Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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oder war’s kom­men­des Welt­ge­schick, das noch tief un­ter dem Ho­ri­zon­te stand? – ich er­leb­te in mir Krieg und Flucht und Ver­fol­gung; zwei Frau­en, eine von ih­nen alt und ge­brech­lich, die von Haus und Hei­mat ver­trie­ben, ohne Ziel von Ort zu Ort ir­ren, und zu­letzt in ei­ner Zone von Ver­wüs­tung ir­gend­wo am We­grand ver­ge­hen. An­de­re Male wa­ren es zwei Schwes­tern, Per­di­ta und Pe­re­gri­na, die der Schick­sals­sturm durch die Welt warf. Jah­re­lang gin­gen die­se bei­den Sche­men in wech­seln­den Ge­stal­ten, blut­los, denn ich konn­te sie nicht näh­ren, ne­ben der trau­ri­gen Wirk­lich­keit: es war die alte Leid­ver­wand­lung, die auf luf­ti­ge­re Schul­tern ab­zu­la­den streb­te, wo­für die ei­ge­nen nicht mehr aus­reich­ten. Was mir trotz al­lem den Mut nicht völ­lig sin­ken ließ, war, dass die ge­lieb­te Last gar kei­ne Er­den­schwe­re hat­te, dass sie auch in den ärgs­ten Kri­sen ihre strah­len­de Lau­ne und die Fri­sche ih­res Geis­tes nicht ver­lor, die zwei un­zer­stör­ba­ren Merk­ma­le der Feen­kin­der.

      Da­mals schloss ich mit dem Schick­sal einen Pakt, dass es mir die­ses letz­te Bes­te, um das ich schon so­viel ge­op­fert hat­te, las­sen müs­se, so­lan­ge ich es mit dem klam­mern­den, durch nichts zu lo­ckern­den Lie­bes­wil­len fest­zu­hal­ten ver­möch­te. Ich glaub­te an sol­che Wun­der der See­len­kraft, und auch die Mä­ren der Völ­ker wuss­ten da­von. Dass der Web­stuhl still­ste­hen muss­te, war der schwers­te Ver­zicht, aber da war nichts zu ret­ten, denn wenn ich die schau­ri­ge Käl­te, vor der ich mich im­mer am meis­ten fürch­te­te, in mein Herz ein­drin­gen ließ, so muss­te mein Schaf­fen ja doch mit er­frie­ren, weil es aus mei­nem ei­ge­nen Le­ben sei­ne Wär­me zog.

      Auch die­se hoff­nungs­lo­sen Jah­re wa­ren dann und wann von hel­len Lich­tern durch­strahlt. Noch flos­sen die Som­mer gol­den über den Glückss­trand von For­te und brach­ten je und je einen Still­stand in den Ab­bau des ge­lieb­ten Le­bens. Und die dor­ti­gen Freun­de blie­ben treu; al­len vor­an Van­zet­ti, der, wo es an­ging, sei­ne Schul­tern un­ter­schob, und Hil­de­brand, der nie­mals wech­sel­te. Und so kam auch wie­der ein­mal ein Herbst am still­ge­wor­de­nen Stran­de, wo mir in der karg be­mes­se­nen Zeit eine rein dich­te­ri­sche Ge­stal­tung reif­te.

      Schon seit dem Pog­gio Im­pe­ria­le trug ich einen Lieb­lings­stoff mit mir, über den ich des öf­te­ren, ganz ge­gen mei­ne Ge­wohn­heit, mit mei­nen Nächs­ten sprach. Ich hat­te von je die alt­jü­di­sche Sage von Li­lith, Adams ers­ter Frau, als von ei­nem bö­sen dä­mo­ni­schen We­sen, das sich aus Hof­fahrt mit dem Man­ne nicht ver­trug und nach ei­nem Zwist, ein Ver­zau­be­rungs­wort aus­spre­chend, ihm ent­flog, um fort­an in Klüf­ten und Höh­len als ge­fähr­li­cher, män­nernauf­lau­ern­der, män­ner­kraft­zer­stö­ren­der Vam­pyr zu hau­sen, für eine Un­ge­reimt­heit an­ge­se­hen. Wa­rum soll­te Gott, der Al­les­wis­sen­de, sei­nem Adam eine so üble Le­bens­ka­me­rad­schaft aus­ge­sucht ha­ben? Und was hat­te es da­mit auf sich, dass Li­lith Flü­gel be­saß und Adam kei­ne? Sie soll­te, hieß es, drei Din­ge mit den En­geln, drei mit den Men­schen ge­mein ha­ben: mit den ers­ten das Schwin­gen­paar, das leich­te Schwe­ben von Ort zu Ort und die ah­nen­de Kennt­nis der Zu­kunft. Mit den Men­schen aber das Si­cher­näh­ren, Fort­pflan­zen und Ster­ben. Soll­te Gott bei ei­ner so un­glei­chen Ver­bin­dung nicht einen hö­he­ren Zweck im Auge ge­habt ha­ben? Lag hier nicht eine ver­dor­be­ne, par­tei­isch ge­färb­te Über­lie­fe­rung des frau­en­ver­ach­ten­den al­ten Ju­den­tums vor, hin­ter der sich eine frü­he­re ed­le­re Ge­stalt ver­barg? Ich forsch­te nach Quel­len, aber al­les war ver­schüt­tet, nur un­ter dem Na­men der grie­chi­schen Ili­thyia, der ja einen güns­ti­gen Dä­mon be­zeich­net, soll­te so et­was wie ein An­klang her­aus­zu­hö­ren sein. Doch das ging mich im Grun­de nichts an, ich woll­te ja kei­ne My­then­for­schung trei­ben; um so mehr hat­te ich die Frei­heit, nach mei­ner Ein­ge­bung zu schal­ten. So schrieb ich das Ge­dicht »Die Kin­der der Li­lith«, worin ich ver­such­te, die Züge der Sage zu ei­ner Er­klä­rung des Welt­plans und sei­ner Wi­der­sprü­che um­zu­deu­ten.

      Gott war im Lau­fe der Äo­nen sei­ner wan­del­los voll­kom­me­nen En­gel­scha­ren und des ewig glei­chen Gan­ges al­ler Din­ge müde ge­wor­den. Jetzt lüs­tet ihn nach dem Un­voll­kom­me­nen, nach Wer­den, Wach­sen und Ver­ge­hen, er schafft die Pflan­zen­welt und al­les Ge­tier der Erde, aber sie be­frie­di­gen nicht sei­ne Sehn­sucht nach ei­nem We­sen, das wie er das All in der Brust trü­ge und wür­dig wäre sein Ge­fähr­te zu sein. So bil­det er aus ei­nem Er­denkloß den Men­schen und gibt ihm den hol­des­ten sei­ner Geis­ter, die lich­te, leich­te, mit Ster­nen wie mit Sei­fen­bla­sen spie­len­de Li­lith zur Ge­fähr­tin, dass sie mit tau­send Lieb­lich­kei­ten und Lau­nen den er­den­schwe­ren Adam zu schöp­fe­ri­schem Tun an­spor­ne. Aus dem täg­li­chen ver­lieb­ten Zwist und der Wie­der­ver­söh­nung der bei­den ent­ste­hen die An­fän­ge der Kunst, und es scheint, als soll­te der Mensch das Ziel der gött­li­chen Ab­sicht im Flu­ge er­rei­chen. Aber mit der von Gott nicht ge­woll­ten Eva tritt ihm ein Hemm­nis in den Weg, das den Ent­wick­lungs­plan durch­kreuzt. Als ein Stück von Adams Kör­per, dem er ge­zwun­gen ist, an­zu­han­gen, zieht sie ihn in sei­ne sinn­li­che Träg­heit zu­rück und zer­stört den ers­ten ju­gend­hol­den Lie­bes­bund. Li­lith, an dem ent­ar­te­ten Adam ver­zwei­felnd, ent­flieht, und Eden, die Stät­te ih­rer jun­gen Se­lig­keit, geht in Flam­men auf. Der Mensch, auf die Erde ver­bannt, muss mit der Men­schin ein sinn­li­ches, wöl­fi­sches Ge­schlecht er­zeu­gen, in dem sich Schuld und Stra­fe un­auf­lös­lich wei­ter ver­ket­ten, bis der Schöp­fer sei­nen Plan auf lan­gen Um­we­gen durch die Nach­kom­men der Li­lith doch ans Ziel führt. Ihr im Pa­ra­die­se ge­bo­re­ner, durch Se­ra­phim auf­ge­zo­ge­ner Sohn ist es, den Gott je und je in neu­er Ver­kör­pe­rung als Füh­rer sei­ner ge­rin­ge­ren Brü­der zur Erde schickt, ge­gen den sich aber auch die Kin­der der Eva im vor­aus zu­sam­men­rot­ten: »Er ist Ei­ner und wir sind vie­le«.

      Ich konn­te die Dich­tung eben noch un­ter Dach brin­gen, be­vor das ir­ren­de Le­ben wie­der be­gann. Und es war hohe Zeit, denn schon hat­te mein Müt­ter­lein, des­sen Un­ge­duld nicht war­ten konn­te, bis mir der Au­gen­blick reif­te, be­gon­nen, den Stoff, wie ich ihn mir um­ge­formt hat­te, un­ter die Men­schen zu tra­gen und zu sei­ner Be­ar­bei­tung an­zu­re­gen. Sie hat­te sich so­gar schon sel­ber in ih­rer feu­ri­gen Art dar­an ver­sucht, wenn auch in an­de­rem Sin­ne als dem von mir ge­plan­ten, in­dem sie den Wi­der­streit zwi­schen den Lie­ben­den als Kampf der Ge­schlech­ter um das glei­che Recht auf­fass­te, was an mei­ner Ab­sicht ne­ben­aus ging. Ich muss­te mich also spu­ten, woll­te ich nicht zu spät kom­men und mei­ne Er­fin­dung durch vor­an­ge­gan­ge­ne frem­de Be­ar­bei­tun­gen gar als Nach­ah­mung ge­stem­pelt se­hen. Freund Krö­ner, der ja ein Ver­le­ger von hö­he­rer Art war und dem Poe­ti­schen ge­gen­über nie ver­sag­te, nahm sich des Ge­dich­tes mit größ­ter Wär­me an und brach­te es auch gleich in an­spre­chen­der, nicht ver­al­ten­der Aus­stat­tung her­aus.

      Aber ich hat­te wie­der ein­mal ah­nungs­los in ein We­s­pen­nest ge­sto­chen. Ich wuss­te ja gar nicht, dass die We­s­pen der rück­stän­di­gen Männ­lich­keit noch so­viel Gift in ih­ren Sta­cheln hat­ten. Die männ­li­che Be­quem­lich­keit, die in dem Evas­typ über Kü­che und Al­ko­ven ihre Be­dürf­nis­se er­füllt sah, schnob vor Ent­rüs­tung; mei­ne er­staun­ten Ohren konn­ten so­gar aus sonst ver­stän­di­gem Mun­de die Be­haup­tung hö­ren, dass es ge­ra­de die dump­fe, erd­ge­bun­de­ne Frau sei, die den Mann zum größ­ten Auf­schwung be­flü­g­le, – schau­er­li­cher