Alexander von Humboldt

Amerikanische Reise 1799-1804


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seines neuen 14-zölligen Hadleyschen Sextanten üben und nochmals mit Werner in Freiberg sprechen.64 Kunth und Wilhelm v. Humboldt sollten sich in Dresden mit der Reisegesellschaft treffen, um die Erbteilung endgültig zu regeln. Wilhelm war der Umweg recht wegen der Kunstschätze und der Anwesenheit Körners.

      Die politischen Umstände waren der Reise ungünstig. Bonaparte war 1796 in Oberitalien vorgedrungen und hatte die Österreicher geschlagen; am 2. Februar 1797 hatte sich Mantua ergeben. Bonaparte drang über die Ostalpen nach Wien vor. Gleichzeitig marschierte die Rheinarmee unter Moreau wieder in Süddeutschland ein. Das schnelle Vorrücken veranlasste Kaiser Franz II., seine Völker zur Massenerhebung aufzurufen. Bonaparte schloss am 18. April den Vorfrieden zu Leoben. Er kehrte nach Oberitalien zurück, besetzte Venedig und errichtete in Genua am 6. Juni 1797 die Ligurische Republik. Die Friedensverhandlungen zögerten sich hinaus, weil die Österreicher den hohen Forderungen der Franzosen nicht zustimmen konnten.

      Die Haeftens hatten ihre zwei Kinder mitgebracht und so viel Gepäck, dass Alexander nicht in ihrem Wagen mitfahren konnte. Die Reisegesellschaft war durch die fünf Kinder, die Frauen in ihrer modischen Tracht, das Dienstpersonal und durch »4 Kisten«65, die Alexanders Instrumente enthielten, recht unbeweglich. Man reiste in mehreren Wagen und kam Anfang Juni in Dresden an.

      Nach acht Tagen kam auch Wilhelm von Humboldt. Er verkehrte mit Körner, dem Freund Schillers, mit dem Bibliothekar und Sprachforscher Adelung und dem preußischen Gesandten, dem Grafen von Kessler, und bewunderte die Kunstschätze. Alexander aber übte sich, wie er es beabsichtigt hatte66, unter Anleitung Johann Gottfried Köhlers in der Anwendung der Instrumente und nahm regelrechte astronomische, geodätische und hypsometrische Übungen vor. Köhler stammte aus der Umgebung Dresdens; er war einer der führenden Astronomen Deutschlands. 1776 war er zum Inspektor der Vereinigten Dresdner Sammlungen, der Kunstkammer und des Mathematischen Salons ernannt worden und musste in dieser Eigenschaft auch astronomische Arbeiten ausführen. Er hatte mehrere Apparate erfunden und arbeitete mit v. Zach zusammen. Auf dem internationalen Astronomenkongress 1798 auf dem Seeberg führte er seine verbesserte Pendeluhr vor.67 In und um Dresden, Pillnitz, Königstein, Teplitz und Prag hat Humboldt mit ihm oder allein astronomische Ortsbestimmungen und barometrische Messungen durchgeführt.68 Außerdem besuchte er die Mineraliensammlung des Freiherrn Joseph Friedrich v. Racknitz, die spanische und amerikanische Mineralien enthielt.69 Vielleicht hat er in diesem Umkreis auch den Baron v. Forell, den Bruder des sächsischen Gesandten in Madrid, kennengelernt, der ebenfalls eine vorzügliche Gesteinssammlung besaß. Jedenfalls gab es damals gute Verbindungen von Dresden nach Madrid. Sie sollten für ihn einmal sehr wichtig werden.

      Zwischendurch reiste er von Dresden nach Freiberg – mit ängstlichen Gefühlen, da er befürchtete, in seinem Gedächtnis vielleicht ein zu schönes Phantasiebild der vergangenen Zeit bewahrt zu haben. Doch Freiberg, seine Landschaft und seine Gruben hatten sich nicht entzaubert, als er sie und seinen verehrten Lehrer Werner wiedersah, mit dem er nochmals persönlich über die Entstehung der Vulkane sprach. Der Vulkanismusstreit konnte durch Beobachtungen in anderen Ländern vielleicht entschieden werden, und es spricht für Humboldt, dass er seiner Reise möglichst viel zumutete und auch an die Lösung dieser Frage dachte, der er schon am Vesuv, am Stromboli und Ätna nachgehen wollte.70

      Von Freiberg reiste Humboldt nach Marienberg weiter, um dort Freiesleben zu treffen. Er übergab ihm, der nun als Bergassessor Dienst tat, die Materialien seines späteren Werks Ueber die unterirdischen Gasarten … zur Bearbeitung71, da er selbst dazu zeitlich nicht in der Lage war. Er hatte nur den Plan des Ganzen bestimmen und die unterirdische Meteorologie selbst bearbeiten können.72 Darin zeigt sich sein Wille, jetzt vor allem an die westindische Reise zu denken und die literarischen Arbeiten möglichst abzuschließen. Darum ließ er auch einen Kasten mit Manuskripten als »Catalecta phytologica« und über »Physik der Welt« [= Erde] bei Körner zurück. Es waren Vorarbeiten zu seiner Geschichte der Pflanzen und die ersten Ausführungen seiner »idée d’une physique du monde«, erste Schritte auf dem Wege zur Physikalischen Geographie.73 So konnte er sich neben den Reisevorbereitungen vor allem auf den Abschluss der umfangreichen »Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser« konzentrieren. Humboldt war sehr tätig, ohne den geselligen Verkehr am Hof und bei Körner zu vernachlässigen. In Dresden wurde die Erbschaft von Kunth geteilt. Alexander erhielt etwa 90 000 Taler und war damit im heutigen Sinne Millionär.74

      Da Caroline v. Humboldt wieder erkrankt war, verzögerte sich der Aufbruch. Alexander war ungeduldig geworden, die Italienfahrt sollte als Vorspiel einer großen Reise verwirklicht werden, aber er wusste noch nicht wann und wie. Die Napoleonischen Kriege ließen Schlimmes befürchten. So brach Alexander am 25. Juli 1797 von Dresden über Teplitz und Prag nach Wien auf und eilte der Familie seines Bruders voraus, mit Beobachtungen, in Prag auch mit Messungen beschäftigt.

      6. AUFENTHALT IN WIEN 1797

       Prof. Barth, »das genialischste Wesen in ganz Wien«

      In Wien öffnete sich ihm schon zum zweiten Mal der städtische Mittelpunkt Deutschlands. Hier hatte eine Atmosphäre des Ausgleichs Gelehrte verschiedenster Nationalität vereinigt. Humboldt kannte ihre Werke und gewann jetzt ihre Freundschaft. Schon 1792 hatte er in Wien »weit mehr Gutmüthigkeit und ächte Humanität als in Berlin« gefunden und damit selbst die wahren Gründe bezeichnet75, die ihn die deutsche Weltstadt der Zeit verehren ließen.

      Besuche bei Gelehrten, Experimente und schriftstellerische Arbeiten ließen Alexander kaum Zeit, sich den Haeftens zu widmen, die mit ihren beiden Kindern mehr für sich lebten. Haeften muss damals gefühlt haben, dass er dem Freund unter Umständen sogar lästig fallen konnte.76 Dieser verkehrte mit dem berühmten Mediziner und Naturwissenschaftler, dem »Malteser« Prof. Joseph Barth77, mit dem Arzt und Botaniker Nikolaus Thomas Host, mit dem Arzt und Chemiker Johann Baptist Andreas Ritter v. Scherer, dem Mediziner Johann Peter Frank, den beiden Jacquin, Franz Boos, dem jungen Josef van der Schot und vielen anderen.

      In Barth verehrte Humboldt »das genialischste Wesen in ganz Wien«.78 Sein Erfindungsreichtum, seine kauzige Art, seine Opferwilligkeit, sein Kunstverstand, seine anatomischen Kenntnisse hatten eine schwer zu beschreibende Harmonie erreicht und bestimmten den Charakter seiner Genialität. Barth war in Malta geboren worden, begann dort auch seine anatomischen Studien, die er später in Rom fortsetzte. Mit dem Kommandeur des Malteserordens kam er nach Wien, wurde dort einer der berühmtesten Augenärzte seiner Zeit und behandelte auch Kaiser Joseph II. erfolgreich. Den Bau des ersten anatomischen Theaters in Wien unterstützte er durch das Opfer seiner Bibliothek. Arme behandelte er kostenlos. In seiner Wohnung befanden sich kostbare antike Kunstschätze, Götterbilder, auch der berühmte Torso Ilioneus, den er dereinst in Prag, wo er auf einer Kegelbahn zum Schutz des Kegeljungen diente, für eine geringe Summe erwarb und dann 1815 für 6 000 Dukaten an den Kronprinzen Ludwig von Bayern verkaufte. Kein Wunder, dass Alexander sich oft mit ihm besprach und seine erstaunliche Kollektion von Zeichnungen der mikroskopischen Angiologie, »welche alles übertreffen, was ich je in diesem Fache gesehen«79, bewunderte oder seine hervorragende Sammlung mikroskopischer Präparate, von denen er nicht eins herausgab. Das alles hatte Barth, genial und lässig, in einem Raum untergebracht, aber doch so, wie auch Alexander zugeben musste, dass nichts verderben konnte. Sein Reichtum gestattete ihm, seine Schätze zu hüten und zu mehren, ohne dass er an ihre Verwertung zu denken brauchte. Alexander hätte gern die Veröffentlichung der vielen Zeichnungen gesehen, es war vergeblich. Barth war berühmt und bedurfte weiteren Ruhmes nicht. Er lief meist halbnackt herum und konstruierte gerade einen Hut, der sich durch das Ziehen einer Schnur in einen Regenschirm von drei Fuß Durchmesser verwandeln sollte. »Alles, was an ihm und um ihn ist, hat das sonderbare Gepräge seiner Empfindsamkeit. So trägt er eine Weste mit Aermeln, die sich in Beinkleider und Strümpfe verlängert. Er steckt darin wie in einem Futteral. Er ißt nur einmal des Tages und zwar nachts um 10 Uhr, um sich nicht (wie er sagt) mit dem Essen im Leibe herumzutragen, was sehr ermüdend und lästig sei.« Die neue antiphlogistische Chemie und die letzten Fortschritte der Physiologie kannte in Wien niemand so wie Barth, der damals meist mit Humboldts engem Freund, dem Universitätsgärtner