Theodor Fontane

Kindheit, Jugend und Krieg


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schoß das Blut in die Stirn, und ich zog mich, unsicher, ob ich ihm vielleicht danken müsse, verlegen zurück. Gleich danach aber sah ich, wie der Hauptmann einen jungen Offizier, der kaum zwanzig sein mochte, heranrief und mit diesem ein paar Worte wechselte. Dieser junge Offizier wurde bald der Liebling aller Damen und ein Gegenstand ihrer lebhaften Neugier. Er hieß von Witzleben und war der Sohn des Obersten von Witzleben, der, damals in Dresden wohnend, unter dem Namen A. W. Tromlitz seine im Walter-Scott-Stil gehaltenen Romane schrieb. Er (Tromlitz) war als Schriftsteller sehr gefeiert, mehr als wir uns das heute denken können, sein Sohn aber wurde später mein besonderer Gönner, eine Gönnerschaft, der er in dem von ihm redigierten Militärwochenblatt in anerkennenden Worten über meine die Kriege von 1864, 66 und 70 behandelnden Bücher Ausdruck gab. Er ist darin als Militär einzig dastehend geblieben, weil die militärischen Fachleute gegen die Schreibereien eines »Péquin« ein für allemal eingenommen sind. Ob sie darin recht haben? Ich glaube nicht, wenigstens nicht ganz. Alle diese Dinge liegen mir jetzt weit zurück, und der Wert oder Unwert dessen, was ich damals über unsre Kriege geschrieben habe, bedeutet mir nicht viel mehr. Ich darf auch hinzufügen, daß ich, auf jedem Gebiete, für Autoritäten bin, also, was so ziemlich dasselbe sagen will, das Urteil von Fachleuten bevorzuge. Trotzdem können auch Fachleute zu weit gehen, wenn sie Verständnis für ihre Sache für sich ausschließlich in Anspruch nehmen. Es gibt konventikelnde Leineweber, die die Predigt eines Oberkonsistorialrats sehr wohl beurteilen können, und es gab immer Farbenreiber, die sich sehr gut auf Bilder verstanden. In neuerer Zeit sind Auktionskommissarien an ihre Stelle getreten. Es liegt auf militärischem Gebiete nicht viel anders, wenn es überhaupt anders liegt, dessen sind die Revolutionskriege, die seit hundert Jahren geführt werden, ein beredter Zeuge. Heute noch Kellner oder Friseur und nach Jahr und Tag ein Schlachtenlenker. Und was in praxi hundertfältig geleistet wird, das kann doch auch auf theoretischem Gebiete nicht zu den Unmöglichkeiten zählen. Ich nenne hier einschaltend nur den Namen Bernhardi. Gewiß, die Laienschaft hat sich zunächst zu bescheiden, aber sie darf doch gelegentlich mitsprechen, ja selbst Vorzüge für sich in Anspruch nehmen: größere Freiheit und unbefangeneres In-Rechnung-Stellen außermilitärischer Faktoren, vor allem der sogenannten Imponderabilien. Im letzten ist Kriegsgeschichtsschreibung doch nichts anderes als Geschichtsschreibung überhaupt und unterliegt denselben Gesetzen. Wie verläuft es? Ein reiches Material tritt an einen heran, und es gilt, unter dem Gegebenen eine Wahl zu treffen, ein »Für oder Wider«, ein »Ja oder Nein« auszusprechen. Auch die Darstellung des Kriegshistorischen ist zu sehr wesentlichem Teile Sache literarischer und nicht bloß militärischer Kritik. Ordnen und Aufbauenkönnen ist wichtiger als ein reicheres Wissens- und Erkenntnismaß, und alles in allem kann ich nicht einsehen, warum es leichter sein soll, über den Charakter Wallensteins als über den Gang der Schlacht bei Großbeeren ins klare zu kommen.

      Mein Gönner von Witzleben – er war zuletzt General – hat sichs natürlich nicht träumen lassen, daß mich sein Wohlwollen zu solchen Betrachtungen hinreißen würde, vielleicht wär er sonst ein wenig härter mit mir verfahren. Aber so oder so, ich kehre zunächst zum Jahre 30 und zu dem Bataillon vom Franz-Regiment zurück, das damals, »um Kordon zu ziehen und die Quarantäne zu sichern«, in Swinemünde einzog. Das Bataillon blieb nicht lange, wahrscheinlich weil man sich von der Nutzlosigkeit solcher Kordons überzeugt hatte; statt seiner aber erschien nun eine Batterie oder Halbbatterie schweren Geschützes, bronzene Zwölfpfünder, von denen zwei auf die Molenköpfe geschafft und dort so gestellt wurden, daß sie den Hafeneingang bestrichen. Aber auch diese Zwölfpfünder kriegten nichts zu tun; sie standen da bis ins nächste Frühjahr hinein, wo dann Befehl kam, sie nach Stettin hin zurückzuziehen. Ehe dieser Befehl aber ausgeführt werden konnte, nahm der Kommandierende Veranlassung zu einer Dankesbezeigung für die Gastfreundschaft, die die Swinemünder gegen ihn und seine Offiziere geübt hatten. Er erließ Einladungen an die Honoratioren, sich auf der diesseitigen Mole zu versammeln, um dort einem von ihm zu veranstaltenden Schießversuche beizuwohnen. Auch mein Vater war draußen und hatte mich mitgenommen, weil er sehen wollte, welchen Eindruck das Schauspiel auf mich machen würde.

      Die Luft war feucht und der Himmel grau. Alles fröstelte. Wir fanden, daß es etwas lange dauere, denn die schräg vor uns stehende Sonne neigte sich schon dem Horizonte zu. Da plötzlich große Bewegung – ein donnernder Knall, und im nächsten Augenblicke brachen alle Versammelten in ein staunendes »Ah« aus. Es war nämlich ein Rikoschettschießen, was im Prinzip etwa dasselbe bedeutet wie das »Butterstullenwerfen« auf einem Teich. Die mächtige Kugel setzte in Entfernung von dreihundert oder fünfhundert Schritt zum erstenmal auf und trieb eine Wassersäule, ganz nach Art eines Springbrunnenstrahls, in die Luft; dann folgte ein zweites und drittes Aufsetzen, bis die Wassersäulen immer kleiner wurden und schließlich die Kugel versank. Ich hätte stundenlang dem entzückenden Schauspiele zusehen können. Aber es währte nur kurze Zeit. Als der Sonnenball über dem Wasser hing, war alles vorbei, und man trat den Heimweg nach der Stadt an, wo den Offizieren und allen anderen, die mit draußen gewesen waren, bei Konsul Thompson ein Abschiedssouper gegeben wurde. Viele Reden wurden gehalten, unter Ausdruck der Freude, daß die Cholera, so fatal sie sei, so liebe Gäste gebracht habe. Zuletzt sprach auch mein Vater und bemerkte in seiner launigen, wenn auch vielleicht anfechtbaren Weise: Was draußen auf der Mole die Kanone, das sei drinnen in seiner Stadtapotheke der große Salzsäureballon gewesen, unter dessen Heranziehung er jeden Augenblick imstande gewesen wäre, das bedrohte Swinemünde unter Chlor zu setzen.

      Meine Mutter – wie denn fast alle Frauen an den Reden ihrer Männer Anstoß nehmen – war wenig erbaut von diesem Toaste; besonders mißfielen ihr die chemisch-pharmazeutischen Anspielungen. Sie freute sich zwar immer, wenn das Geschäft blühte, hielt aber im übrigen nicht viel vom Metier.

      Wie wir in die Schule gingen und lernten

       Inhaltsverzeichnis

      Als wir Johanni 27 in dem Hause mit dem Riesendach und der hölzernen Dachrinne, darin mein Vater bequem seine Hand legen konnte, glücklich untergebracht waren, meldete sich alsbald auch die Frage: »Was wird nun aus den Kindern? In welche Schule schicken wir sie?« Ware meine Mutter schon mit zur Stelle gewesen, so hätte sich wahrscheinlich ein Ausweg gefunden, der, wenn nicht aufs Lernen, so doch auf das »Standesgemäße« die gebührende Rücksicht genommen hätte. Da meine Mama jedoch, wie schon erzählt, einer Nervenkur halber in Berlin zurückgeblieben war, so lag die Entscheidung bei meinem Vater, der schnell mit der Sache fertig war und sich in einem seiner Selbstgespräche mutmaßlich dahin resolvierte, »die Stadt hat nur eine Schule, die Stadtschule, und da diese Stadtschule die einzige ist, so ist sie auch die beste.« Gesagt, getan; und ehe eine Woche um war, war ich Schüler der Stadtschule. Nur wenig ist mir davon in Erinnerung geblieben: eine große Stube mit einer schwarzen Tafel, stickige Luft trotz immer offenstehender Fenster und zahllose Jungens in Fries- und Leinwandjacken, ungekämmt und barfüßig oder aber in Holzpantoffeln, die einen furchtbaren Lärm machten. Es war sehr traurig. Ich verknüpfte jedoch damals, wie leider auch später noch, mit »in die Schule gehen« so wenig angenehme Vorstellungen, daß mir der vorgeschilderte Zustand, als ich seine Bekanntschaft machte, nicht als etwas besonders Schreckliches erschien. Ich ging eben davon aus, daß das so sein müsse. Als aber gegen den Herbst hin meine Mutter eintraf und mich mit den Holzpantoffeljungens aus der Schule kommen sah, war sie außer sich und warf einen ängstlichen Blick auf meine Locken, denen sie in dieser Gesellschaft nicht mehr recht trauen mochte. Sie hatte dann eines ihrer energischen Zwiegespräche mit meinem Vater, dem wahrscheinlich gesagt wurde, er habe mal wieder bloß an sich gedacht, und denselben Tag noch erfolgte meine Abmeldung bei dem uns schräg gegenüber wohnenden Rektor Beda. Dieser nahm die Abmeldung nicht übel, erklärte vielmehr meiner Mutter, er habe sich eigentlich gewundert ... All das war nun soweit ganz gut, berechtigte Kritik war geübt und ihr gemäß verfahren worden, aber als es nun galt, etwas Besseres an die Stelle zu setzen, wußte auch meine Mutter nicht aus noch ein. Lehrkräfte schienen zu fehlen oder fehlten wirklich, und da sich bei der Kürze der Zeit noch keine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt ermöglicht hatten, so wurde beschlossen, mich vor läufig wild aufwachsen zu lassen und ruhig zu warten, bis sich etwas fände. Um mich aber vor Rückfall in dunkelste Nacht zu bewahren, sollte ich täglich eine Stunde bei meiner Mutter lesen