Es ist Mondschein,
WALLER. Ja, – wollen Sie mich begleiten? So wollen wir ein wenig im Garten spazieren gehn.
RAMSTEIN. Mit vielem Vergnügen. – (Zu Luisen.) Wollen Sie uns nicht Ihre Gesellschaft gönnen?
LUISE (auffahrend.) Nein, – ich, – verzeihen Sie, ich muß die Küche besorgen.
WALLER. Kommen Sie! – (Geht mit Ramstein ab.)
Neunter Auftritt
LUISE.
Das ist das Porträt deines verstorbenen Bruders? – Gewiß, ich weiß jetzt nicht, ob Karl das wirklich gesagt hat, – es kann nicht sein. – Aber wovor wäre ich denn so erschrocken? – Ich kann keinen andern Gedanken fassen, als mir diese Worte unaufhörlich wiederholen, und mit eben dem Ton. – Was soll ich anfangen? – Soll ich ihm nach, ihm alles entdecken, – das würde mir das Leben kosten. – Gott! wie kann eine Stunde alles verändern! – Karl! Ferdinand! – O Himmel, warum gibt es diese beiden Namen in der Welt? – Warum lieb' ich Karln? oder warum liebt' ich Ferdinand einst? – Das ist die Strafe der gebrochenen Treue, – ich werde nicht wieder glücklich sein. – Gott, das wird ein schrecklicher Abend sein, er wird mir gegenüber sitzen, – stumm und tot, – Karl neben mir stumm und tot; und dann, – wenn er nun fort ist, wenn ich mit Karl allein hin, – es werden fürchterliche Stunden sein! – Wenn ich doch diese Zeit verschlafen könnte, – oder indes tot sein, – wie froh würd' ich erwachen, – oder auch nicht wieder erwachen, – denn was für Freuden hab' ich itzt noch vom Leben zu hoffen? (Sie geht ab.)
Zweiter Aufzug
(Dasselbe Zimmer. – Die Vorhänge sind heruntergelassen; es ist Nacht. Eine Nachtlampe brennt auf dem Tisch.)
Erster Auftritt
LUISE.
LUISE (steht gebückt vor einem Schrank, in welchen sie Wäsche einpackt). Es ist schon Mitternacht vorbei. – (Mit einem tiefen Seufzer.) Ach Gott! – Wie still alles umher ist, – still wie ein Totengewölbe; – mir bangt allein zu sein, und doch mag ich nicht zu Karln gehn. Ob ich jetzt gehe? – Nein, nur noch ein paar Minuten. – Es schlug so dumpf zwölf Uhr. – Nun war' ich ja ganz mit Einpacken fertig, – und nun will ich auch gehn. Ach! ich möchte so gern, daß ich hier noch etwas zu thun hätte, – aber es ist leider nicht wahr, – Ich bin so allein, – und Ferdinands Bildnis sieht mich so wehmütig an, – nein, ich kann es nicht länger hier aushalten, – ich will gehn. (Sie ist im Begriff abzugehn, die Thür öffnet sich, und Ramstein tritt herein.)
Zweiter Auftritt
LUISE. RAMSTEIN.
RAMSTEIN. Luise!
LUISE. Gott! Du schläfst noch nicht?
RAMSTEIN. Ich kann nicht schlafen, – mir ist so sonderbar.
LUISE. Was fehlt dir? Dein Auge sieht so starr –
RAMSTEIN. Ich weiß nicht, – es ist eine Kinderei, – hast du es wohl hören Zwölfe schlagen, Luise?
LUISE (seufzend) Ach ja!
RAMSTEIN. War es nicht schrecklich?
LUISE. Es klang so hohl, so dumpf –
RAMSTEIN. Mir klang es wie meine Sterbeglocke.
LUISE. Deine Sterbeglocke?
RAMSTEIN. Der letzte Schlag, – so hart, – so fürchterlich schließend, – und hernach alles so still, kein Laut in der ganzen Natur, – alles tot! tot, Luise! – Mir war, als würd' ich es nicht hören Eins schlagen.
LUISE. Wie kömmst du darauf?
RAMSTEIN. Der Wind zittert so in den Fenstern, es ist für mich eine schreckliche Nacht, – als ich mich so allein im Zimmer sah, überfiel mich plötzlich ein sonderbares Entsetzen, – es war, als ständen fremde Männer um mein Bett, die mir mit fürchterlichen Gesichtern den Zugang versperrten.
LUISE. Du bist sehr krank, – lieber Ferdinand, – und doch steckst du mich mit deiner Furcht an, – seh' ich eben so blaß aus wie du?
RAMSTEIN. Du bist sehr matt.
LUISE. Horch! wie der Wind um die Ecke der Straße winselt, – es ist wirklich schauerlich. – Das Licht brennt so bleich und matt, – es macht durch die Dämmerung das kleine Zimmer wie einen großen, weiten Saal. – (Sie schließt sich näher an Ramstein. Waller tritt leise herein und bleibt im Hintergrunde, in der Dunkelheit stehn.)
RAMSTEIN. Wir sind krank, Luise, und in der Krankheit wird der Geist wieder zum Kinde.
LUISE. Du hast recht. – Ach, Ferdinand!
RAMSTEIN. Warum seufzest du so tief?
LUISE. Wir sehn uns nicht wieder.
RAMSTEIN. Diesseits nicht.
LUISE. Diesseits nicht.
RAMSTEIN. Vielleicht auch nicht jenseits, – ich fange an, an allem zu zweifeln.
LUISE. Ich habe es nie so gefühlt, als grade jetzt, was es heißt: dich nicht wieder zu sehn! – Ach, Ferdinand, ich liebe dich noch, ich kann's mir nicht verhehlen, du hast mich unglücklich gemacht. – Dich nicht wiedersehn und unglücklich sein.
RAMSTEIN. Unglücklich?
LUISE. Ich werde nie dein bleiches Gesicht vergessen, nie diesen trüben Blick, der sich so langsam aufhebt; – und auch Karl ist mir fremd geworden.
RAMSTEIN. Wie das?
LUISE. Du hast es nicht bemerkt? O gewiß, du hast es; so wie heut' war er noch nie, so ernst, so in sich brütend, ohne ein Wort zu sprechen. Nur zuweilen sah er mich seitwärts mit einem festen, prüfenden Blick an, – ich konnte nicht sprechen. – ich suchte die ängstliche Stille einmal durch ein Husten zu unterbrechen, und mein Gesicht glühte eine halbe Stunde, daß ich sie unterbrochen hatte, – er konnte es für Furcht, böses Gewissen, wer weiß wofür, erklären. – Er hatte dein Bild erkannt.
RAMSTEIN. Daher rührte seine Laune? Das Bild hatt' ich ganz vergessen. – O Luise, wir sind sehr unbesonnen gewesen, ich hätte durchaus noch fortgehen sollen, ehe er mich erkannte, – ich dachte gar nicht an dieses verwünschte Bild!
LUISE. O schilt es nicht, – ich hatte es auch vergessen, bis ich mit den Lichtern zurückkam. – Du glaubst nicht, mit welchem Herzen ich spielte; du mußt es gesehn haben, wie meine Finger zitterten und kaum den Ton anzuschlagen wagten, und wie ich endlich in der quälendsten Angst fast die Saiten zersprengte. – Was sprach er denn mit dir im Garten?
RAMSTEIN. Nichts, – er ging stumm neben mir, ich hatte sonderbare Empfindungen, – der Mond glänzte wunderbar durch das verschlungene Weinlaub, die Bäume standen so ernst da und rauschten so wehmüthig, ich war die ganze Zeit über wie bezaubert, ich hatte alles vergessen; ich verlor mich in Phantasien meiner Kindheit, – aber als wir zurückkamen, – da sah er mich an, mit einem Blick, – o, ich werde diesen fürchterlichen Blick nie vergessen, – es lag viel in diesem starren, bedeutungslosen Drehen des Auges, – so kalt, so durchbohrend, so wild, als wollt' er durch