Isolde Kurz

Gesammelte Werke


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wirst.

      Schrei­be ich ihn denn, um mich hin­ter der Ram­pe vor dem Pub­li­kum zu ver­beu­gen? Verächt­lich sei ich, wenn ich in die­sem Au­gen­blick ir­gend an mich den­ke! Wenn mein Ar­mi­ni­us lebt, was braucht’s, dass ich ihn sehe? Schrie­be ich für mei­nen Ruhm, so wür­de ich die Ver­ach­tung ver­die­nen, die mei­ne Ver­wand­ten und Ka­me­ra­den über­reich­lich auf mei­nen Schei­tel häu­fen wer­den. Ich schrei­be ihn, weil ich muss, weil ein An­de­rer, Hö­he­rer ne­ben mir steht und je­des Wort ein­sagt und weil nie­mand au­ßer mir die­se Stim­me hö­ren kann.

      Nun such­te ich ihm von ei­ner an­de­ren Sei­te bei­zu­kom­men.

      Du sag­test mir im­mer, die Dicht­kunst müs­se sich am Le­ben näh­ren. Komm mit mir über den See hin­über. Da hörst und siehst du die Volks­see­le in ih­rer un­mit­tel­ba­ren Er­grif­fen­heit. Das ver­pflich­tet dich zu nichts. Nie­mand kennt dich dort, du kannst un­ge­hin­dert zu­rück­keh­ren, wenn es dich nicht sel­ber mit­reißt; es wer­den dann we­nigs­tens dei­ne Hör­ner und Kriegs­drom­me­ten da­von stär­ker und vol­ler tö­nen.

      Geh nicht, geh nicht, schrie Sel­ma da­zwi­schen.

      Die tö­nen am volls­ten in mei­ner ei­ge­nen Brust, ant­wor­te­te er ru­hig und selbst­ge­wiss. Ich war ein Tor, wenn ich dir je der­glei­chen sag­te. Der Dich­ter kann nichts ler­nen, als was er von je ge­wusst hat. Alle Er­fah­run­gen, die er ma­chen kann, sind schon mit ihm ge­bo­ren.

      Er zog mich ge­heim­nis­voll ans Fens­ter. Siehst du auf dem Eich­baum ge­gen­über die bo­gen­för­mi­ge Durch­sicht ganz nahe dem Wip­fel, die durch eine selt­sa­me Ver­bie­gung des Ge­zweigs ent­stan­den ist? Von dort­her kom­men mir die Ein­ge­bun­gen, die­se Durch­sicht ist mei­ne Büh­ne. Da tre­ten sie auf und ab, da re­den sie und han­deln, mei­ne Ge­stal­ten. Dor­thin kom­men sie aus dem Raum, wo mein Werk war, be­vor ich wur­de. Wenn mei­ne Ge­sich­te ver­sa­gen, un­ter die­sem Tor­bo­gen, der nach Wal­hall führt, er­ha­sche ich sie wie­der. Ich bli­cke so lan­ge hin­über und soll­te ich dar­über blind wer­den, bis sie sich ver­dich­ten und mir Rede ste­hen. – Glau­be mir, das Le­ben zei­tigt nur blas­se, ver­küm­mer­te Ab­bil­der. Al­les Leuch­ten­de, Dau­ern­de kommt aus der Über­welt.

      Ich war ge­schla­gen. Sel­ma woll­te ihm ju­belnd wie ei­nem Ge­ret­te­ten um den Hals flie­gen, aber er hielt sie mit bei­den Ar­men von sich.

      Ar­mes Weib, nicht für dich blei­be ich zu­rück. Du hast kei­nen Mann mehr.

      Er streif­te leicht an ih­rer üp­pig schmieg­sa­men Ge­stalt her­ab, die bei sei­ner Berüh­rung lei­se schau­der­te, und schob sie von sich mit Ham­lets Wor­ten: Geh, geh in ein Klos­ter.

      Sie kau­er­te sich wie­der in ihre Ecke auf den Sche­mel nie­der und sag­te:

      Ich ver­lan­ge ja nichts als dir zu die­nen.

      Ich brach auf, denn ich hat­te hier nichts wei­ter zu su­chen. Man hielt mich nicht zu­rück. Sel­ma, die schon ihr leich­tes Herz wie­der­ge­fun­den hat­te, eil­te mir ein paar Schrit­te nach und bat mich we­gen ih­rer Hef­tig­keit um Ver­zei­hung. Sie dank­te mir so­gar, dass mein Er­schei­nen die lan­ge ge­fürch­te­te Ent­la­dung brach­te, die nun ohne Scha­den, wie ihr schi­en, vor­über­ge­gan­gen war!

      Sel­ma, sag­te ich, Sie ha­ben ein ge­wag­tes Spiel ge­spielt. Sind Sie si­cher, dass nicht ei­nes Ta­ges in Gu­stav der preu­ßi­sche Of­fi­zier wie­der­er­wacht mit den emp­find­li­chen Ehr­ge­set­zen sei­nes Stan­des?

      Sa­gen Sie mit sei­nen eng­brüs­ti­gen Vor­ur­tei­len. Ja, da­vor bin ich Gott sei Dank si­cher.

      So wis­sen Sie eben nicht, dass nie­mand völ­lig und für im­mer mit sei­ner Ver­gan­gen­heit und sei­ner Über­lie­fe­rung bre­chen kann.

      Un­ser Un­kas ist eine Unke ge­wor­den, spot­te­te sie freund­schaft­lich.

      Ich nahm einen letz­ten An­lauf.

      Den­ken Sie auch dar­an, dass Sie sich von Gu­stav tren­nen müs­sen, wenn Sie Ihren Büh­nen­ver­trag hal­ten wol­len?

      Kon­trak­te kann man bre­chen, ant­wor­te­te sie oben­hin.

      Wo­von wol­len Sie denn den Le­bens­un­ter­halt be­strei­ten?

      Sor­gen Sie um nichts, wenn ich nur ihn be­hal­ten darf. Mei­ne Kunst ist frei­zü­gig.

      Aber Sie sind an die Sprach­gren­ze ge­bun­den.

      Es gibt ein Ös­ter­reich und eine Schweiz.

      In großer Ver­wir­rung fuhr ich über den See zu­rück. Ich kam nicht zu­recht mit dem, was ich er­lebt hat­te. Gu­stav Borck, un­ser stol­zer, ed­ler Gu­stav fah­nen­flüch­tig in der Stun­de der Ge­fahr!

      Frei­lich, sag­te ich zu mir sel­ber, im Be­stre­ben ihm ge­recht zu wer­den, Deutsch­land hat Strei­ter ge­nug, die sei­nen Bo­den ver­tei­di­gen, es hat viel­leicht in die­sem Au­gen­blick kei­ne zwei­te schöp­fe­ri­sche Kraft von sol­cher Trag­wei­te. Doch es half nichts, ich konn­te den Ein­druck mit mei­nem schlich­ten Men­schen­ver­stand nicht ver­ar­bei­ten. Dass in ei­ner Zeit wie die­ser ein Ein­zel­ner, und wäre er auch der Größ­te, sich und sein Werk für so über­schweng­lich wert­voll hal­ten konn­te und das Welt­bild, das er in sich trug, für wich­ti­ger als die ge­wal­tigs­te Wirk­lich­keit, das ging nicht in mein nüch­ter­nes Hirn. Aber die Höhe sei­ner Ge­sin­nung konn­te ich nicht miss­ken­nen. So emp­fand ich nur eine un­be­grenz­te Ver­wun­de­rung und eine dump­fe Be­sorg­nis. Zu viel war jetzt aufs Spiel ge­setzt, wehe, wenn nun gar der Wurf miss­lang! Beim Ab­schied hat­te er mir ge­sagt:

      Ich weiß, dass du mich in die­sem Au­gen­blick nicht ver­ste­hen kannst. Da­rum sage ich dir nur eins: Wenn ich mein Wort nicht ein­lö­se, wenn ich nicht ein Werk schaf­fe, das mein Tun recht­fer­tigt, so bin ich frei­lich nichts als ein ge­mei­ner Aus­knei­fer. Dann wer­de ich sel­ber Kriegs­ge­richt über mich hal­ten. Bis da­hin ver­schie­be auch du das Ur­teil über mein Han­deln.

      *

      Der ers­te Mensch, der mir in der klei­nen Mu­sen­stadt am Neckar be­geg­ne­te, war Kuno Schüt­te. Er schwamm hoch auf den Wo­gen der va­ter­län­di­schen Be­we­gung und ver­wünsch­te tau­send­mal sei­ne bis da­hin so gleich­mü­tig er­tra­ge­ne Krüp­pel­haf­tig­keit, die ihn aus den Rei­hen der Kämp­fer aus­schloss. Nicht mit­zu­dür­fen, wo al­les aus­rück­te ein Deutsch­land zu schaf­fen! Ar­mer Kuno, so un­gleich teilt das Schick­sal aus. Als er von Gu­stav Borck das Un­fass­li­che hör­te, schüt­tel­te er sprach­los den Kopf und ging lan­ge schwei­gend ne­ben mir her, als horch­te er ge­spannt auf die Wor­te ei­nes un­sicht­ba­ren Beglei­ters.

      Er nacht­wan­delt, sag­te er auf ein­mal, man muss ihn we­cken.

      Lass das, ant­wor­te­te ich, er hört dich nicht. Lass du ihn sei­ne Geis­ter­schlacht schla­gen. Der deut­sche Bo­den hat Arme ge­nug, die für ihn kämp­fen.

      Aber Kuno gab sich nicht zu­frie­den.

      Wa­rum hast du ihm denn nicht ge­sagt: Um ein gan­zer Dich­ter zu sein, sei erst ein gan­zer Mensch. Wer wird noch Poe­sie schrei­ben, wenn er sie le­ben kann. Hat nicht By­ron, den er ver­ehrt, den Nur-Dich­ter ver­ach­tet und gab er nicht sein großes rei­ches Le­ben für ein Volk hin, das ihn nichts an­ging, in dem er nur sei­ne längst ver­mo­der­ten Vor­fah­ren lie­ben konn­te?

      Ich zuck­te die Ach­seln; das al­les hat­te ich ihm ja fast wört­lich so ge­sagt.