einzigen treuen Aufbewahrerin der Gedanken. Zudem hat nothwendig jeder tiefdenkende Geist den Trieb, zu seiner eigenen Befriedigung, seine Gedanken festzuhalten und sie zu möglichster Deutlichkeit und Bestimmtheit zu bringen, folglich sie in Worten zu verkörpern. Dies aber geschieht vollkommen allererst durch die Schrift: denn der schriftliche Vortrag ist ein wesentlich anderer, als der mündliche; indem er allein die höchste Präcision, Koncision und prägnante Kürze zuläßt, folglich zum reinen Ektypos des Gedankens wird. Diesem allen zufolge wäre es in einem Denker ein wunderlicher Uebermuth, die wichtigste Erfindung des Menschengeschlechts unbenutzt lassen zu wollen. Sonach wird es mir schwer, an den eigentlich großen Geist Derer zu glauben, die nicht geschrieben haben: vielmehr bin ich geneigt, sie für hauptsächlich praktische Helden zu halten, die mehr durch ihren Charakter, als durch ihren Kopf wirkten. Die erhabenen Urheber des Upanischads der Veden haben geschrieben: wohl aber mag die Sanhita der Veden, aus bloßen Gebeten bestehend, sich Anfangs nur mündlich fortgepflanzt haben.
Zwischen Sokrates und Kant lassen sich gar manche Aehnlichkeiten nachweisen. Beide verwerfen allen Dogmatismus: Beide bekennen eine völlige Unwissenheit in Sachen der Metaphysik und setzen ihre Eigenthümlichkeit in das deutliche Bewußtseyn dieser Unwissenheit. Beide behaupten, daß hingegen das Praktische, Das, was der Mensch zu thun und zu lassen habe, völlig gewiß sei und zwar durch sich selbst, ohne fernere theoretische Begründung. Beide hatten das Schicksal, daß ihre nächsten Nachfolger und deklarirten Schüler dennoch in eben jenen Grundlagen von ihnen abwichen und, die Metaphysik bearbeitend, völlig dogmatische Systeme aufstellten; daß ferner diese Systeme höchst verschieden ausfielen, jedoch alle darin übereinstimmten, daß sie von der Lehre des Sokrates, respektive Kants, ausgegangen zu seyn behaupteten. — Da ich selbst Kantianer bin, will ich hier mein Verhältniß zu ihm mit Einem Worte bezeichnen. Kant lehrt, daß wir über die Erfahrung und ihre Möglichkeit hinaus nichts wissen können: ich gebe Dies zu, behaupte jedoch, daß die Erfahrung selbst, in ihrer Gesammtheit, einer Auslegung fähig sei, und habe diese zu geben versucht, indem ich sie wie eine Schrift entziffern, nicht aber wie alle früheren Philosophen, mittelst ihrer bloßen Formen über sie hinauszugehn unternahm, was eben Kant als unstatthaft nachgewiesen hatte. —
Der Vortheil der Sokratischen Methode, wie wir sie aus dem Platon kennen lernen, besteht darin, daß man sich die Gründe der Sätze, welche man zu beweisen beabsichtigt, vom Kollokutor oder Gegner, einzeln zugeben läßt, ehe er die Folgen derselben übersehn hat; da er hingegen aus einem didaktischen Vortrage, in fortlaufender Rede, Folgen und Gründe gleich als solche zu erkennen Gelegenheit haben und daher diese angreifen würde, wenn ihm jene nicht gefielen. — Inzwischen gehört zu den Dingen, die Platon uns aufbinden möchte, auch dieses, daß, mittelst Anwendung jener Methode die Sophisten und andere Narren sich so in aller Gelassenheit hätten vom Sokrates darthun lassen, daß sie es sind. Daran ist nicht zu denken; sondern etwan beim letzten Viertel des Wegs, oder überhaupt sobald sie merkten wo es hinaus sollte, hätten sie, durch Abspringen, oder Leugnen des vorher Gesagten, oder absichtliche Mißverständnisse, und was noch sonst für Schliche und Schikanen die rechthaberische Unredlichkeit instinktmäßig anwendet, dem Sokrates sein künstlich angelegtes Spiel verdorben und sein Netz zerrissen; oder aber sie wären so grob und beleidigend geworden, daß er bei Zeiten seine Haut in Sicherheit zu bringen rathsam gefunden haben würde. Denn, wie sollte nicht auch den Sophisten das Mittel bekannt gewesen seyn, durch welches Jeder sich Jedem gleich setzen und selbst die größte intellektuelle Ungleichheit augenblicklich ausgleichen kann: es ist die Beleidigung. Zu dieser fühlt daher die niedrige Natur eine sogar instinktive Aufforderung, sobald sie geistige Ueberlegenheit zu spüren anfängt. —
§. 4. Platon
Schon beim Platon finden wir den Ursprung einer gewissen falschen Dianoiologie, welche in heimlich metaphysischer Absicht, nämlich zum Zweck einer rationalen Psychologie und daran hängender Unsterblichkeitslehre, aufgestellt wird. Dieselbe hat sich nachmals als eine Truglehre vom zähesten Leben erwiesen; da sie, durch die ganze alte, mittlere und neue Philosophie hindurch, ihr Daseyn fristete, bis Kant, der Alleszermalmer, ihr endlich auf den Kopf schlug. Die hier gemeinte Lehre ist der Rationalismus der Erkenntnißtheorie, mit metaphysischem Endzweck. Sie läßt sich, in der Kürze, so resumiren. Das Erkennende in uns ist eine, vom Leibe grundverschiedene immaterielle Substanz, genannt Seele: der Leib hingegen ist ein Hinderniß der Erkenntniß. Daher ist alle durch die Sinne vermittelte Erkenntniß trüglich: die allein wahre, richtige und sichere hingegen ist die von aller Sinnlichkeit (also aller Anschauung) freie und entfernte, mithin das reine Denken, d. i. das Operiren mit abstrakten Begriffen ganz allein. Denn dieses verrichtet die Seele ganz aus eigenen Mitteln: folglich wird es am besten, nachdem sie sich vom Leibe getrennt hat, also wenn wir todt sind, von Statten gehn. — Dergestalt also spielt hier die Dianoiologie der rationalen Psychologie, zum Behuf ihrer Unsterblichkeitslehre, in die Hände. Diese Lehre, wie ich sie hier resumirt habe, findet man ausführlich und deutlich im Phädo Kap. 10. Etwas anders gefaßt ist sie im Timäus, aus welchem Sextus Empirikus sie sehr präcis und klar mit folgenden Worten referirt: Παλαια τις παρα τοις φυσικοις κυλιεται δοξα περι του τα όμοια των όμοιων ειναι γνωριστικα. Mox: Πλατον δε, εν τω Τιμαιω, προς παραστασιν του ασωματον ειναι την φυχην, τω αυτω γενει της απαδειξεως κεχρηται. Ει γαρ ή μεν όρασις, φησι, φωτος αντιλαμβανομενη, ευθυς εστι πωτοειδης, ή δε ακοη αερα πεπληγμενον κρινουσα, όπερ εστι την φωνην, ευθυς αεροειδης θεωρειται, ή δε οσφρησις ατμους γνωριζουσα παντος εστι ατμοειδης, και ή γευςις χυλους, χυλοειδης΄ κατ΄αναλκην και ή φυχη τας ασωματους ιδεας λαμβανουσα, καθαπερ τας εν τοις αριθμοις και τας εν τοις περασι των σωματων (also reine Mathematik) γινεται τις ασωματος (adv. Math. VII, 116 et 119). (vetus quaedam, a physicis usque probata, versatur opinio, quod similia similibus cognoscantur. — — Mox: Plato, in Timaeo, ad probandum, animam esse incorpoream, usus est eodem genere demonstrationis: nam si visio, inquit, apprehendenslucem statim est luminosa, auditus autem aerem percussum judicans, nempe vocem, protinus cernitur ad aeris accedens speciem, odoratus autem cognoscens vapores, est omnino vaporis aliquam habens formam, et gustus, qui humores, humoris habens speciem; necessario et anima, ideas suscipiens incorporeas, ut quae sunt in numeris et in finibus corporum, est incorporea.)
Selbst Aristoteles läßt, wenigstens hypothetisch, diese Argumentation gelten, da er im ersten Buch de anima (c. 1) sagt, daß die gesonderte Existenz der Seele danach auszumachen wäre, ob dieser irgend eine Aeußerung zukäme, an welcher der Leib nicht Theil hätte: eine solche schiene vor Allem das Denken zu seyn. Sollte aber selbst dieses nicht ohne Anschauung und Phantasie möglich seyn; dann könne dasselbe auch nicht ohne den Leib statt finden. (ει δε εστι και το νοειν φαντασια τις, η μη ανευ φαντασιας, ουκ ενδεχοιτ΄ αν ουδε τουτο ανευ σωματος ειναι.) Eben jene oben gestellte Bedingung nun aber, also die Prämisse der Argumentation, läßt Aristoteles nicht gelten, sofern er nämlich Das lehrt, was man später in den Salz nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensibus formulirt hat: man sehe hierüber de anima III, 8. Schon er also sah ein, daß alles rein und abstrakt Gedachte seinen ganzen Stoff und Inhalt doch erst vom Angeschauten erborgt hat. Dies hat auch die Scholastiker