Friedrich Glauser

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten


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eine Nummer ein, wartete. In der Stille war deutlich das Knacken zu hören, als am andern Ende abgehängt wurde.

      »Laduner! Ja! Dr. Laduner. Rufet den Jutzeler ans Telephon…«

      Lautloses Warten. Dr. Blumenstein wagte nicht, seine Füße von der Tischplatte zu entfernen. Erst als Laduner mit der Linken eine Schachtel aus seiner Hosentasche gefischt hatte und mit der Zigarette eine auffordernde Geste machte, verstaute Dr. Blumenstein seine langen Beine unter dem Tisch und reichte Dr. Laduner ein angezündetes Hölzchen über den Tisch.

      »Ja?« fragte Laduner ins Telephon. »Ihr seid's, Jutzeler? Nehmet den Gilgen und den Blaser. Holt eine Bahre… Ihr geht dann in die Heizung beim K. Dort werdet ihr den Direktor finden… Wie?… Ja, er ist tot… Gut zudecken, nicht wahr?… Es wird ja nichts nützen, in einer Viertelstunde wird es die ganze Anstalt wissen… Und ihr bringt ihn ins T… Dr. Blumenstein wird die Sektion machen… Ihr könnt helfen, Jutzeler… Übrigens, der Weyrauch soll ins Büro kommen… Ja, das ist alles…« Laduner legte den Hörer auf die Gabel und sagte, zu Studer gewandt:

      »T ist auch eine Abteilung… Im Alphabet kommt das T vor dem U. Bei uns ist das T die letzte Station… Die Totenkammer… Leicht zu merken, wegen des Anfangsbuchstabens…«

      Nach einer Pause, in der alle schwiegen, rutschte er vom Tisch.

      »Blumenstein, Sie stellen die Todesursache fest. Das Protokoll bringen Sie mir… Ein Unglücksfall… Unser Direktor ist in der Heizung über eine Leiter hinuntergefallen…«

      Er schwieg. Die Fenster standen offen. Irgendwo draußen wurde Croquet gespielt, es tönte, wie wenn jemand verträumt immer den gleichen tiefen Ton auf einem Xylophon anschlüge… Und dann begann eine Handharpfe zu spielen… Die Blätter der Büsche vor dem Fenster waren im Schatten so dunkelgrün, daß sie schwarz wirkten…

      »Liebes Kind«, sagte Laduner zu der kleinen Baltin am Fenster, die immer noch, töricht und verstört, die Zeigefinger über den Tasten ihrer Schreibmaschine schweben ließ. »Suchen Sie mir doch bitte die Krankengeschichte des Pieterlen heraus. Und stellen Sie sein Signalement zusammen. Die Akten lassen Sie mir in die Wohnung bringen… Heute abend, Studer, wollen wir über Pieterlen sprechen…«

      Er schwieg.

      Und dann: »Über Pieterlen Pierre, das Demonstrationsobjekt…«

      Dr. med. Ernst Laduner, II. Arzt an der Heil- und Pflegeanstalt Randlingen, ging zu einem Wandschrank, zog seinen Arztkittel über seinen Tennisdreß, und während er bedachtsam mit dem Hörrohr auf den Handteller seiner linken Hand klopfte, sprach er nachdrücklich – und bei den letzten drei Worten hob er den Blick:

      »Im übrigen werden Sie sich in allem – an mich wenden!« Es klang, als ob ein Major der versammelten Mannschaft verkündet:

      »Das Bataillon – hört – auf – mein – Kommando!«

      Kurzes Zwischenspiel in drei Teilen

       Inhaltsverzeichnis

      1.

      Gehen Sie nur ruhig in die Wohnung hinauf und warten sie auf mich, Sie brauchen nicht zu läuten…« hatte Dr. Laduner gesagt.

      So stand nun Studer im kühlen Gang. Jemand spielte Klavier, eine einfache Melodie. Studer schlich näher. Die Klänge drangen durch die Tür, die dem Eßzimmer gegenüberlag. Studer lauschte. Das Klimpern klang kühl wie Amselsang an einem Aprilmorgen. Das Klavier schwieg, eine Knabenstimme sagte.

      »So Muetti, jitz sing du!« »Aber, Chaschperli, ich cha ja gar nid singe…« »Wowoll, Muetti… Weisch, ds französisch Lied…« Stuhlrücken. Ein kurzes Vorspiel…

      »Plaisir d'amour ne dure qu'un moment

       Chagrin d'amour dure toute la vie…«

      Eine Altstimme… Plötzlich war Studer weit weg, obwohl sein Kopf an der Türfüllung lehnte… Es versank die Anstalt Randlingen und der alte Mann, der das Genick gebrochen hatte, es versank Pierre Pieterlen, dessen Signalement man verbreiten sollte, es versank Dr. Laduner mit seinem Maskenlächeln, über das man sich den Kopf zerbrechen mußte…

      … Und vor Studer breitete sich aus ein Gewirr von Türmen und Dächern, aus dem dumpf ein Summen stieg, unterbrochen bisweilen von kurzen, schrillen Klängen. Nebelfahnen wehten, und glitzernd schlängelte ein Fluß sich durch die Häuserebene. Er stand auf der Höhe von Montmartre und sah auf Paris. Neben ihm saß eine Frau, sie sang und begleitete sich auf der Gitarre:

      »J'ai tout quitté pour ma charmante Sylvie…«

      Ihre Stimme war ungeschult, dunkel und voll Traurigkeit… Es gab einen scharfen Knack, Studer stand wieder im Gange der Wohnung. Das Holz der Türfüllung, an der sein Kopf lehnte, hatte nachgegeben.

      Schritte näherten sich, dann ging die Türe auf.

      Frau Laduner trug den Zwicker auf der Nase. Sie blinzelte angestrengt in den dunklen Gang, ihre Augen näherten sich Studers Gesicht auf Handbreite, dann lachte sie…

      »Der Herr Studer!« Und er solle doch innecho, statt im Gang draußen stehen zu bleiben, und dann abhocken. Es habe noch Tee… Etwas Kirsch dazu? Ja?… Und »Chaschperli, säg guete Tag!« Das sei der Herr Studer, der im Gastzimmer wohne…

      Man war der Herr Studer… Man durfte vergessen, daß man Wachtmeister an der Fahndungspolizei war und dazu verdammt, Verbrechen aufzuklären… Man wurde in einen grünen Armstuhl gedrückt, ein Servierboy stand plötzlich vor ihm, der Tee, der in die Tasse floß, war dunkel wie Mahagoni, es gab einen Gutsch Kirsch darein, und dann mußte man geröstetes Brot nehmen, das warm war und auf dem der Anken zerfloß… Toast nannte man das wohl…

      Ob Frau Doktor so gut sein wolle und noch eins singen, fragte Studer. Die Tapeten des Zimmers waren von einem dunklen Gelb, aber über dem schwarzen Klavier lag auf der Wand ein Sonnenfleck, der wie Weißgold schimmerte…

      Frau Laduner sagte, sie könne ja gar nicht singen; doch war keine Geziertheit und falsche Bescheidenheit in dieser Behauptung. Überhaupt gehörte diese Behauptung in die gleiche Gruppe wie die Bemerkung am Morgen: Man gefiele der Frau Doktor ›nid übel‹… Das war tröstlich.

      Das Chaschperli sagte ungeduldig: »So! Muetti!«

      Und Frau Laduner setzte sich ans Klavier. Ihre Hände waren kurz und dick, die unteren Gelenke der Finger gut gepolstert. Sie sang ein Lied, sie sang zwei Lieder. Studer trank Tee.

      Die Frau stand auf. – Nun sei es genug, sagte sie, und was es Neues gebe… – Er habe den Direktor gefunden…

      »Tot?«

      Studer nickte schweigend, und Frau Laduner schickte ihren Sohn aus dem Zimmer.

      »Soso«, sagte sie dann. »Eigentlich hat es ja so kommen müssen…«

      Und Studer war einverstanden. Ja, es hatte so kommen müssen…

      – Sie wisse nicht, sagte Frau Laduner, ob Studer begreifen könne, was das für ihren Mann zu bedeuten habe… Ob er sich schon ein Bild habe machen können vom Ernst?… Von seinem Charakter? Von seiner Art?… Er habe sehr darunter gelitten, daß er alle Arbeit habe machen müssen. Mein Gott, wie habe die Anstalt ausgesehen bei seiner Ankunft in Randlingen… »Die Kranken sind herumgehockt auf den Abteilungen… Im B haben sie den ganzen Tag gejaßt, das K sah aus wie ein Museum gotischer Figuren… Die Kranken sind herumgestanden, mit verrenkten Gliedern, der eine hat wie ein Wasserspeier den ganzen Tag auf dem Heizungskörper im Korridor gehockt, und gestunken hat es!… Die Badewannen waren den ganzen Tag besetzt. Von den Unruhigen. Die Zellenabteilung war überfüllt… In der Nacht haben sie geschrieen, daß ich mich fast gefürchtet habe, so tönte es über den Hof. Wissen Sie, was Arbeitstherapie ist?«

      Studer mußte lächeln,