oder war’s kommendes Weltgeschick, das noch tief unter dem Horizonte stand? – ich erlebte in mir Krieg und Flucht und Verfolgung; zwei Frauen, eine von ihnen alt und gebrechlich, die von Haus und Heimat vertrieben, ohne Ziel von Ort zu Ort irren, und zuletzt in einer Zone von Verwüstung irgendwo am Wegrand vergehen. Andere Male waren es zwei Schwestern, Perdita und Peregrina, die der Schicksalssturm durch die Welt warf. Jahrelang gingen diese beiden Schemen in wechselnden Gestalten, blutlos, denn ich konnte sie nicht nähren, neben der traurigen Wirklichkeit: es war die alte Leidverwandlung, die auf luftigere Schultern abzuladen strebte, wofür die eigenen nicht mehr ausreichten. Was mir trotz allem den Mut nicht völlig sinken ließ, war, dass die geliebte Last gar keine Erdenschwere hatte, dass sie auch in den ärgsten Krisen ihre strahlende Laune und die Frische ihres Geistes nicht verlor, die zwei unzerstörbaren Merkmale der Feenkinder.
Damals schloss ich mit dem Schicksal einen Pakt, dass es mir dieses letzte Beste, um das ich schon soviel geopfert hatte, lassen müsse, solange ich es mit dem klammernden, durch nichts zu lockernden Liebeswillen festzuhalten vermöchte. Ich glaubte an solche Wunder der Seelenkraft, und auch die Mären der Völker wussten davon. Dass der Webstuhl stillstehen musste, war der schwerste Verzicht, aber da war nichts zu retten, denn wenn ich die schaurige Kälte, vor der ich mich immer am meisten fürchtete, in mein Herz eindringen ließ, so musste mein Schaffen ja doch mit erfrieren, weil es aus meinem eigenen Leben seine Wärme zog.
Auch diese hoffnungslosen Jahre waren dann und wann von hellen Lichtern durchstrahlt. Noch flossen die Sommer golden über den Glücksstrand von Forte und brachten je und je einen Stillstand in den Abbau des geliebten Lebens. Und die dortigen Freunde blieben treu; allen voran Vanzetti, der, wo es anging, seine Schultern unterschob, und Hildebrand, der niemals wechselte. Und so kam auch wieder einmal ein Herbst am stillgewordenen Strande, wo mir in der karg bemessenen Zeit eine rein dichterische Gestaltung reifte.
Schon seit dem Poggio Imperiale trug ich einen Lieblingsstoff mit mir, über den ich des öfteren, ganz gegen meine Gewohnheit, mit meinen Nächsten sprach. Ich hatte von je die altjüdische Sage von Lilith, Adams erster Frau, als von einem bösen dämonischen Wesen, das sich aus Hoffahrt mit dem Manne nicht vertrug und nach einem Zwist, ein Verzauberungswort aussprechend, ihm entflog, um fortan in Klüften und Höhlen als gefährlicher, männernauflauernder, männerkraftzerstörender Vampyr zu hausen, für eine Ungereimtheit angesehen. Warum sollte Gott, der Alleswissende, seinem Adam eine so üble Lebenskameradschaft ausgesucht haben? Und was hatte es damit auf sich, dass Lilith Flügel besaß und Adam keine? Sie sollte, hieß es, drei Dinge mit den Engeln, drei mit den Menschen gemein haben: mit den ersten das Schwingenpaar, das leichte Schweben von Ort zu Ort und die ahnende Kenntnis der Zukunft. Mit den Menschen aber das Sichernähren, Fortpflanzen und Sterben. Sollte Gott bei einer so ungleichen Verbindung nicht einen höheren Zweck im Auge gehabt haben? Lag hier nicht eine verdorbene, parteiisch gefärbte Überlieferung des frauenverachtenden alten Judentums vor, hinter der sich eine frühere edlere Gestalt verbarg? Ich forschte nach Quellen, aber alles war verschüttet, nur unter dem Namen der griechischen Ilithyia, der ja einen günstigen Dämon bezeichnet, sollte so etwas wie ein Anklang herauszuhören sein. Doch das ging mich im Grunde nichts an, ich wollte ja keine Mythenforschung treiben; um so mehr hatte ich die Freiheit, nach meiner Eingebung zu schalten. So schrieb ich das Gedicht »Die Kinder der Lilith«, worin ich versuchte, die Züge der Sage zu einer Erklärung des Weltplans und seiner Widersprüche umzudeuten.
Gott war im Laufe der Äonen seiner wandellos vollkommenen Engelscharen und des ewig gleichen Ganges aller Dinge müde geworden. Jetzt lüstet ihn nach dem Unvollkommenen, nach Werden, Wachsen und Vergehen, er schafft die Pflanzenwelt und alles Getier der Erde, aber sie befriedigen nicht seine Sehnsucht nach einem Wesen, das wie er das All in der Brust trüge und würdig wäre sein Gefährte zu sein. So bildet er aus einem Erdenkloß den Menschen und gibt ihm den holdesten seiner Geister, die lichte, leichte, mit Sternen wie mit Seifenblasen spielende Lilith zur Gefährtin, dass sie mit tausend Lieblichkeiten und Launen den erdenschweren Adam zu schöpferischem Tun ansporne. Aus dem täglichen verliebten Zwist und der Wiederversöhnung der beiden entstehen die Anfänge der Kunst, und es scheint, als sollte der Mensch das Ziel der göttlichen Absicht im Fluge erreichen. Aber mit der von Gott nicht gewollten Eva tritt ihm ein Hemmnis in den Weg, das den Entwicklungsplan durchkreuzt. Als ein Stück von Adams Körper, dem er gezwungen ist, anzuhangen, zieht sie ihn in seine sinnliche Trägheit zurück und zerstört den ersten jugendholden Liebesbund. Lilith, an dem entarteten Adam verzweifelnd, entflieht, und Eden, die Stätte ihrer jungen Seligkeit, geht in Flammen auf. Der Mensch, auf die Erde verbannt, muss mit der Menschin ein sinnliches, wölfisches Geschlecht erzeugen, in dem sich Schuld und Strafe unauflöslich weiter verketten, bis der Schöpfer seinen Plan auf langen Umwegen durch die Nachkommen der Lilith doch ans Ziel führt. Ihr im Paradiese geborener, durch Seraphim aufgezogener Sohn ist es, den Gott je und je in neuer Verkörperung als Führer seiner geringeren Brüder zur Erde schickt, gegen den sich aber auch die Kinder der Eva im voraus zusammenrotten: »Er ist Einer und wir sind viele«.
Ich konnte die Dichtung eben noch unter Dach bringen, bevor das irrende Leben wieder begann. Und es war hohe Zeit, denn schon hatte mein Mütterlein, dessen Ungeduld nicht warten konnte, bis mir der Augenblick reifte, begonnen, den Stoff, wie ich ihn mir umgeformt hatte, unter die Menschen zu tragen und zu seiner Bearbeitung anzuregen. Sie hatte sich sogar schon selber in ihrer feurigen Art daran versucht, wenn auch in anderem Sinne als dem von mir geplanten, indem sie den Widerstreit zwischen den Liebenden als Kampf der Geschlechter um das gleiche Recht auffasste, was an meiner Absicht nebenaus ging. Ich musste mich also sputen, wollte ich nicht zu spät kommen und meine Erfindung durch vorangegangene fremde Bearbeitungen gar als Nachahmung gestempelt sehen. Freund Kröner, der ja ein Verleger von höherer Art war und dem Poetischen gegenüber nie versagte, nahm sich des Gedichtes mit größter Wärme an und brachte es auch gleich in ansprechender, nicht veraltender Ausstattung heraus.
Aber ich hatte wieder einmal ahnungslos in ein Wespennest gestochen. Ich wusste ja gar nicht, dass die Wespen der rückständigen Männlichkeit noch soviel Gift in ihren Stacheln hatten. Die männliche Bequemlichkeit, die in dem Evastyp über Küche und Alkoven ihre Bedürfnisse erfüllt sah, schnob vor Entrüstung; meine erstaunten Ohren konnten sogar aus sonst verständigem Munde die Behauptung hören, dass es gerade die dumpfe, erdgebundene Frau sei, die den Mann zum größten Aufschwung beflügle, – schauerlicher