ist er so oft konfus und ungenügend. Ausnahmsweise hat er es freilich anders gehalten; wie denn z. B. die drei Bücher Rhetorik durchweg ein Muster wissenschaftlicher Methode sind, ja, eine architektonische Symmetrie zeigen, die das Vorbild der Kantischen gewesen seyn mag.
Der radikale Gegensatz des Aristoteles, wie in der Denkungsart, so auch in der Darstellung, ist Platon. Dieser hält seinen Hauptgedanken fest, wie mit eiserner Hand, verfolgt den Faden desselben, werde er auch noch so dünn, in alle Verzweigungen, durch die Irrgänge der längsten Gespräche, und findet ihn wieder nach allen Episoden. Man sieht daran, daß er seine Sache, ehe er an’s Schreiben ging, reiflich und ganz durchdacht, und zu ihrer Darstellung eine künstliche Anordnung entworfen hatte. Daher ist jeder Dialog ein planvolles Kunstwerk, dessen sämmtliche Theile wohlberechneten, oft absichtlich auf eine Weile sich verbergenden Zusammenhang haben und dessen häufige Episoden von selbst und oft unerwartet zurückleiten auf den, durch sie nunmehr aufgehellten Hauptgedanken. Platon wußte stets, im ganzen Sinne des Worts, was er wollte und beabsichtigte; wenn er gleich meistens die Probleme nicht zu einer entschiedenen Lösung führt, sondern es bei der gründlichen Diskussion derselben bewenden läßt. Es darf uns daher nicht so sehr wundern, wenn, wie einige Berichte, besonders im Aelian (var. hist. III, 19. IV, 9 etc.), angeben, zwischen dem Platon und dem Aristoteles sich bedeutende persönliche Disharmonie gezeigt hat, auch wohl Platon hin und wieder etwas geringschätzend vom Aristoteles geredet haben mag, dessen Herumflankiren, Irrlichterliren und Abspringen eben mit seiner Polymathie verwandt, dem Platon aber ganz antipathisch ist. Schillers Gedicht Breite und Tiefe kann auch auf den Gegensatz zwischen Aristoteles und Platon angewandt werden.
Trotz dieser empirischen Geistesrichtung war dennoch Aristoteles kein konsequenter und methodischer Empiriker; daher er vom wahren Vater des Empirismus, dem Bako von Verulam, gestürzt und ausgetrieben werden mußte. Wer recht eigentlich verstehn will, in welchem Sinn und warum dieser der Gegner und Ueberwinder des Aristoteles und seiner Methode ist, der lese die Bücher des Aristoteles de generatione et corruptione. Da findet er so recht das Räsonniren a priori über die Natur, welches ihre Vorgänge aus bloßen Begriffen verstehn und erklären will: ein besonders grelles Beispiel liefert L. II. c. 4, als wo eine Chemie a priori konstruirt wird. Dagegen trat Bako auf, mit dem Rath, nicht das Abstrakte, sondern das Anschauliche, die Erfahrung, zur Quelle der Erkenntniß der Natur zu machen. Der glänzende Erfolg desselben ist der gegenwärtige hohe Stand der Naturwissenschaften, von welchem aus wir mitleidig lächelnd auf diese Aristotelischen Quälereien herabsehn. In der besagten Hinsicht ist es sehr merkwürdig, daß die eben erwähnten Bücher des Aristoteles sogar den Ursprung der Scholastik ganz deutlich erkennen lassen, ja, die spitzfindige, wortkramende Methode dieser schon darin anzutreffen ist. — Zu demselben Zweck sind auch die Bücher de coelo sehr brauchbar und daher lesenswerth. Gleich die ersten Kapitel sind ein rechtes Muster der Methode aus bloßen Begriffen das Wesen der Natur erkennen und bestimmen zu wollen, und das Mißlingen liegt hier zu Tage. Da wird uns Kap. 8 aus bloßen Begriffen und locis communibus bewiesen, daß es nicht mehrere Welten gebe, und Kap. 12, eben so über den Lauf der Gestirne spekulirt. Es ist ein konsequentes Vernünfteln aus falschen Begriffen, eine ganz eigene Natur-Dialektik, welche es unternimmt, aus gewissen allgemeinen Grundsätzen, die das Vernünftige und Schickliche ausdrücken sollen, a priori zu entscheiden, wie die Natur seyn und verfahren müsse. Indem wir nun einen so großen, ja stupenden Kopf, wie bei dem Allen Aristoteles doch ist, so tief in Irrthümern dieser Art verstrickt sehn, die ihre Gültigkeit bis noch vor ein Paar hundert Jahren behauptet haben, wird uns zuvörderst deutlich, wie sehr viel die Menschheit dem Kopernikus, Kepler, Galiläi, Bako, Robert Hook und Newton verdankt. Im Kap. 7 und 8 des zweiten Buches legt Aristoteles uns seine ganze absurde Anordnung des Himmels dar: die Sterne stecken fest auf der sich drehenden Hohlkugel, Sonne und Planeten auf ähnlichen näheren: die Reibung beim Drehen verursacht Licht und Wärme: die Erde steht ausdrücklich still. Das Alles möchte hingehn, wenn vorher nichts Besseres dagewesen wäre: aber wenn er selbst uns, Kap. 13, die ganz richtigen Ansichten der Pythagoreer über Gestalt, Lage und Bewegung der Erde vorführt, um sie zu verwerfen; so muß dies unsre Indignation erregen. Sie wird steigen, wenn wir aus seiner häufigen Polemik gegen Empedokles, Herakleitos und Demokritos sehn, wie alle diese sehr viel richtigere Einsichten in die Natur gehabt, auch die Erfahrung besser beachtet haben, als der seichte Schwätzer, den wir hier vor uns haben. Empedokles hatte sogar schon eine durch den Umschwung entstehende und der Schwere entgegenwirkende Tangentialkraft gelehrt (II, 1 et 13, dazu die Scholien, p. 491). Weit entfernt dergleichen gehörig schätzen zu können, läßt Aristoteles nicht ein Mal die richtigen Ansichten jener Aelteren über die wahre Bedeutung des Oben und Unten gelten, sondern tritt auch hierin der, dem oberflächlichen Scheine folgenden Meinung des großen Haufens bei (IV, 2). Nun aber kommt in Betracht, daß diese seine Ansichten Anerkennung und Verbreitung fanden, alles Frühere und Bessere verdrängten und so späterhin die Grundlage des Hipparchus und dann des Ptolemäischen Weltsystems wurden, mit welchem die Menschheit sich bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts hat schleppen müssen, allerdings zum großen Vortheil der jüdisch-christlichen Religionslehren, als welche mit dem Kopernikanischen Weltsysteme im Grunde unverträglich sind; denn wie soll ein Gott im Himmel seyn, wenn kein Himmel da ist? Der ernstlich gemeinte Theismus setzt nothwendig voraus, daß man die Welt eintheile in Himmel und Erde: auf dieser laufen die Menschen herum, in jenem sitzt der Gott, der sie regiert. Nimmt nun die Astronomie den Himmel weg; so hat sie den Gott mit weggenommen: sie hat nämlich die Welt so ausgedehnt, daß für den Gott kein Raum übrig bleibt. Aber ein persönliches Wesen, wie jeder Gott unumgänglich ist, das keinen Ort hätte, sondern überall und nirgends wäre, läßt sich bloß sagen, nicht imaginiren, und darum nicht glauben. Demnach muß, in dem Maaße, als die physische Astronomie popularisirt wird, der Theismus schwinden, so fest er auch durch unablässiges und feierliches Vorsagen den Menschen eingeprägt worden, wie denn auch die katholische Kirche dies sofort richtig erkannt und demgemäß das Kopernikanische System verfolgt hat; worüber daher sich so sehr und mit Zetergeschrei über die Bedrängniß des Galiläi zu verwundern einfältig ist: denn omnis natura vult esse conservatrix sui. Wer weiß, ob nicht irgend eine stille Erkenntniß, oder wenigstens Ahndung dieser Kongenialität des Aristoteles mit der Kirchenlehre, und der durch ihn beseitigten Gefahr, zu seiner übermäßigen Verehrung im Mittelalter beigetragen hat? Wer weiß, ob nicht Mancher, angeregt durch die Berichte desselben über die älteren astronomischen Systeme, im Stillen, lange vor Kopernikus, die Wahrheiten eingesehn hat, die dieser, nach vieljährigem Zaudern und im Begriff aus der Welt zu scheiden, endlich zu proklamieren wagte?
§. 6. Stoiker
Ein gar schöner und tiefsinniger Begriff bei den Stoikern ist der des λογος σπερματικος, wiewohl ausführlichere Berichte über ihn, als uns zugekommen, zu wünschen wären (Diog. Laert. VII, 136. — Plut. de plac. phil. I, 7. — Stob. ecl. I, p. 372). Doch ist soviel klar, daß dadurch Das gedacht wird, was in den successiven Individuen einer Gattung, die identische Form derselben behauptet und erhält, indem es vom Einen auf das Andere übergeht; also gleichsam der im Samen verkörperte Begriff der Gattung. Demnach ist der Logos spermaticus das Unzerstörbare im Individuo, ist Das, wodurch es mit der Species Eins ist, sie vertritt und erhält. Er ist Das, welches macht, daß der Tod, der das Individuum venichtet, die Gattung nicht anficht, vermöge welcher das Individuum stets wieder da ist; dem Tode zum Trotz. Daher könnte man λογος σπερματικος übersetzen: die Zauberformel, welche zu jeder Zeit diese Gestalt zur Erscheinung ruft. — Ihm sehr nahe verwandt ist der Begriff der forma substantialis bei den Scholastikern, als durch welchen das innere Princip des Komplexes sämmtlicher Eigenschaften eines jeden Naturwesens gedacht wird: sein Gegensatz ist die materia prima, die reine Materie, ohne alle Form und Qualität. Die Seele des Menschen ist eben seine forma substantialis. Was beide Begriffe unterscheidet ist, daß der λογος σπερματικος bloß lebenden und sich fortpflanzenden, die forma substantialis aber auch unorganischen Wesen zukommt; imgleichen, daß diese zunächst das Individuum, jener geradezu die Gattung im Auge hat: inzwischen