicht an seinem Können, sondern an den notwendigen Folgen einer Übertretung technischer Gesetze.
Systemgesetze sind einfach und sinnvoll
Bei Naturgesetzen und Systemgesetzen gilt, wie in manchen Strafgesetzbüchern auch, dass Unwissenheit nicht vor Strafe schützt. Nun wissen wir zwar alle über den richtigen Kraftstoff für unser Fahrzeug Bescheid, betanken aber die eigene biologische Hochleistungsmaschine, unseren Körper, oft nicht mit Super, sondern mit Diesel. Natürlich wissen wir, wenn wir unsere kleinen Ernährungssünden begehen, um die kombinierte Wirkung von Cholesterin, Stress und Bewegungsmangel. Wissen allein genügt aber offensichtlich nicht, um zielführend zu handeln. Wir lernen folglich entweder durch Einsicht oder durch Leiden. Wenn die Einsicht nicht zu Konsequenzen führt, lässt uns spätestens die Konfrontation mit akuten Folgen anhalten und nach Lösungen suchen.
1.2 Das Gewissen als systemischer Kompass
Beim einzelnen Menschen wie in Organisationen führt eine besondere Kraft zum Ziel oder auf Abwege: das Gewissen. So, wie wir es hier verstehen, hat es mit moralischen Prinzipien oder hehren Idealen wenig zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Art Kompass, der uns sagt, ob wir uns auf dem richtigen Kurs befinden. Mit unserem systemischen Gewissen verfügen wir über eine Art sozialen Orientierungssinn, der uns nicht über »gut« und »böse« im moralischen Sinne informiert, sondern darüber, ob wir uns in unserem Umfeld auf dem richtigen Kurs befinden.*
Das Gewissen zeigt uns, wo es langgeht – völlig moralinfrei
Dieser innere Kompass zeigt ganz sachlich und amoralisch stets genau nach Norden. Was aber »Norden« ist, wo es also entlanggeht in einem Unternehmenssystem, kann sich von anderen, ähnlichen Systemen radikal unterscheiden. In einem traditionsreichen, mittelständischen deutschen Familienunternehmen können z. B. Pünktlichkeit, Genauigkeit und engagierte Leistungsbereitschaft im »Norden« liegen, also die gemeinsame Orientierung für alle Systemmitglieder darstellen. Werte wie Pünktlichkeit und Genauigkeit, dazu Normen wie freiwillige, unbezahlte Mehrarbeit geben in diesem System das »Was« und das »Wie« an. Also: »Was wollen wir erreichen? Exakt gefertigte Produkte pünktlich an den Kunden ausliefern. Wie wollen wir es erreichen? Mit hohem individuellen Einsatz.«
Ob nun extrem hoher Einsatz auch effektiv ist und wirtschaftlichen Erfolg bringt, ist zumindestens fraglich. Aber darum geht es nicht. Denn »Effektivität« liegt nicht im »Norden« dieses Unternehmens. Keine Frage also, dass alle Unternehmensangehörigen, vom jüngsten Azubi bis zum Chef, auf systemeigene Weise »eingenordet« sind. Jedes Mitglied dieses Systems hat ein gutes Gewissen, wenn es voll engagiert in den Abend und ins Wochenende hinein arbeitet, und ein schlechtes, wenn es sich einmal eine längere Pause gönnt. So weit durchaus nichts Ungewöhnliches, denn die beschriebene Orientierung ist bei uns gesellschaftlich, also in einem größeren systemischen Zusammenhang, akzeptiert und sehr verbreitet.
Die amoralische (nicht unmoralische) Qualität des systemischen Gewissens wird deutlich, wenn wir uns jetzt im Kontrast zu obigem Beispiel einer Mafiaorganisation zuwenden. Dieses Gewissen arbeitet keinen Deut anders. Ein Angehöriger dieser kriminellen Vereinigung hat ein völlig reines Gewissen, wenn er beispielsweise von den Restaurantbesitzern seines Reviers ein hohes Schutzgeld erpresst. Sowohl das »Was« als auch das »Wie« liegen exakt im »Norden« seines Systems. Er wird von seinen Kollegen und Vorgesetzten neben seinem Anteil ein anerkennendes Schulterklopfen ernten, das ihm sagt: »Du machst es richtig. Du gehörst zu uns!«
Dazugehören – koste es, was es wolle
Zugehörigkeit zum eigenen System bedeutet Überleben. Dieses Erbe bringen wir aus dem Tierreich mit, dessen verschiedene Evolutionsstadien in unseren Verhaltensprogrammen gespeichert sind. Für unsere nächsten Verwandten, die Säugetiere, ist die Zugehörigkeit zum Rudel oder zur Herde lebensentscheidend. Das verirrte Schaf ist ebenso verloren wie der ausgestoßene Junglöwe.
Da wir die denkbar stärkste Motivation besitzen, zu unserem jeweiligen sozialen System zu gehören, ist es enorm schwierig, kontraproduktives Verhalten, das im gesamten Unternehmen auftritt, zu verändern!
Wenn z. B. hochwertige, präzise mechanische Fertigung im Gegensatz zur gefragten Schnelligkeit und Kostengünstigkeit steht, gibt es Probleme. Was nützen perfekte, hochwertige Produkte, wenn niemand sie kauft, weil der Kunde mit schnell lieferbarer und zudem billigerer Elektronik sein Ziel auch erreicht? Es wäre höchste Zeit zur Umorientierung! Dazu müssten die Unternehmensführer und Mitarbeiter jedoch gegen ihr systemisches Gewissen verstoßen.
Beispiel Maschinenbau
Die Krise des deutschen Maschinenbaus hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass sie genau das nicht tun, selbst wenn der Untergang die unausweichliche Folge ist. Lieber zahlen Mitglieder eines zwischenmenschlichen Systems diesen Preis, als gegen ihr systemisches Gewissen zu verstoßen. Verstärkt wurde diese Haltung im deutschen Maschinenbau mit einer in den Jahren des Erfolgs aufgebauten überheblichen Überzeugung, dass gute deutsche Wertarbeit durch Elektronik nicht zu ersetzen sei – schon gar nicht durch asiatische. Wäre zu Beginn der Maschinenbaukrise eine systemische Simulation mittels Aufstellung erfolgt, hätte man sehen können, welche Wirkung die Einstellung der deutschen Industrie zu elektronischen Neuerungen und zur asiatischen Konkurrenz auslösen musste. Ein klarer Blick auf zukünftige Folgen hätte rechtzeitiges Gegensteuern ermöglicht.
1.3 Die verborgenen Führungsleitlinien
Systemgesetze wirken im Verborgenen
Wer oder was bestimmt eigentlich Ihre Unternehmensstrategien? Betriebswirtschaftliche Berechnungen allein sind es wohl kaum. Im letzten Jahrzehnt haben wir einen Boom von »weichen« Faktoren erlebt. Corporate Identity, Unternehmensphilosophie und Visionsentwicklung sind in aller Munde. Aus den USA importieren wir jetzt den Trend, im »Humankapital« den eigentlichen betriebswirtschaftlichen Engpass zu erkennen. Wie auch immer Sie Ihre Ziele definieren und Ihre Strategien ableiten: Ihr Unternehmen arbeitet nicht nur nach selbst gestellten Aufgaben und Zielen. Es ist auch von unsichtbaren Gesetzen bestimmt, die im Verborgenen äußerst kraftvoll wirken – zum Guten wie zum Schlechten.
Weil sie im