Артур Шницлер

Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler


Скачать книгу

Wichtigtuerei irdischer Kleinlichkeit der Hoheit des Todes gegenüber erschienen – nein, er würde ihm ruhig sagen: Geh, ich hasse dich nicht.

      Er kann ihn nicht hassen, er sieht zu klar. So tief kann er in andere Seelen schauen, daß es ihn beinahe befremdet. Es ist, als wäre es gar nicht mehr sein Erlebnis – er fühlt es als einen zufälligen Umstand, daß diese Geschichte gerade ihm begegnet ist. Er kann eigentlich nur eines nicht verstehen:

      daß er es nicht immer, nicht gleich von Anfang an gewußt und – begriffen hat. Es war alles so einfach, so selbstverständlich, und aus denselben Gründen kommend wie in tausend anderen Fällen. Er erinnert sich seiner Frau, wie er sie im ersten, zweiten Jahre seiner Ehe gekannt, dieses zärtlichen, beinahe wilden Geschöpfes, das ihm damals mehr eine Geliebte gewesen ist als eine Gattin. Und hat er denn wirklich geglaubt, daß dieses blühende und verlangende Wesen, weil über ihn die gedankenlose Müdigkeit der Ehe kam – eine andere geworden ist? Hat er diese Flammen für plötzlich erloschen gehalten, weil er sich nicht mehr nach ihnen sehnte? Und daß es gerade – Jener war, der ihr gefiel, war das etwa verwunderlich? Wie oft, wenn er seinem jüngeren Freunde gegenübersaß, der trotz seiner dreißig Jahre noch die Frische und Weichheit des Jünglings in den Zügen und in der Stimme hatte – wie oft ist es ihm da durch den Sinn gefahren: Der muß den Weibern wohl gefallen können … Und nun erinnert er sich auch, wie im vorigen Jahre gerade damals, als … es begonnen haben mußte, wie Hugo damals eine ganze Zeit hindurch ihn seltener besuchen kam als sonst

      … Und er, der richtige Ehemann, hat es ihm damals gesagt: Warum kommst du denn nicht mehr zu uns? Und hat ihn selbst manchmal aus dem Büro abgeholt, hat ihn mit herausgenommen aufs Land, und wenn er fort wollte, hat er selbst ihn zurückgehalten mit freundschaftlich scheltenden Worten. Und niemals hat er was bemerkt, nie das geringste geahnt. Hat er denn die Blicke der beiden nicht gesehen, die sich feucht und heiß begegneten? Hat er das Beben ihrer Stimmen nicht belauscht, wenn sie zueinander redeten? Hat er das bange Schweigen nicht zu deuten gewußt, das zuweilen über ihnen war, wenn sie in den Alleen des Gartens hin und her spazierten? Und hat er denn nicht bemerkt, wie Hugo oft zerstreut, launisch und traurig gewesen ist – seit jenen Sommertagen des vorigen Jahres, in denen … es begonnen hat? Ja, das hat er bemerkt, und hat sich auch wohl zuweilen gedacht: Es sind Weibergeschichten, die ihn quälen – und sich gefreut, wenn er den Freund in ernste Gespräche ziehen und über diese kleinlichen Leiden erheben konnte …

      Und jetzt, wie er dieses ganze vergangene Jahr rasch an sich vorübergleiten läßt, merkt er nicht mit einem Mal, daß die frühere Heiterkeit des Freundes nie wieder ganz zurückgekommen ist, daß er sich nur allmählich daran gewöhnt hatte, wie an alles, was allmählich kommt und nicht mehr schwindet? …

      Und ein seltsames Gefühl quillt in seiner Seele empor, das er sich anfangs kaum zu begreifen traut, eine tiefe Milde – ein großes Mitleid für diesen Mann, über den eine elende Leidenschaft wie ein Schicksal hereingebrochen ist; der in diesem Augenblick vielleicht, nein, gewiß mehr leidet als er; für diesen Mann, dem ja ein Weib gestorben, das er geliebt hat, und der vor einen Freund treten soll, den er betrogen.

      Und er kann ihn nicht hassen; denn er hat ihn noch lieb. Er weiß ja, daß es anders wäre, wenn – sie noch lebte. Da wäre auch diese Schuld etwas, das von ihrem Dasein und Lächeln den Schein des Wichtigen liehe. Nun aber verschlingt dieses unerbittliche Zuendesein alles, was an jenem erbärmlichen Abenteuer bedeutungsvoll erscheinen wollte.

      In die tiefe Stille des Gemachs zieht ein leises Beben … Schritte auf der Treppe. – Er lauscht atemlos; er hört das Schlagen seines Pulses.

      Draußen geht die Tür.

      Einen Augenblick ist ihm, als stürze alles wieder hin, was er in seiner Seele aufgebaut; aber im nächsten steht es wieder fest. – Und er weiß, was er ihm sagen wird, wenn er hereintritt: Ich hab es verstanden – bleib!

      Eine Stimme draußen, die Stimme des Freundes.

      Und plötzlich fährt ihm durch den Kopf, daß dieser

      Mann jetzt, ein Ahnungsloser, da hereintreten wird, daß er selbst es ihm erst wird sagen müssen …

      Und er möchte sich vom Diwan erheben, die Tür verschließen . denn er fühlt, daß er keine Silbe wird sprechen können. Und er kann sich ja nicht einmal bewegen, er ist wie erstarrt. Er wird ihm nichts, kein Wort wird er ihm heute sagen, morgen erst … morgen.

      Es flüstert draußen. Richard kann die leise Frage verstehen: »Ist er allein?« Er wird ihm nichts, kein Wort wird er ihm heute sagen; morgen erst – oder später …

      Die Tür öffnet sich, der Freund ist da. Er ist sehr blaß und bleibt eine Weile stehen, als müßte er sich sammeln, dann eilt er auf Richard zu und setzt sich neben ihn auf den Diwan, nimmt seine beiden Hände, drückt sie fest, – will sprechen, doch versagt ihm die Stimme.

      Richard sieht ihn starr an, läßt ihm seine Hände. So sitzen sie eine ganze Weile stumm da.

      Mein armer Freund, sagt endlich Hugo ganz leise.

      Richard nickt nur mit dem Kopf, er kann nicht reden. Wenn er ein Wort herausbrächte, könnte er ihm doch nur sagen: Ich weiß es …

      Nach ein paar Sekunden beginnt Hugo von neuem: Ich wollte schon heute früh da sein. Aber ich habe dein Telegramm erst spät abends gefunden, als ich nach Hause kam.

      Ich dachte es, erwidert Richard und wundert sich selbst, wie laut und ruhig er spricht. Er schaut dem andern tief in die Augen … Und plötzlich fällt ihm ein, daß dort auf dem Klavier – die Briefe liegen. Hugo braucht nur aufzustehen, ein paar Schritte zu machen – und sieht sie … und weiß alles. Unwillkürlich faßt Richard die Hände des Freundes – das darf noch nicht sein; er ist es, der vor der Entdeckung zittert.

      Und wieder beginnt Hugo zu sprechen. Mit leisen, zarten Worten, in denen er es vermeidet, den Namen der Toten auszusprechen, frägt er nach ihrer Krankheit, nach ihrem Sterben. Und Richard antwortet. Er wundert sich anfangs, daß er das kann; daß er die widerlichen und gewöhnlichen Worte für all das Traurige der letzten Tage findet. Und ab und zu streift sein Blick das Gesicht des Freundes, der blaß, mit zuckenden Lippen lauscht.

      Wie Richard innehält, schüttelt der andere den Kopf, als hätte er Unbegreifliches, Unmögliches vernommen. Dann sagt er: Es war mir furchtbar, heute nicht bei dir sein zu können. Das war wie ein Verhängnis.

      Richard sieht ihn fragend an.

      Gerade an jenem Tag … in derselben Stunde waren wir auf dem Meer.

      Ja, ja …

      Es gibt keine Ahnungen! Wir sind gesegelt, und der Wind war gut, und wir waren so lustig … Entsetzlich, entsetzlich.

      Richard schweigt.

      Du wirst doch aber jetzt nicht hier bleiben, nicht wahr?

      Richard schaut auf. Warum?

      Nein, nein, du darfst nicht.

      Wohin soll ich denn gehen? … Ich denke, du bleibst jetzt bei mir? … Und eine Angst überfällt ihn, daß Hugo wieder weggehen könnte, ohne zu wissen, was geschehen.

      Nein, erwidert der Freund, ich nehme dich mit, du fährst mit mir weg.

      Ich mit dir?

      Ja … Und das sagt er mit einem milden Lächeln.

      Wohin willst du denn?

      Zurück!

      Wieder an die Nordsee?

      Ja, und mit dir. Es wird dir wohltun. Ich lasse dich ja gar nicht hier, nein! … Und er zieht ihn wie zu einer Umarmung an sich … Du mußt zu uns! …

      Zu uns? …

      Ja.

      Was bedeutet das »zu uns«? Bist du nicht allein?

      Hugo lächelt verlegen: Gewiß bin ich allein …

      Du sagst »uns« …

      Hugo zögert eine Weile. Ich wollte es dir nicht gleich

      mitteilen,