und einige Teile der Zoologie mit Leidenschaft. Ich durfte mir schmeicheln, daß unsere Forschungen die bereits beschriebenen Arten um einige neue vermehren würden. Da ich aber die Verbindung längst beobachteter [Tatsachen] der Kenntnis isolierter, wenn auch neuer Tatsachen von jeher vorgezogen hatte, schien mir die Entdeckung eines unbekannten Geschlechtes weit minder wichtig als eine Beobachtung über die geographischen Verhältnisse der Vegetabilien, über die Wanderungen der geselligen Pflanzen und über die Höhenlinien, zu der sich die verschiedenen Arten derselben gegen den Gipfel der Kordilleren erheben.«
Alexander v. Humboldt: Relation historique, I, 1814–1817
1. DIE GESTALT DES FORSCHUNGSREISENDEN
Der Forschungsreisende: ein von der Vernunft legitimierter Abenteurer der Aufklärung
Jede Entdeckungsreise bedeutete ein Abenteuer und musste dem Rationalismus der Aufklärung verdächtig erscheinen, denn der Ausgang einer derartigen Unternehmung blieb stets mehr dem Wagemut als der Vernunft überlassen. Daher genügte der vorwiegend auf Abenteuer bedachte Entdeckungsreisende dem 18. Jahrhundert nicht mehr, und die Aufklärung schuf im Forschungsreisenden den von der Vernunft legitimierten Abenteurer, der nicht einfach hinauszog, sondern aufgrund wissenschaftlicher Vorbereitung gründlichere geographische Arbeit leistete und gleichzeitig seine eigene Sicherheit erhöhte. Darin liegt die Bedeutung dieser Epoche für die Geschichte der Reisen, und Alexander v. Humboldt sollte bald all diese Tendenzen vorbildlich verkörpern.
Der Begriff des Forschungsreisenden wurde durch das Ziel konstituiert, das sich eine Persönlichkeit setzte, und durch die darauf eingestellte besondere Vorbereitung; sie wurde bald geradezu das Kennzeichen einer Forschungsreise. Carsten Niebuhr, James Bruce, Peter Simon Pallas, Louis Antoine de Bougainville, James Cook und Alessandro Malaspina wären ohne Vorbereitung nicht zu ihren großen Erfolgen gekommen. Wer Forschungsreisender sein wollte, musste bestimmte vorbereitende Aufgaben erfüllen, vor allem: ein Ziel haben, um seine Vorbereitungen darauf abzustellen.
Dieses Ziel war in jedem Fall schon literarisch behandelt worden. Brach also der Reisende nach einer terra incognita auf, etwa in die Sahara, so gab es auch darüber bereits eine ausgiebige theoretische Literatur.
Einen erheblichen Fortschritt bedeuteten gegenüber früheren Reisen auch die besseren Instrumente, mit denen man die räumliche und geistige, d. h. die geographische Erschließung eines unbekannten Landes sofort und viel gründlicher als die früheren Entdeckungsreisenden eröffnen konnte. Mehr und mehr kamen Forschungsreisende auch in Länder, die räumlich bereits entdeckt waren, geistig aber noch erschlossen werden mussten. Über russische, asiatische, südamerikanische und afrikanische Landschaften gab es um 1800 bereits eine erstaunlich umfangreiche Literatur. Indem der Forschungsreisende sie auswertete, ergänzte er die allgemeine Vorbereitung des Entdeckers um die spezielle Präparation, die auf einen bestimmten Ausschnitt der Erdoberfläche zielte. Dieser historisch verfolgbare Prozess bezeugt die Intensivierung der Forschung, die sich zunächst freilich auf die Literatur beschränkte und sich noch nicht auf die Instrumente erstrecken konnte. Übungen mit Beobachtungswerkzeugen gehörten damals ausschließlich in den Bereich der allgemeinen Vorbereitungen des Reisenden, erst die spätere wissenschaftliche Entwicklung hat das Instrumentarium verfeinert.
Überraschenderweise können wir bei der Erörterung der Reisevorbereitung wichtige Charakterzüge A. v. Humboldts erkennen: Geheimniskrämerei, wie sie vielen Gelehrten bis zum heutigen Tage eignet, und vor allem Bekenntnisse, meist aus späterer Zeit, die indessen so gut wie nicht gewürdigt, ja meist überhaupt noch nicht wahrgenommen worden sind. Tatsächlich bezeichnet das Jahr 1793 den wichtigsten Einschnitt in Humboldts Lebenslinie: Er trat seinen Dienst als Oberbergmeister in Franken an, eröffnete z. B. eine Freie Bergschule, wurde Mitglied der Leopoldina, der kaiserlichen Akademie der Naturforscher, steigerte sein geographisches Selbstbewusstsein in einer zukunftweisenden Methodologie, verfolgte bereits zwei Forschungsprogramme und begann die sechsjährige Vorbereitung seiner Forschungsreise, ein wahrhaft erstaunlicher Zusammenhang der Ereignisse.
Bereits zu Lebzeiten der Mutter hatte Humboldt geäußert, er werde 1797 eine größere Reise antreten. Anschließend an die Fahrten in Oberitalien und der Schweiz 1795 wollte er nach Schweden1, Griechenland2 oder Ungarn3 gehen. Er warb bereits um die Teilnahme seines Freiberger Freundes Johann Karl Freiesleben. Als ferneres Ziel schwebte ihm Sibirien, gewiss im Anschluss an die Forschungen der Gmeline und Pallas, vor.4 Da er seine Pläne verheimlichte, war zu erwarten, dass er sich nach dem Tode der Mutter klarer über sein Vorhaben aussprechen würde. Die genannten Ziele sollten ohnehin nur mit kleineren Unternehmungen erreicht werden, die vor allem botanischen Untersuchungen dienen sollten. Ein größeres Programm bedeutete Sibirien.
Aus all dem geht eines sehr deutlich hervor: Humboldt strebte nach eigenem Bekenntnis eine Landreise an. Deutschland war keine Seemacht. Auf einem Schiff unter fremder Flagge konnte er nur die Randerscheinung einer größeren Expedition abgeben. Oder gab es doch andere Möglichkeiten? Konnte er denn überhaupt daran denken, eine eigene Expedition zu verwirklichen? Alle bisherigen deutschen Forschungsreisenden waren von Geldgebern oder politischen Interessen ausländischer Mächte abhängig gewesen. In der Tat ging es den anderen Nationen, die Expeditionen aussandten, bei aller Pflege der Wissenschaft auch immer um die Erkundung wichtiger Gebiete, die besetzt oder dem Handel geöffnet werden sollten. Wenn Deutsche in fremdem Dienst reisten, ging es ihnen selbst ausschließlich um wissenschaftliche Aufgaben, weil sie keinen mächtigen eigenen Nationalstaat vertraten. So wird es verständlich, dass die englische African Association immer stärker deutsche Reisende unterstützte und die russischen Zaren sich über Größe und Wert ihres Riesenstaates von Deutschen aufklären ließen. Damit hatten die Deutschen – wie ihre Klassiker im Literarischen – aus der Not eine Tugend gemacht und im Forschungsreisenden, der nach wissenschaftlichen Zielen strebte, eine bis heute verpflichtende Gestalt geschaffen. Immerhin schloss diese Entwicklung einen großen Mangel ein. Obgleich die Deutschen aufgrund ihrer ausgebildeteren Geographie der Welt in Carsten Niebuhr den ersten Forschungsreisenden schenkten, gab es keinen einzigen großen selbständigen deutschen Reisenden, der lediglich eigenen Intentionen folgen und aus dem Vollen schöpfen konnte. Niebuhr musste dänische Wünsche beachten, was – gerade in diesem Fall – natürlich in keiner Weise das Mäzenatentum Friedrichs V. schmälerte. Johann Reinhold Forster durfte wohl an der zweiten Reise Cooks teilnehmen, aber nicht über sie berichten.5 Würde es bei Humboldt anders sein?
2. HUMBOLDTS REISEZIEL »WESTINDIEN«: DIE TROPEN DER NEUEN WELT
Sechsjährige Vorbereitung
Über seine Reisepläne und -ziele hat Humboldt nie den geringsten Zweifel gelassen: Tropensehnsucht kannte er seit frühester Jugend. Seit dem 18. Jahr, seit 1787, hatten seine Reisepläne eine bestimmte Richtung infolge des Einflusses des Pflanzensammelns, des Studiums der Geologie, der Reisen nach Holland, England, Frankreich und der Schweiz und nicht zuletzt Georg Forsters angenommen. Jetzt war es nicht mehr das Verlangen nach einem umherschweifenden Leben, sondern es ging um wissenschaftliche Arbeit in den Tropen. »Da meine persönliche Lage mir damals nicht erlaubte, die Pläne auszuführen, die meinen Geist so lebhaft beschäftigten, so hatte ich die Muße, mich während sechs Jahren zu den Beobachtungen vorzubereiten, die ich im Neuen Continent machen sollte« (Relation historique, I, S. 40 f. Hervorhebung von HANNO BECK).
Sechs Jahre hat sich Humboldt auf seine Forschungsreise vorbereitet, und so finden wir denn auch in einem wichtigen Brief vom Juli 1793 einen eindeutigen Hinweis: »Ich bereite mich ohne Unterlaß auf ein großes Ziel vor« – es ist seine Reise in die Tropen der Neuen Welt. Wie bei seinen Forschungsprogrammen sprach er nicht mit jedem darüber. Bei aller Quecksilbrigkeit seines Wesens hat er seinen Mund oft nur zu gut halten können, wie jeder bemerken kann, der sich mit ihm beschäftigt. Zu Wladimir JureviĀ Sojmonov, seinem Freiberger Kommilitonen, sprach er nur deshalb darüber, weil er seine Einladung, schon jetzt nach Russland zu reisen, zunächst abschlagen musste,