»Damit wäre Ihre Farbe enthüllt.« Seltsamerweise atmete Johanna dabei auf.
»Bernstein«, murmelte Leonardo. Er schrieb etwas auf ein vergilbtes Pergament, das daraufhin verschwand. »Schön, dann schauen wir mal.« Er stand auf. »Welche Stärke haben Sie wohl?«
Johanna trat beiseite.
»Bitte, zeichnen Sie dieses Symbol«, bat er.
Leonardo machte es vor. Zuerst befürchtete Alex, dass er ein so komplexes Gebilde niemals erschaffen konnte. Bevor er jedoch wirklich begriff, was geschah, entwickelten seine Finger ein Eigenleben. Der Zauber wuchs aus sich selbst heraus. Dann sagte er: »Fiat Lux.« Überall in der Luft entstanden glühende Feuerbälle, die ihre Form veränderten; ein Schiff, eine Blume, ein Haus.
Sie erloschen.
»Das war nicht schlecht.« Leonardo wirkte beeindruckt. »Ich würde sagen: oberes Drittel. Damit kann man gut arbeiten. Eine leichte Steigerung gegenüber Marks Potenzial.« Nun wirkte auch er erleichtert. »Wunderbar.«
»Das heißt, ich bin … ein Magier?«
Johanna schlug ihm grinsend auf die Schulter. »Absolut. Glückwunsch, Sie werden ab sofort Ihr Leben riskieren und gegen Schattenkämpfer vorgehen, um den Wall vor Schaden zu bewahren.«
»Hä?«
»Das heißt ›Wie bitte?‹, mein Junge«, kam es prompt. »Vielleicht kriegen wir das mit den Manieren noch ein wenig besser hin. Am besten nehmen wir Verhaltensregeln in Ihren Studienplan mit auf.«
Beinahe hätte er ein weiteres »Hä« drangehängt. Im letzten Augenblick bekam er die Kurve. »Echt jetzt? Das hier ist Hogwarts?«
Leonardo rollte schnaubend mit den Augen. »Wenn ich das noch ein einziges Mal höre, lösche ich jede Erinnerung an diese Buchreihe. Und die Filme dazu. In der gesamten Menschheit.«
»Sie werden neben den Außeneinsätzen auch Unterrichtsstunden erhalten«, erklärte Johanna. »Nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter, es sei denn, Sie wollen diese Chance vertun. Ein Fehler dort draußen, und Sie sind tot. Im schlimmsten Fall geraten andere Ihres Teams ebenfalls in Gefahr. Verstanden?«
»Klar.« Er nickte.
Sie lächelten ihm zu, wünschten ihm viel Spaß in dieser für ihn neuen Welt, und im nächsten Augenblick stand er wieder draußen.
»Wurde auch Zeit.« Eine stupsnasige Brünette mit schulterlangem, seidig-glänzenden, Haar lehnte, die Arme verschränkt, an der Wand.
»Endlich mal ein schöner Anblick.« Er schenkte ihr sein brillantestes Lächeln, drängte Angst und Verwirrung zurück. Aus der Sache konnte man etwas machen. Er war ein verdammter Magier! Er konnte Alfie helfen. Und seiner Mum.
»Mein Name ist Jennifer Danvers.« Sie stieß sich ab, kam auf ihn zu. »Jen reicht. Ich wette, du überlegst gerade, wie du deine Magie einsetzen kannst, um Frauen rumzukriegen.«
Alex' Wangen wurden beängstigend heiß. »So etwas würde ich niemals tun! Wie ginge das denn?«
Jen schnaubte. »Lauf mir einfach hinterher und versuche, dir alles zu merken. Stelle so wenige Fragen wie möglich und erspar dir … sprich am besten gar nicht.«
Schon setzte sie sich in Bewegung. Scheinbar hatte sie etwas gegen ihn. Er runzelte die Stirn. War sie nicht dagewesen, als er kurzzeitig das Bewusstsein wiedererlangt hatte? Da mache ich ihr ein Kompliment – und dann das. Wow, was für ein Hintern.
»Das hier ist das Castillo Maravilla. Es dient den Lichtkämpfern seit Generationen als Basis. Natürlich gibt es überall auf der Welt verteilt Außenposten und sichere Häuser, die im Notfall genutzt werden können.«
Sie stiegen die Treppe empor. »Bis vor einhundertsechsundsechzig Jahren wussten Nichtmagier – wir nennen sie Nimags – von uns. Magier und gewöhnliche Menschen lebten Seite an Seite. Doch die Schattenkämpfer machten sie zum Spielball, beeinflussten, verzauberten, manipulierten. Natürlich bemerkte die Öffentlichkeit das. Wenn du wüsstest, wie viele Kriege und Katastrophen der Menschheitsgeschichte auf das Wirken von schwarzmagischen Wesen zurückgehen, du wärst entsetzt.«
»Komisch, ich habe den Geschichtsunterricht ein wenig anders in Erinnerung.«
Sie erreichten eine umlaufende Galerie. Jen lehnte sich auf das hüfthohe Geländer. Unter ihnen wimmelte es von geschäftig dreinblickenden Magiern. »Lichtkämpfer und jene unter den Schattenkämpfern, die genug von dem Chaos hatten, das ihre eigenen Leute anrichteten, vereinten sich. Sie schufen den Wall. Ein magisches Konstrukt, das uns aus den Erinnerungen der Nimags getilgt hat. Alle glauben nun, dass Magie Büchern und Filmen vorbehalten ist, dass sie nie existierte.«
»Praktisch.«
Sie nickte. Ein Schatten legte sich über ihr Gesicht. »Leider stellte sich heraus, dass es in der Führungsriege der Lichtkämpfer einen Verräter gab.« Sie malte ein Symbol in die Luft, der Bereich vor dem Castillo wurde sichtbar. In der Luft schwebten weiße Kristalle. »Das Kristallnetz umgibt das Castillo und schützt es vor schwarzmagischen Eindringlingen. Bis heute weiß niemand, wie der Überläufer es damals geschafft hat, den Schutz auszuschalten. Wir nennen das, was er damals getan hat, ›Kristallfeuer‹. Sie brannten, wurden zu Staub. Dann begann der Kampf.«
Unweigerlich entstanden Bilder von leuchtenden Symbolen, flirrenden Energien und Blut vor Alex' innerem Auge. »Aber ihr habt gewonnen.«
»Wir, du gehörst nun dazu.« Sie nickte. »Der Wall wurde im allerletzten Augenblick erschaffen.«
»Sollten die Schattenkämpfer nicht froh darüber sein? Ich meine, so können sie weiter im Verborgenen wirken.«
Jen ließ das Bild der Schutzkristalle verschwinden. Gemeinsam schlenderten sie die Galerie entlang. »Der Wall konnte nur erschaffen werden, weil den Magiern ein mächtiges Artefakt zur Verfügung stand. Wir nennen ihn den Onyxquader. Nach der Entstehung des Walls – die Essenz im Quader war dadurch aufgebraucht – bediente sich der Wall fortan von unser aller Sigilen.«
»Ich verstehe. Damit werden alle Magier, ob Licht- oder Schattenkämpfer, geschwächt.«
Sie nickte mit hochgezogener Braue, als hätte sie ihm einen so logischen Gedanken gar nicht zugetraut. »Das trifft es ziemlich genau. Ein wenig ist es, als hätte jemand Gerüche entfernt, Musik leise gedreht und die Umgebung in Schwarz und Weiß verwandelt. Es muss wirklich schlimm gewesen sein. Wir kennen unsere Kraft nur so, wie sie ist. Doch jene, die zu dieser Zeit bereits erwacht waren, mussten leiden. Die Gewöhnungszeit …«
»Schon klar.«
Sie führte ihn eine geschwungene Wendeltreppe empor. »Das Gröbste weißt du ja nun. Du bist ein Magier, das Wissen wird nach und nach kommen. Und wieder verschwinden. Du musst es selbst vertiefen und anwenden, um es festzuhalten.«
»Zurück auf die Schulbank.«
»So ähnlich. Magische Symbole kannst du mit deinem Finger oder dem Essenzstab in die Luft zeichnen. Bei komplexen Zaubern müssen zusätzlich magische Worte mit dem Symbol verknüpft werden, ebenso in manchen Fällen, um den Zauber überhaupt auszulösen; die musst du übrigens im richtigen Augenblick aussprechen. Alles nicht so einfach, wie man glaubt. In den nächsten Tagen erhältst du deinen Essenzstab. Da er nicht übergeben werden konnte – der deines Vorgängers wurde vernichtet –, wirst du einen eigenen bekommen.«
Sie zog ihn zur Seite, als ein Lichtkämpfer vorbeieilte.
»Mit dem Stab kannst du auch Magie in Materialien einwirken lassen. Er ist die Erweiterung deines Sigils und nahezu unzerstörbar. Außerdem kann er gegen Stichwaffen eingesetzt werden. Im Kampf gegen andere Magier wird er auch als … Duellwaffe benutzt.«
»Duell, echt jetzt? Ich bin begeistert.«
Sie schmunzelte. »Magie hat auch ihr Gutes. Aber eines solltest du wissen: Jeder Zauber kommt mit einem Preis. In der Regel ist es einfach nur Essenz,