Gerhard Rohlfs

Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet


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kaum hatte er gesagt: "er geht zu Sidi, ist ein zum Islam übergetretener Inglese" (Engländer), als alle beruhigt waren. Der Name "Sidi" (so wird schlecht weg der Grossscherif von Uesan genannt, er bedeutet Meinherr) wirkte überall wie Zauber. Ich liess es ruhig geschehen, dass sie glaubten, ich sei Engländer, die Mühe, ihnen auseinanderzusetzen, welcher Nationalität ich angehöre, würde überdies bei ihren kindlichen geographischen Kenntnissen vergebliche Arbeit gewesen sein.

      Bald nach Sonnenuntergang erreichten wir ein ziemlich hoch am Berge gelegenes Dörfchen. Alle Häuser und Gehöfte waren von hohen Cactushecken umgeben, ebenso die einzelnen Gärten. Vor einem Hause wurde Halt gemacht, und Si-Embark wurde vom Besitzer mit grosser Freude empfangen. "Wie ist Dein ich? Wie bist Du? Wie ist Dein Zustand? Nicht wahr, gut?" Das waren die Fragen, die Beide sich unzählige Male, nachdem der erste "ssalamu alikum" ausgetauscht worden war, wiederholten. Dabei küssten sie sich recht herzlich, und allmählich, als etwas mehr Ruhe in die rasch erfolgenden und, wie es schien, stereotypen Fragen kam, wurden diese häufig untermischt mit anderen Fragen, nach den Kornpreisen, ob die Pferde auf dem letzten Markte theuer gewesen seien, ob der Sultan wirklich die und die Tribe gebrandschatzt habe, und dergleichen mehr. Natürlich wurde die Neugier in Betreff meiner auch gestillt.

      Das Haus, in welches wir sodann geführt wurden, bestand wie alle übrigen nur aus Einem Zimmer. Die Wände waren auswendig und innen überkalkt, der Fussboden war aus gestampftem Lehm, der Plafond aus Rohr, welches auf Stämmen aus Aloes ruhte. Fenster waren nicht vorhanden, und die einzige Thür so niedrig, dass ein fünfjähriges Kind allenfalls aufrecht hindurch gehen konnte. Das äussere Dach, à cheval darüber gelegt, war aus Stroh. Eine Matte, ein Teppich, auf einer Erderhöhung eine Art Matratze war das ganze Ameublement.

      Gegenüber dem Hause befanden sich zwei Zelte, für je eine Frau, denn das Haus war von zwei Brüdern bewohnt. Man findet es in Marokko überhaupt sehr oft, dass zwei verheirathete Brüder Eine Wirthschaft haben. Der alte Vater der beiden Brüder lebte noch und bewohnte das Haus.—Der ganze folgende Tag wurde auch noch in diesem Dorfe, dessen Namen ich leider nicht erfuhr, zugebracht. Hier wurde ich in den Augen der Eingeborenen nun zum wirklichen Mohammedaner gestempelt; sie riethen mir nämlich, oder vielmehr befahlen, mein Kopfhaar glatt abzurasiren. Sie wollten sich allerdings herbeilassen, mir eine Gotaya, d.h. einen Zopf stehen zu lassen; aber diese chinesiche [chinesische] Art, das Haar zu tragen, wollte ich nicht, und Morgens nach Sonnenaufgang bekam mein Kopf auf einmal das Ansehen, welches Mirza-Schaffy für den schönsten Schmuck des Mannes hält. Der alte Papa hatte selbst das Rasiren besorgt, freilich unter grossen Qualen meinerseits: er bediente sich dazu seines ganz gewöhnlichen Messers. Ein Fötha (d.h. Segen) wurde gesprochen, ein "Gottlob" entquoll jeder Brust, und nun war ich ihrer Meinung nach vollkommener Muselmann.

      Die Beschneidung wird bei vielen Berbertriben, wie ich das später näher erörtern werde, nicht als zum Islam unumgänglich nothwendig gehalten2.

      Natürlich musste ich von nun an alle Gebräuche, die der Islam erfordert, mitmachen. Zum ersten Male ass ich mit der Hand aus einer irdenen Schüssel mit dem männlichen Hauspersonal. Die Leute unterrichteten mich, wie der Bissen zu fassen und zum Munde zu führen sei, und Nachts musste ich mich bequemen, auf hartem Erdboden zu schlafen, froh für diesmal eine Matte zu haben. Die Beleuchtung Abends bestand aus einer kleinen thönernen Lampe, ganz ähnlich in Form und Gestalt den antiken griechischen und römischen. Ein Klumpen Butter wurde hineingeworfen, irgend ein baumwollener Fetzen zu einem Dochte zusammen gedreht, und fertig war die alte Grossmama der brillanten Gaslampe.

      Am dritten Tage Morgens wurde die Reise fortgesetzt, ich natürlich immer zu Fusse. Vor Sonnenaufgang aufgebrochen, erreichten wir um "Dhaha" beim Ued Aisascha die grosse von Tanger nach L'xor (Alcassar) führende Karavanenstrasse. Eine Uhr besass ich damals nicht, und bald lernte ich wie die Marokkaner meine Zeit nach der Sonne, dem Schatten, den Magenbedürfnissen und anderen Kleinigkeiten erkennen. Der Marokkaner hat als Zeiteintheilung vor allem Sonnenaufgang, Sonnenhöhe oder Mittag, und Sonnenuntergang. Sodann die halbe Zeit zwischen Sonnenaufgang und Mittag, endlich zwischen Mittag und Sonnenuntergang ebenfalls die halbe Zeit. Für alle diese Zeitpunkte hat man auch bestimmte Namen3. Wenn ich sagte, dass wir die grosse Karavanenstrasse erreichten, so denke man dabei ja nicht an eine gepflasterte oder makadamisirte Chaussee, dergleichen giebt es im ganzen marokkanischen Reiche nicht, wie denn auch der Gebrauch des Wagens noch ganz unbekannt ist. Eine solche Strasse besteht aus verschiedenen mehr oder weniger parallel neben einander herlaufenden Pfaden. Je betretener eine solche Strasse ist, um so mehr Pfade gehen neben einander, oft zwanzig, ja bis zu fünfzig, die sich in einander schlängeln, so dass das Ganze von der Vogel-Perspective aus gesehen, wie ein langgezogenes Netz erscheinen würde.

      Die Gegend war immer gleich strotzend von Ueppigkeit, und die weissen Gipfel der Rifberge im Osten trugen nur dazu bei, den Reiz derselben zu erhöhen. Wir waren jetzt im Monat April. Man fing schon an hie und da die Gerste zu ernten. Die Verhältnisse sind in dieser Beziehung in Marokko ganz anders als bei uns. Der Acker wird gemeiniglich im December, auch wohl Anfang Januar bestellt, mittelst eines primitiven Pfluges, wohl ganz derselben Art, wie sich die Araber vor 2000 Jahren desselben bedienten. Ob die Berber den Pflug vor der arabischen Invasion gekannt haben, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, von allen übrigen Völkern Afrika's kennt nur der Abessinier den Pflug, und nach Abbessinien ist er auch wahrscheinlich aus Arabien herübergekommen. Südlich vom Atlas, in den Oasen der Sahara, in Centralafrika wird der Boden nur mit der Hacke bearbeitet. Das Schneiden der Frucht geschieht mittelst krummer Messer, Sicheln kann man kaum sagen, und so nahe unter der Aehre, dass fast das ganze Stroh stehen bleibt, dies soll dann zugleich für die nächste Bestellung des Ackers als Düngungsmittel dienen. In Haufen lässt man alsdann das Getreide einige Zeit auf dem Felde trocknen und hernach wird das Korn durch Rinder, denen das Maul verbunden ist4 und die im Kreise herumgetrieben werden, ausgetreten. Eine aus Lehm gestampfte Tenne dient in der Regel einem ganzen Dorfe. Das Getreide, was man für den nächsten Gebrauch nicht im Hause behält, wird in grosse Löcher geschüttet. Diese Gruben von birnförmiger Gestalt mit engem Halse als Oeffnung nach oben, sind mehr als mannstief und unten 4 bis 5 Fuss breit; man legt sie immer auf Erhöhungen und im trockenen Erdreich an, das Getreide soll sich jahrelang darin halten.

      Es war an dem Tage ungemein warm; obschon an Gehen gewöhnt, war mir der Marsch mit blossen Füssen in den dünnen gelben Pantoffeln äusserst beschwerlich; nach der Sitte der Marokkaner hatte ich meine Hosen eingerichtet, d.h. bis zu den Knieen abgeschnitten und die Folge davon war, dass hier die empfindliche Haut von einem Sonnenstich bald blauroth wurde und schmerzhaft brannte. Glücklicherweise hatte Si-Embark eine kleine Rkuá5 bei sich, woraus wir unseren Durst stillen konnten. Abends erreichten wir einen Duar, d. i. ein Zeltdorf, in dem genächtigt wurde. Es war ein Kreis von 17 Zelten; eins, das sich durch grössere Feinheit des Stoffes auszeichnete, auch geräumiger als die übrigen war, gehörte dem Mul el Duar (Dorfherr), der zu gleicher Zeit Aeltester der Familie und ihr Kaid war. Sein Zelt stand mit den übrigen im selben Kreise, manchmal lagern die Kaids in der Mitte oder auch abseits vom Duar. Nicht bei allen Triben herrscht überdies die Sitte, die Zelte kreisförmig aufzuschlagen; viele lieben es, in Einer Front die Zelte zu errichten oder auch die Behausungen den örtlichen Verhältnissen der Gegend anzupassen. Si-Embark hatte mir den ganzen Tag über gute Lehren gegeben, wie ich mich zu verhalten hätte, und ich ersah daraus, dass es vor Allem darauf ankam, fortwährend Gott im Munde zu haben. Doch waren manche andere Kleinigkeiten darunter, die uns lächerlich erscheinen werden. Als er mich das Wort "rsass", Blei, für Kugel anwenden hörte, unterbrach er mich