Alexander von Humboldt

Reise durchs Baltikum nach Russland und Sibirien 1829


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ein Kolleg über Geldumlauf gehört und als Leiter des preußischen Bergbaus in Franken die Lösung schwieriger Währungsprobleme beeinflusst hatte. Alexander riet grundsätzlich ab, da der Münzwert des Platins bei den unsicheren Preisen im Handel nicht festgestellt werden konnte. Er teilte Cancrin sehr unterschiedliche Preise mit.4 Er glaubte nicht an eine isolierte Münze und befürchtete, die russische Platinwährung werde den Weltmarktpreis des Metalls zwar modifizieren, aber nie bestimmen.5 Cancrin wandte sich auch an mehrere ausländische Fachleute. Nur Humboldt scheint widersprochen zu haben. Cancrin wollte diese Lieblingsidee nicht einfach aufgeben und schloss einen Vergleich zwischen der strikten Ablehnung Humboldts und den wohl zustimmenden Urteilen ausländischer Persönlichkeiten. In einem Ukas vom 24. April 1828 wurde eine Platin-Luxus-Währung dekretiert. Niemand war verpflichtet, die Münze anzunehmen. Ausfuhr und Verarbeitung wurden nicht verboten. Schon am nächsten Tage unterrichtete Cancrin den sich klug zurückhaltenden Humboldt und sandte ihm einen »weißen Dukaten«.6 1829 und 1830 folgten Münzen im Wert von 6 und 12 Rubeln. 1828 war der Metallwert für das Pud Platin zu 4746 Rubeln angenommen worden. Es dauerte nicht lange, bis Handels- und Nominalwert erheblich differierten, 1844 bereits um 137%. 1845 wurde das Prägen von Platinmünzen verboten.7 Humboldt hatte recht behalten, aber er ließ es Cancrin nie spüren. Als im November 1858 eine russische Finanzkommission eine Münzreform beriet, berief sie sich auf Humboldts Argumente, ohne seinen Namen zu nennen, und widersetzte sich 1863 einer neuen Platinwährung.8

      Die Kunde von der neuen Währung war auch nach Kolumbien, dem größten Platinproduzenten, gedrungen und hatte neue Diskussionen ausgelöst. »Männer von politischem Einfluss in Colombia«, die sich in England aufhielten, hatten Humboldt geschrieben. Cancrin war sofort damit einverstanden, als sich sein Briefpartner bemühen wollte, dort eine Anpassung der künftigen Währung an die russische zu erreichen. Humboldt hatte auf seinen Einfluss bei Bolívar hingewiesen, »den eine gewisse Vorliebe« ihm »dort erhalten« habe.9 Er wollte versuchen, einen Verfall der russischen Währung durch einen plötzlichen Metallausstoß des südamerikanischen Landes zu verhindern.

      Fast heimlich hatte Cancrin in einem zweiten Brief, den er Humboldt am 22. Oktober 1827 schrieb, die Möglichkeit einer Forschungsreise angedeutet: »Noch bemerke ich, dass die Platina bis jetzt hauptsächlich nur an zwei Orten gewonnen wird, und zwar jenseits des Urals, der wohl des Besuches eines großen Naturkundigen werth wäre.«10 Cancrin kannte gewiss den Briefwechsel, den Humboldt 1812 mit russischen Instanzen geführt hatte (Beck II, S. 4, 30). Außerdem waren Alexanders Pläne bekannt. Dieser ging im Nachwort seines Antwortbriefs vom 19. November 1827 bereits auf die zurückhaltende und doch verlockende Andeutung ein: »Mein heißester Wunsch ist, Ihnen in Russland selbst meine Aufwartung zu machen. Der Ural und der nun bald russische Ararat, ja selbst der Baikal-See schweben mir als liebliche Bilder vor.«11 Wie sehr Cancrin einem »Nein« ausweichen wollte, verriet sich, als er Humboldt in seiner Antwort vom 5./17. Dezember 1827 sofort beim Wort nahm: »Ich habe vorläufig Sr. Majestät unserm hochherzigen Kaiser vorgetragen, daß Ew. Hochwohlgeboren nicht ungeneigt sind, eine gelehrte Reise nach unserem Osten zu unternehmen. Der Monarch wünscht es, da der Gewinn für die Wissenschaft und das Reich nur sehr groß sein kann.«12 Er malte aus, wie er sich die Unternehmung vorstellte und legte nahe, jetzt – während des Krieges – auf den Besuch Armeniens, des Ararats und des Kaspi-Sees zu verzichten.13 Er erbat Humboldts Vorschläge und wünschte den Beginn der Reise bereits am 1. Mai 1828.14 Humboldt zögerte. Seine Lage war ungeklärt, er war eben erst aus Paris zurückgekommen, die Universitäts- und Singakademievorlesungen schienen in den »Kosmos« auszumünden, wie er auch Cancrin schrieb.15 Der Finanzminister hatte inzwischen schon wieder korrespondiert. Cancrin lag vor allem die Hebung der ihm anvertrauten Bergwirtschaft am Herzen, darum versprach er sich von einer Reise zum Ural und Altai am meisten. Alexander kam wiederholt auf Armenien und den Ararat zu sprechen, gab aber diese Ziele wegen des dortigen Kriegszustandes auf.16 Unter anderem schrieb Humboldt: »Auch freue ich mich außerordentlich, in diesen östlichen, zum Theil ärmern Provinzen das russische Volk (ich meine die gemeinen Landleute, die mir immer als sehr liebenswürdig geschildert worden sind) in ihrer primitiven Einfachheit und kräftigen Lebendigkeit zu sehen.«17 Darauf antwortete Cancrin, der ein treuer Diener seines Herrn war und fest zum ancien régime stand, obgleich er einst in seiner Jugend ähnlich wie Humboldt gedacht hatte: »Der Wunsch der Regierung ist einzig, die Wissenschaft zu befördern, und, so weit es angeht, die [der] Gewerbsamkeit Rußlands, besonders im Bergfach, dabei zu nüzzen.«18 Cancrin, der noch den alten Nützlichkeitsstandpunkt vertrat, sprach sich eindeutig aus. Über die Lage der Leibeigenen wollte man sich nicht unterrichten lassen, weil man sie kannte und verhindern wollte, dass sich entsprechende Schilderungen in Europa verbreiteten. Humboldt beruhigte Cancrin später in fast reaktionärer Weise,19 ließ sich aber keine Binde um die Augen legen, so dass wir stets seine wahre Meinung erkennen können. Die Ansichten wurden aufeinander abgestimmt. Cancrin wollte Humboldts Reiseerfahrung der Erforschung des russischen Reiches zugute kommen lassen. So konnte Alexander am 25. Februar 1829 Arago aus Berlin mitteilen, das »hauptsächliche Ziel« dieser Reise sei es, ihn wegen der großen Expeditionen um Rat zu fragen, die man erst unternehmen werde, wenn der Friede in Armenien, an den persischen Grenzen und in Sibirien wiederhergestellt sei.20 Er hoffte, dass Prof. Kupffer mit der Leitung der Unternehmungen betraut werde, von dem er mehr hielt als von Hansteen. Seine Reise habe absolut nichts zu tun mit der Ermans und Hansteens, die ebenfalls in Sibirien arbeiten sollten.21 Humboldt selbst konnte diese Reise nicht auf die leichte Schulter nehmen, weil er ihr längst einen symbolischen Charakter zuerkannt hatte. Die Hoffnung, seine »Karriere«, sein tätiges Leben mit einer Expedition abzuschließen,22 hatte ihn nie verlassen. Er sah, wie sie sich verwirklichte und tat als Mann, der seinen Lebensweg nie Zufällen anvertraut hatte, alles, um sie zu einem würdigen Abschluss werden zu lassen. Gewiss, er war nun auf eine karge Gegend »zurückgeworfen« worden.23 Er wusste aber genau, dass es nur auf ihn ankam, das Beste aus dieser Reise zu machen. Er wollte erst im Frühjahr 1829 aufbrechen. Die Fahrt von Berlin bis St. Petersburg wollte er selbst bestreiten. Für alles Weitere hoffte er auf die Großzügigkeit des Zaren. Cancrins Noblesse verstand die Andeutungen Humboldts, der auf seine Opfer für die Wissenschaft verwiesen hatte, und ließ ihm in Berlin für den ersten Abschnitt bis Petersburg 1200 Dukaten zugehen. Außerdem bereitete Cancrin die Reise, so gut er konnte, vor. Er wollte Humboldt einen Bergbeamten mitgeben, der deutsch und französisch sprach, und einen Kurier »zum Ansagen der Postpferde, Bestellungen am Orte usw…, der wo möglich, auch deutsch spricht, oder stattdessen verwilligen Seine Majestät einen Feldjäger.«24 Wagenreparaturen, Postpferde u.a. sollte der Bergbeamte aus einem besonderen Fonds bestreiten. Weiter hieß es: »Ew. Hochwohlgeb[oren]. haben also damit keine Mühe oder Kosten… Es hängt ganz von Ew. Hochwohlgeb. ab, wohin, in welchen Richtungen, zu welchen Zwekken Sie die Reise vornehmen wollen.«25 Cancrin hatte in seiner sachlichen und fürsorglichen Art an alles gedacht: Gouverneure, Vizegouverneure und Bergbehörden sollten angewiesen werden, die Reise zu unterstützen.26 Versuche sollten auf Staatskosten ausgeführt werden. Wenn die Route näher bestimmt war, sollte »eine Anleitung verfertigt werden, was an jedem Orte besonders der Aufmerksamkeit werth ist, auch werden Ihnen alle ferner nöthigen Notizen mitgeteilt werden.«27 Zweifellos konnte Humboldt die Route selbst bestimmen, aber er wurde hierzu verpflichtet und musste sich von vornherein klar entscheiden. Das setzte gründliche Überlegungen voraus und bedeutete gleichzeitig, dass man nicht daran dachte, ihn beliebig reisen zu lassen. Die Fürsorge, die sein Alter und sein Ansehen erforderten, gestattete Cancrin die Festlegung einer einmal gewählten Route und erlaubte die Überwachung der Reisen. Humboldt wusste natürlich, dass Cancrin ihm auf milde Weise Fesseln anlegte und gab zu verstehen, dass er den Sinn dieser Maßnahmen durchschaut hatte, etwa als er während der Reise schrieb, bis jetzt hätten seine Begleiter und er in der »vorgeschriebenen Rechnung einige Tage … gewonnen.«28 Cancrin hat wohl nie damit gerechnet, Humboldt könnte entscheidend von der vorgezeichneten Route abweichen und dürfte daher später in dieser Beziehung oft überrascht worden sein, ohne dabei Alexanders Handlungsweise missbilligen zu können.

      Merkwürdigerweise gab es diesmal sogar eine wirkliche Vorbereitung von Seiten der Regierung des zu bereisenden Landes; eine in dieser Ausführlichkeit einmalige Erscheinung, der Humboldts