Sie machte eine kurze, bedeutsame Pause. »Ich bin so fett geworden, dass ich den Reißverschluss nicht mehr zukriege.«
»Dann ziehst du halt ein anderes Kleid an, soweit ich mich erinnern kann, hast du einen riesigen, sehr gut bestückten Kleiderschrank.«
»Klar, hab ich, aber nach dem dritten Versuch habe ich es aufgegeben. Ich passe in nichts mehr hinein. Und daran ist bloß Christian schuld.«
»Christian? Linde, das kannst du ihm nun wirklich nicht anlasten, der befindet sich auf einem anderen Kontinent, in Afrika, schon vergessen?«
»Leider noch nicht vergessen, muss ich da antworten, und um ihn aus dem Sinn zu bekommen, stopfe ich wahllos alles in mich hinein. Es gibt ja Frauen, die, wenn sie Kummer haben, tierisch abnehmen. Leider gehöre ich nicht in diese Kategorie. Wenn ich Kummer habe, dann muss ich essen, weil mich das beruhigt. Das Resultat habe ich jetzt, ich bin fett wie ein Krümelmonster.«
»Ich weiß zwar nicht, wie Krümelmonster aussehen, aber fett bist du auf keinen Fall … Na ja, vielleicht hast du ein bisschen Hüftgold angesetzt, das kriegst du auch wieder runter. Aber du bist doch nicht hergekommen, um mir das persönlich zu erzählen, das hättest du auch am Telefon tun können.«
Linde winkte lachend ab.
»Nun bilde dir jetzt bloß nichts ein. Ich bin nicht deinetwegen auf dem Hof. Ich war bei Leni.«
»Bei Leni?«, wiederholte Bettina.
»Klar, und die rettet mich zum Glück. Gott sei Dank kann unsere Leni nicht nur ganz hervorragend kochen, sondern sie ist auch eine hervorragende Schneiderin. Sie wird da irgendwo, frag mich nicht, an welcher Stelle, etwas herausnehmen, und dann kann ich das Kleid anziehen. Ich muss mich nur zusammenreißen und meinen Gelüsten widerstehen. Sonst ist der nächste Ärger vorprogrammiert. Zum Glück kann man die Tage bis zur Hochzeit an den Fingern einer Hand abzählen.«
»Und so lange kannst du dich zusammenreißen, liebste Freundin. Du bist doch an der Quelle, iss Salat, Fisch, ein Stück mageres Fleisch, dann purzeln die Pfunde nur so.«
Linde winkte ab.
»Jemand, der in sich hineinstopfen kann was er will, kann da überhaupt nicht mitreden. Du würdest nach dem Verzehr einer ganzen Sahnetorte doch kein Gramm zunehmen …, und ich kann mich derzeit mit einem Salat oder Fisch oder Fleisch zufrieden geben. Wenn ich eine Heißhungerattacke bekomme, dann stopfe ich wahllos alles in mich hinein, und für einen Moment vergesse ich dabei auch meine Probleme, weil das Essen mich dann glücklich macht.«
»Linde, du bist eine gescheite Frau. Was ist das denn für eine Logik? Auf diese Weise löst du kein einziges Problem, und dein Glück löst sich in dem Moment auf, in dem du auf deiner Hüfte eine neue Speckrolle entdeckst.«
»Das weiß ich alles, musst du mir nicht erklären. Und wenn mein Verstand mir hundertmal was anderes sagt, werde ich mein Verhalten nicht ändern. Außerdem ist es in diesem Fall ohnehin zu spät, der Speck sitzt auf den Hüften, in ein paar Tagen krieg ich ihn nicht runter, es sei denn, ich lasse ihn mir absaugen.«
»Du bist unverbesserlich«, lachte Bettina. »Willst du was trinken?«
»Nö, danke, ich hab bei Leni schon was getrunken und muss gestehen, dass ich auch in die Keksdose gelangt habe … Ach, weißt du, Bettina, ich habe, seit es mit Christian aus ist, eine innere Unruhe, die nicht zu beschreiben ist …, es fällt mir schwer, ihn zu vergessen.«
»Und wenn du über deinen Schatten springst und ihm diesen einen Seitensprung verzeihst?«, erkundigte Bettina sich behutsam, die wusste, wie Linde reagieren konnte, ganz besonders, wenn es um Christian ging, der sie ein einziges Mal mit seiner französischen Kollegin Genevieve betrogen hatte.
Sie hätte besser nicht davon angefangen, denn Lindes Gesichtszüge verhärteten sich.
»Du kennst meine Meinung dazu. Wenn das Vertrauen dahin ist, lässt sich nichts mehr kitten … Hat er schon bei dir angerufen?«, erkundigte sie sich dennoch.
»Ja, wir haben miteinander telefoniert, in erster Linie wegen der Hochzeit. Leider kann er nicht kommen, aber vielleicht will er es auch nicht angesichts der Tatsachen.«
»Und mich hat er nicht erwähnt?«
So etwas gefiel Linde auch nicht.
»Er hat nur gesagt, dass du Schluss gemacht hast und wie sehr er das bedauert, aber weiter wollte er sich darüber nicht auslassen, das habe ich respektiert.«
»Und hattest du das Gefühl, dass er unter unserer Trennung leidet?«
Bettina schaute ihre Freundin ernst an.
»Linde, was bezweckst du mit einer solchen Frage. Ob er leidet oder nicht, das kann dir jetzt doch gleichgültig sein. Aber gut, wenn du es unbedingt wissen willst, ich hatte schon den Eindruck, dass es ihm sehr nahegeht … Trennungen sind immer schmerzhaft.«
Sie war noch immer sauer auf ihn und trotzte.
»Er hätte es einfacher haben können, es hätte dazu nicht kommen müssen.«
»Nein, Linde, richtig. Es hätte dazu nicht kommen müssen – weder zu seinem Seitensprung noch zu diesem rigorosen Schlussstrich. Von dieser Trennung hat niemand was, ihr seid beide auf der Strecke geblieben.«
Linde zuckte die Achseln.
»Es ist halt wie es ist«, bemerkte sie.
Bettina hatte auf dieses Thema einfach keine Lust mehr, die Fronten waren verhärtet, es war nichts zu retten, dann sollte Linde es doch gefälligst auch abhaken. Aber sie fing immer wieder davon an. Dadurch veränderte sie nichts, sondern machte sich nur das Leben unnötig schwer.
»Möchtest du meine Kleider sehen, Linde? Das für die standesamtliche und das für die kirchliche Trauung?«
»Ja, sehr gern sogar«, antwortete Linde prompt. »Leni hat gesagt, dass das Kleid für die kirchliche Trauung der absolute Traum ist.«
»Ist das andere Outfit auch, aber das habe ich ja mit Tom gekauft. Komm mit, ich habe die Kleider in einem Gästezimmer hängen, das für den schönsten Tag in unserem Leben darf er ja vorher nicht sehen.«
»Du bist ganz schön aufgeregt«, bemerkte Linde lachend. »So kennt man dich überhaupt nicht.«
»Na, erinnere dich bloß mal daran, wie es damals mit dir war, vor deiner Hochzeit mit Martin.«
Linde seufzte.
»Da war ich außer Rand und Band, und vor mir lag ein Leben mit einem Himmel voller Geigen … Jetzt gibt es nur noch Scherben …, mein Martin, ich werde ihn nie vergessen. Er war mein absoluter Traummann … Wenn dieser selbstmörderische Geisterfahrer bei dem Zusammenstoß nicht gestorben wäre …, ich mein, wenn er das überlebt hätte, ich würde ihn eigenhändig umbringen, er hat mein Leben zerstört.«
Klar war es furchtbar, was sie erlebt hatte, sie alle waren ja dabei gewesen, als Martin sich lachend von ihnen verabschiedet hatte, um mal kurz, als Vertretung für einen Kollegen, nach einem Tier zu sehen. Er war vergnügt und munter gewesen und hatte in kürzester Zeit zurückkommen wollen. Mit dem, was dann geschehen war, hatte niemand rechnen können. Martin war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen, oder es hatte in seinen Sternen gestanden, war seine Vorbestimmung gewesen. Man konnte es drehen und wenden wie man wollte, man konnte jede Interpretation finden. Nichts davon machte Martin wieder lebendig.
»Linde, es war furchtbar, aber dein Leben ist nicht zerstört. In Amalia und Frederic lebt Martin weiter. Es geht immer weiter, nur man muss irgendwann einmal loslassen. Das ist für die Lebenden, aber auch für die Toten gut. Martin kann seinen Seelenfrieden nicht finden, wenn du immer noch an ihm festhältst, und du bist auch nicht wirklich frei für eine neue, ernsthafte Bindung. Vielleicht bist du deswegen auch Christian gegenüber so unnachgiebig. Wenn er wirklich schon in deinem Herzen wäre, hättest du verzeihen können. Wegen eines einzigen Fehltritts schmeißt man normalerweise nicht hin.«
Linde zuckte die Achseln.
»Kann sein,