Friedrich Glauser

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten


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Augen der Jungfer Kölla. Sie habe nie gedacht, meinte sie, daß die Schroterei so dumm sei…

      Studer steckte die Bemerkung kaltblütig ein, widmete sich seinem Beefsteak, das wirklich weich wie Anken war, und fragte dann geduldig weiter:

      »Mit wem also?«

      – Eh, natürlich mit der Wasem. Das Meitschi sei ja… und die Köchin brauchte ein Wort, das sonst nur auf einen bestimmten Zustand im Liebesleben der Kühe angewendet wird…

      – Soso… jaja… Und Studer erlaubte sich, zu bemerken, daß er etwas Ähnliches schon vernommen habe…

      Warum er dann so blöd frage? – Hmhm… Ja, die beiden seien dann miteinander spazieren gegangen?

      »Arm in Arm!« sagte die Jungfer Kölla. Sie sei droben an ihrem Fenster gesessen, und es seien einige Bogenlampen im Hofe, man könne sehen wie bei heiter-hellem Tage. Sie schichtete dem Wachtmeister einen Haufen grüner Bohnen auf den Teller, die tapfer mit Knoblauch gewürzt waren, schenkte ihm Wein ein, wünschte ihm gute Gesundheit und stieß mit ihm an. Dann leerte sie das Wasserglas auf einen Zug. Studer tat ihr Bescheid. Die Jungfer Kölla gefiel ihm.

      – Und wann seien die beiden zurückgekommen? – Gegen halb eins. Das Meitschi habe den Direktor bis an die Tür vom Mittelbau begleitet, der Direktor habe sich aber lange versäumt. Als er nach einer halben Stunde wieder heruntergekommen sei, habe er einen Lodenkragen umgehängt gehabt. Die beiden seien zum Frauen-B gegangen, die Wasem sei dort eingetreten. Und dann sei der Direktor weitergegangen. Sie selber sei dann zu Bett. Sie könne also nicht sagen, ob das Meitschi noch einmal heruntergekommen sei. – Und sonst habe sie nichts gehört?

      »Woll!« sagte die Jungfer Kölla. Sie habe nicht gleich einschlafen können. Darum habe sie noch den Schrei gehört…

      »Den Schrei? Welchen Schrei?«

      – Es hätten ihn auch andere gehört. Ein Schrei, der geklungen habe wie ein Hilferuf.

      »Wann habt ihr den Schrei gehört?«

      – Gleich nachher habe es halb zwei geschlagen.

      Studer senkte den Kopf. Sein Rücken wölbte sich wie ein sanfter, dunkler Hügel…

      »Woher kam der Schrei?«

      – Aus der Ecke, wo das Männer-K ans R stoße… – Soso… Schül hatte also doch recht gehört.

      »Ein heiserer Schrei, Wachtmeister. So hat er geklungen…« Die Jungfer Kölla versuchte den Schrei nachzuahmen, und es klang wie das Krächzen einer jungen Krähe, die hungrig ist… Man konnte es komisch finden… Studer aber blieb ernst. Man hatte in der Anstalt von dem Schrei gesprochen. Warum dann hatte Dr. Laduner nichts davon erzählt?…

      In der Ecke, in der das R ans K stieß!…

      Es schien nichts mit dem kleinen Ausflug zu sein nach dem Thunersee oder ins Tessin. Kein Seitensprung, wie ihn sich alte Herren manchmal leisten, auch wenn sie zufällig Direktoren von Heil- und Pflegeanstalten sind… Niemand spricht davon… In Fachkreisen macht man seine Witze, aber tiefer sickert es nicht… Der Schrei!… Nein, der Schrei war gar nicht lustig…

      Überhaupt war es, als ob alle Begebenheiten in diesem Falle, die zuerst lustig schienen, bei genauerem Hinhören falsch klangen… Mißtöne…

      Mißton: Das verwüstete Büro… – Mißton: Die männliche Stimme am Telephon… – Mißton: Das Verschwinden des Pieterlen. – Mißton: Die falsche Beule des Nachtwärters Bohnenblust.

      Es tönte alles falsch: das Witzeln des Dr. Laduner, sein Brot- und Salzanbieten, sein eminenzhaftes Benehmen bei der großen Visite – so, als ob er schon Direktor sei –, und auch mit dem freundlichen Pfleger Gilgen, dem rothaarigen, der mit Fünfzig vom Schaufelaß schob und so viele Sorgenfalten auf seinem ängstlichen Gesicht hatte, war nicht alles richtig…

      »In der Ecke vom K zum R?…« fragte Studer gedankenverloren. »Was ist dort?«

      »Werkstätten… Ein Magazin… Die Heizung…«

      Studer stand auf. Er ging auf und ab, von der Tür zum Fenster. Die Jungfer Kölla hatte ihre wallende Brust auf den Tisch gelegt und folgte ihm mit den Blicken. Der Wachtmeister blieb am Fenster stehen, öffnete die Flügel, beugte sich hinaus. Ein Rasen, frischgemäht, eiserne Stangen, von der einen zur andern waren Drähte gespannt, an denen Leintücher in einem leichten Winde wogten. Das Summen einer Maschine war zu hören.

      »Was ist das?« fragte Studer.

      Daneben sei die Wäscherei, erklärte die Jungfer Kölla, es sei wohl eine Zentrifuge, die so surre…

      Und Studer dachte, was es wohl alles brauche in solch einer Anstalt: die unzähligen Hemden, Socken, Nastücher, Leintücher, Nachthemden, alles gezeichnet, alles aufgestapelt, alles gezählt… Er ertappte sich bei dem Wunsch, die Untersuchung möge noch eine Zeitlang dauern, damit er sehen könne, wie solch ein Betrieb funktioniere. Er hatte Lust, eine Weile hier zu bleiben, in diesem Reiche, das beherrscht wurde von einem Geist, Matto geheißen, dem große Gewalt gegeben war… Und dann hätte der Wachtmeister gerne Mattos Bekanntschaft gemacht…

      Er blickte zum Fenster hinaus.

      »Ist das das Frauen-B?« fragte er und deutete mit der Hand nach dem gegenüberliegenden Gebäude.

      »Ja«, hörte er die Jungfer Kölla sagen. Aber da hatte er sich schon weit aus dem Fenster gelehnt; er starrte auf ein Mädchen, das gebeugt, das Schnupftuch vors Gesicht gedrückt, dem Eingangstor der Abteilung zustrebte.

      Eine weinende Frau… Es konnte allerlei bedeuten. Aber Studer mußte an das junge Tüpfi denken, an die Pflegerin Irma Wasem, die sich eingebildet hatte, in nächster Zeit Frau Direktor zu werden…

      Er rief der dicken Köchin zu, sie solle schnell ans Fenster kommen, wies auf das Mädchen und fragte, wer das sei.

      Das sei eben die, von der sie vorher gesprochen hätten, die Wasem… Aber die Jungfer Kölla verstummte, begann zu lachen, denn Studer hatte sich über die Fensterbrüstung geschwungen. Er lief über den Rasen, verwickelte sich in ein flatterndes Leintuch, erreichte das Mädchen, gerade als es seinen Schlüssel ins Schloß steckte. Er legte ihr die Hand auf die Schulter und sagte sehr sanft und väterlich:

      »Was isch passiert?« Und ob sie nicht ein paar Schritte machen wolle, er habe sie einiges zu fragen.

      Das Schnupftuch war naß zum Auswinden. Tränen liefen über die Backen…

      Nur eines konnte das Mädchen beruhigen: Sachlichkeit!… Es entsprang kaum einer bewußten Überlegung, es war mehr instinktiv: Studer verzichtete auf den üblichen mitleidigen Ton und fragte beintrocken:

      »Darf man euch gratulieren, Fräulein Wasem? Seid ihr Frau Direktor geworden?«

      Aufblicken… Trotz… Die Tränen versiegten…

      »Wer sit ihr?«

      »Wachtmeister Studer von der Fahndungspolizei…«

      »Um Gottes willen! Ich hab's gewußt! Ist dem Ueli etwas passiert?«

      Ueli… Direktor Dr. med. Ulrich Borstli von der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen war einfach der Ueli… Glücklicher alter Herr… Eigentlich hätte Studer nichts dagegen gehabt, wenn ihn die Irma ›Köbi‹ genannt hätte, oder besser noch ›Köbeli‹. Des Wachtmeisters Frau hatte sich angewöhnt, ihn ›Vatti‹ zu nennen. Das ging ihm manchmal auf die Nerven.

      »Wir wissen noch nichts«, sagte Studer. »Haben Sie noch niemanden gesprochen?«

      Kopfschütteln. Studer entschloß sich:

      »Das Direktionsbüro sieht aus, als ob dort ein Kampf stattgefunden hätte… Blutspuren am Boden… Die Schreibmaschine streckt alle Tasten von sich…« Warum gebrauchte er wohl die Redewendung des Dr. Laduner?… Studer schüttelte über sich selbst den Kopf. Dann beendete er seinen Bericht: »Der Herr Direktor ist verschwunden und der…«

      »Der