Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien
wird sogleich erscheinen!« rief der Herzog von Orleans in ehrerbietiger Stellung.
Der König faßte ihn vertraulich unterm Arm, und beide Brüder verschwanden in dem dritten Salon, dessen Türen offen blieben. Hier zog der König den Herzog etwas in die Fensternische und sprach mit ihm. Die Kavaliere, die mit dem König gekommen waren, verteilten sich im Gemach unter die Damen.
Unterdessen war die Herzogin erschienen.
Alles drängte sich um sie her, um ihr Ehrfurcht zu bezeigen. Die Frage des Königs war nicht so leise getan worden, daß sie nicht vom ganzen Kreise gehört worden wäre. Deshalb dieser Empfang. Zwei alte Gräfinnen blieben fortan immer in der Nähe der Herzogin, die sich befremdet im Saale umsah, denn sie wußte nichts von ihrem erhabenen Gaste und war nur auf den Ruf ihres Gemahls gekommen, der ihr ziemlich sonderbar erschienen war, da sie sich bereits gewöhnt hatte, niemals dabei zu sein, wenn der Herzog Damen empfing.
Endlich flüsterte ihr einer der Kavaliere zu: »Der König ist da!«
Sie sah sich rasch um. Im dritten Salon erkannte sie ihn. Er schien etwas unwillig geworden zu sein, wenigstens konnte man dies aus der verlegenen und betretenen Haltung des Herzogs an seiner Seite schließen. Doch trennten sie sich herzlich und vertraut, und der König kam auf die Herzogin zu, küßte ihr die Hand und führte sie zu dem Platze zurück, den sie eben verlassen hatte.
Es wird unterdessen nötig sein, die Unterredung der beiden Brüder etwas genauer zu beachten: sie war wichtig für die zukünftige Stellung unserer Heldin.
»Mein Herr Herzog,« hub der König an, indem er einen jener Blicke annahm, dessen Schärfe und Strenge der Angeredete zur Genüge kannte, »Ihr habt Euren ganzen Palast voller Damen, und Eure Gemahlin fehlt? Wie hängt das zusammen?«
»Eure Majestät erschrecken mich!« stammelte der Herzog. »Sollte ich in irgendeinem Stücke gegen Dero Willen mich vergangen haben?« –
»Ich will, daß Sie mit Ihrer Frau anständig leben.«
»Die Frau Herzogin zieht es vor, in ihren Gemächern zu bleiben, wenn ich Gesellschaft habe,« sagte der Herzog.
»Sie zieht es vor,« nahm der König das Wort, »weil Sie sie nicht auffordern. Bedenken Sie, daß Ihre frühere Ehe, mein Bruder, nur unglücklich war, weil Sie es an allem fehlen ließen, was eine Frau von ihrem Manne fordern kann. Ich wünsche, daß diese nicht ebenso sich gestalte! Bemerken Sie wohl, ich wünsche es.« –
Der Herzog verbeugte sich.
»Die Umgebung spricht bereits allerlei,« fuhr der König fort, »ich will es nicht beachten. Doch ist's nichts Schmeichelhaftes für Sie. Unsere Frauen können nur zur Geltung kommen, wenn wir sie dahin bringen! Also ist's unsere Pflicht, unsere Gemahlin, die Mutter unserer Kinder, vor allen anderen emporzuziehen. Nehmen Sie sich ein Beispiel an mir! Die Königin kann sich, was ihre Stellung und Würde vor der Welt betrifft, in keinem Stücke über mich beklagen. Dies im Vertrauen, mein Bruder, und jetzt lassen Sie uns zur Gesellschaft zurückkehren.«
Der Herzog machte eine so tiefe Verbeugung; daß er fast mit den frisierten Locken seiner Perücke die Knie des Königs berührte; dieser zog ihn an sich heran, und beide Brüder küßten einander, zur großen Freude und Genugtuung des Hofes, der bereits zu fürchten anfing, das alte gute Verhältnis sei durch irgendeinen unerklärlichen Vorfall erschüttert worden.
Der König, indem er sich auf der Schwelle der Türe zeigte, erschien als eine so edle und imposante Gestalt, daß niemand, auch wer ganz unvertraut mit den Verhältnissen in den Saal geblickt hätte, zweifeln konnte, wer er sei. Die breite Brust, die sich unter keinem Ordensstern, sondern im Gefühle männlicher Kraft und Würde hob, das Ebenmaß der Glieder, hatten bei Hofe wenig ihresgleichen. Es war ein Heros, der zugleich das Diadem königlicher Würde trug. Sein Blick war stolz, doch war es nicht der Stolz, der von Außendingen seine Färbung annimmt, es war der Stolz des Mannes, der da herrscht, weil er würdig war zu herrschen. Eine unendlich liebliche Miene um Mund und Wangen milderte diesen Titanenzug. So stand er einen Augenblick, doppelt sichtbar und auffällig neben seinem Bruder, der, klein, schwarz, unterwürfig und ergeben, die glanzlose Gegenpartie der Gruppe bildete, ehe er auf die Herzogin, seine Schwägerin, zuschritt und sie aus der Anzahl von Damen, die sie umgab, frei machte, um sie auf den ihr gebührenden Ehrenplatz zu führen.
Um den König und die Herzogin scharte sich die übrige Gesellschaft, zu der auch der Herzog sich gesellte. Es war kein Hofzirkel, auch fehlten sehr viele der berühmtesten Namen, es war nur ein kleiner Kreis, der sich zum Plaudern zusammenfand, und in welchem die Grazien angenehmer Unterhaltung das Übergewicht erhielten über die Etikette und den Zwang der großen Repräsentationen. Der König war guter Laune, er scherzte und forderte die Damen auf zu sprechen. Viele machte diese königliche Aufforderung stumm, die meisten sprachen nur, um dem König nicht die Last des Alleinsprechens aufzulegen; nur eine befand sich in diesem Kreise, die mit Vergnügen sprach, die frei und offen erzählte und dadurch den König zum Lachen brachte; diese eine war die Herzogin. Madame, noch nicht bekannt mit der Hofsitte dieses Kreises, sah in dem König nichts als den gefälligen, artigen, liebenswerten Mann, der ihr mit Vergnügen zuhörte, und sie breitete den Schatz ihrer kleinen Pfälzer Geschichten mit Anmut und mit Lebhaftigkeit aus. Sie erzählte von ihrem Vaterlande, von dem dortigen treuherzigen, ehrlichen Volke, und mitten drin erschien sie selbst als fröhliches Kind, die Gesänge des Volkes mitsingend und tausend alberne Possen treibend, um ihre Umgebung, die die Einwohnerschaft eines Dorfes war, zu belustigen. Von der Anmut, Frische und Lebendigkeit dieser sonderbaren Erzählungen, die manche Herzogin wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht anhörte und nicht begriff, verstand nur der König etwas. Seinem natürlichen Sinne war jede Eigentümlichkeit, wo sie sich zeigte, verständlich, und hier fand er etwas, was er bisher nirgends in der Sphäre, in der er geatmet, entdeckt hatte, die köstliche Frische und Unberührtheit eines ursprünglichen Gemüts, das die Welt noch nicht verdorben hatte. Er forderte die Erzählerin durch seinen Wunsch auf zu immer neuen Skizzen, und endlich schwamm der ganze Kreis in Lachen und Lustigkeit. Der König ließ sich verleiten, eine kleine dramatische Szene mit der Herzogin aufzuführen: er selbst machte einen pfälzischen Bauern, der im Begriff war, bei seiner Schönen, die die Herzogin war, anzusprechen. Nichts konnte amüsanter sein als die bäurisch verlegene Miene des Königs, der sein gebrochenes, elsässer Französisch vorbrachte und darauf die lustigen Antworten seiner Geliebten empfing. Noch nie war der Hof auf eine solche Weise belustigt worden. Jede der Damen versuchte auf ihre Weise, deutsch zu radebrechen, und jeder mißglückte es auf eine so komische Weise, daß das Gelächter kein Ende nahm.
Nach diesem Auftritt war die Stellung der Herzogin entschieden. Man wußte, daß sie ihr Glück beim König gemacht, das war genug. Der Herzog war von jetzt an der feinste Hofmann gegen sie. Charlotte mußte sich fragen: »Wodurch ist dies entstanden? Was ist geschehen, daß plötzlich die Dinge um mich her sich verändert haben?« – Man hätte ihr erwidern können: »Das ist die Luft des Hofes!«
29.
Die Familie Gervais
Georg hatte noch nicht Zeit gefunden, sich Paris zu besehen. Sein Dienst bei seiner Cousine verhinderte sein Ausgehen; jetzt hatte er einen halben Tag frei, und er beschloß, ihn dazu anzuwenden, Erkundigungen einzuziehen, ob noch irgendetwas von dem Etablissement des guten alten Jacques vorhanden war, oder ob alles, was ihn damals umgab, rettungslos in dem ewigen Umgestalten und Verschönern der Stadt verschwunden war. Er nahm sich vor, bei seinen Nachforschungen vorsichtig zu Werke zu gehen, denn er bedachte, daß er sowohl als seine ganze Umgebung sich völlig umgeformt hatten, und daß ein Erkennengeben von seiner Seite mit unangenehmen Folgen verbunden sein konnte.
Auf den Treppenstufen des Palais Royal, woselbst die Wohnung des Herzogs sich befand, entdeckte er einen träumerischen jungen Mann, der ihn anfangs fremd anblickte, dann lebhaft aufsprang und ihn auf das freundlichste begrüßte. Georg erkannte einen der Favoriten des Herzogs. »Ei, sieh da, Lafiat!« rief er, »was tun Sie hier? Ist Ihnen etwas Schlimmes