SQUAW
Die Sonne stand bereits hell am Himmel, als John erwachte. Er schlug die Augen auf und wandte sie Ni-kun-tha zu, der bereits neben ihm hockte und aufmerksam die Büchsen untersuchte, die er den Irokesen abgenommen hatte. Die für ihn selbst bestimmten neuen Waffen, die der Miami ihm beschafft hatte, lagen bereits neben ihm; der Anblick erfüllte ihn mit Freude und Dankbarkeit und auch mit neuem Mut. »Ni-kun-tha«, begrüßte er den roten Freund, »du bist wahrhaftig ein großartiger Bursche; ich denke, wir werden gute Freunde bleiben, was?«
Der Indianer verzog das Gesicht zu einem breiten Lächeln: »Schnelle Büchse und Schneller Falke gut Freund!« bestätigte er. Er kramte in den Jagdtaschen der gefallenen Seneca-Krieger herum und brachte etwas gedörrtes Fleisch zutage, das beide mit gutem Appetit verzehrten.
»Was beginnen wir nun, Falke?« sagte John, »ich sorge mich sehr um meinen Vater. Glaubst du, daß die Irokesen ihn gefangen haben?«
»Irokesen – Huronen – vielleicht. Beide fort. Weiße Männer nicht klug genug, roten Männern zu entgehen. Vielleicht gefangen.«
»Also müssen wir versuchen, den Gefangenen Hilfe zu bringen. Jedenfalls müssen wir sie finden.«
Der Indianer starrte scheinbar abwesend vor sich hin. Er hob den Kopf und sah seinen Gefährten mit einem dunklen Blick an. »Ni-kun-tha weiß nicht viel von den Blaßgesichtern – Yengeese und Frenchers«, sagte er. »Beide kamen in das Land des roten Mannes, es zu nehmen. Ni-kun-tha sieht: sie sind groß und mächtig, haben viele Krieger, die großen Väter über dem Wasser schicken immer mehr. Schlimm! Sehr schlimm! Streiten seit vielen Sommern – Inglis und Frenchers, wer mit dem roten Mann handeln soll, im Ohiotal, vom Scioto bis zum Nae-messissipu. Tana-ca-ris-son, Ni-kun-thas Vater, schloß einen Vertrag mit den englischen Vätern und stand zu ihm – ein Miami steht zu seinem Wort – und die Yengeese dankten es ihm mit Treue. Tana-ca-ris-son entstammt der Sippe des großen Mitschi-ki-nikwa; Mitschi-ki-nikwas Sippe herrscht seit vielen, vielen Sommern über die Völker der Miami. Tana-ca-ris-son sandte immer wieder Boten an die englischen Väter in Virginien und Pennsylvanien und sagte ihnen, sie sollten kommen und große, feste Häuser bauen an den Strömen, weil die Frenchers aus den Kanadas immer wieder Händler und Boten mit reichen Geschenken brachten und Unruhe in die Dörfer der Miami trugen. Aber die Inglis kamen nicht; sie ließen ihre roten Freunde allein. Da sagten die Miami: ›Was sollen wir mit Freunden, die nicht kommen, wenn wir sie rufen?‹ Und immer mehr Frenchers kamen, und sie brachten immer mehr Geschenke, und die Herzen der Miami wurden weich.«
Der junge Indianer sah über John hinweg, als blicke er in eine endlose Ferne. Er fuhr fort:
»Dann kamen die Frenchers mit den Irokesen nach Piqua und verlangten, mein Vater solle ihnen die Yengeese herausgeben, die seine Gäste waren. Tana-ca-ris-son brach den Freunden die Gastfreundschaft nicht, aber die Stämme der Miami standen nicht mehr zu ihm; er mußte mit wenigen Getreuen kämpfen und fiel im Kampf. Piqua sank in Asche. Ni-kun-tha aber mußte mit wenigen Kriegern zu den Shawano fliehen. Die Frenchers hatten die Häupter der Miami vernebelt, sie sahen nicht mehr, was gut und was böse ist. Und Ni-kun-tha tat wie sein Vater: Er sandte Boten an die englischen Väter in Virginien und Pennsylvanien, Hilfe erbittend, und er ging selbst nach Norden an den Ontario. Er wollte den Häuptlingen der Yengeese sagen, sie sollen die Frenchers am Niagara angreifen, bevor sie nach Süden in unser Land ziehen könnten. Ni-kun-tha hat die Grade Zunge gesprochen. Die Grade Zunge hat ihm gesagt, die Yengeese hätten nicht genug Krieger und keine großen Kanus, sie könnten die Frenchers und ihre roten Verbündeten im Norden nicht zurückhalten, nur vom Süden könne Hilfe kommen. Mein weißer Bruder hat selbst gesehen, wie die großen Kanus der Methi-kosche den Ontario beherrschen, wie ihre Krieger mit den Irokesen die Wälder durchziehen, über den Shenandoah und den Mononghahela. Die Frenchers sind sehr schnell, die Yengeese sind langsam wie die Schnecke am Boden. Die Rotröcke leuchten weit in den Wäldern; der Hurone sieht sie, lange bevor sie ihn sehen –.«
Der Indianer streifte John mit einem beinahe abwesenden Blick und sagte, indessen ein dunkles Lächeln seine schmalen Lippen umspielte:
»Einen weißen Häuptling gibt es, der stark und klug genug ist, mit Frenchers und Irokesen zu kämpfen. Er hat oft am großen Ratsfeuer in Piqua gesessen. Ni-kun-tha kennt ihn. Die Yengeese haben keinen größeren Krieger. Wir nennen ihn Feuerauge. Ni-kun-tha weiß nicht, wie die Inglis ihn nennen, aber er ist stolz und stark und kühn. Er wird den Frenchers entgegentreten, und er wird sie schlagen, wenn die Kolonien ihm Krieger und große Büchsen genug geben. Feuerauge kommt von Südwesten. Alle Frenchers, Irokesen und Huronen ziehen nach Süden. Wenn Nana-bosch will, werden sie mit Feuerauge zusammentreffen. Ist der Vater meines weißen Bruders von Huronen oder Irokesen gefangen, wird er mit nach Süden geführt werden; auch wir müssen nach Süden. Dort kommen die Shawano, bei den Shawano sind Ni-kun-thas Krieger. Ni-kun-tha muß zum Ohio, er muß zu seinem Volk, das in Not ist. Es ist Zeit.«
John hatte den langen Ausführungen des jungen Indianers aufmerksam gelauscht. Ni-kun-tha, ein roter Mann, ein »Wilder«, wie die Weißen geringschätzig zu sagen pflegten, übersah die politischen und die kriegerischen Vorgänge an der Grenze besser als er, der Weiße, der sich, auf der stillen Farm am Genesee lebend, um die Ereignisse der Außenwelt kaum gekümmert hatte.
»Ni-kun-tha«, sagte John, »ich bin überzeugt, daß du in allem recht hast. Klar ist ohnehin, daß wir uns nicht trennen. Auch denke ich ohne meinen Vater nicht an den Genesee zu gehen. Laß uns also gemeinsam nach Süden ziehen.«
Ni-kun-tha nickte: »Nichts Besseres tun. Kämpfen dort gegen Frenchers und Irokesen, suchen alten Mann, Großen Büffel und Goldhaar. Denke, werden sie finden.«
Sie nahmen Waffen und Geräte auf und machten sich durch den hochstämmigen Wald auf den Weg. »Wir müssen auf diese Weise aber doch durch die feindlichen Linien«, sagte John. »Meinst du, daß es uns gelingen wird, ungesehen durchzuschlüpfen?«
Der Indianer schüttelte den Kopf: »Umgehen ihn. Ich hören, Feuerauge einmal sagen, er greife den von Norden kommenden Feind stets von Westen aus an.«
»Feuerauge! Wie das klingt. Wenn es sich um einen so großen englischen Krieger handelt, wie du sagst, müßte ich ihn doch dem Namen nach kennen.«
»Mein weißer Bruder kennt seinen Namen gewiß. Ni-kun-tha kann ihn nicht sagen in der Sprache der Inglis. Die Miami sagen: Er Manitus Liebling. Ni-kun-tha hat oft seinen Worten gelauscht, wenn er in Piqua war. Er immer sagen: Rotröcke gut, sehr tapfer. Gut gegen weiße Krieger, nicht gut im Wald. Koloniemann besser. Feuerauge auch Koloniemann.«
»Ein Mann der Kolonien ist dein Feuerauge? Ein Offizier der Miliz vielleicht? Nun, ich bin gespannt, zu erfahren, wen du meinst.«
»Mein Bruder wird ihn bald sehen, denke ich.«
Als die beiden Gefährten nach kurzer Mittagsrast ihren Marsch fortsetzten, kreuzten sie zu ihrer Überraschung plötzlich die Spur zweier Indianer, die augenscheinlich völlig sorglos, wie im tiefsten Frieden, nebeneinander hergewandert waren. Obgleich Irokesen und Huronen und andere ›französische Indianer‹ sehr wahrscheinlich schon sehr viel weiter nach Süden vorgestoßen waren, war größte Vorsicht natürlich nach wie vor geboten; die beiden folgten deshalb mit schußfertigen Büchsen der Spur, jeden Augenblick gewärtig, von den Waffen Gebrauch machen zu müssen.
Sie mochten etwa hundert Schritt zurückgelegt haben, als sie auf einer kleinen Lichtung zwei nebeneinander hockende rote Männer gewahrten, vor denen ein kleines Feuer brannte. John hatte mittlerweile immerhin genug Erfahrung gesammelt, um sogleich zu erkennen, daß sie weder Skalplocke noch Kriegsbemalung zeigten. Davon abgesehen ließ ihre ganze sorglose Art darauf schließen, daß sie sich nicht auf dem Kriegspfad befanden.
Nachdem sie die beiden Indianer eine Zeitlang stumm beobachtet hatten, sagte Ni-kun-tha leise: »Lenni-Lenape. Schildkröten-Delawaren.«
»Freunde der Engländer?«
»Vielleicht. Einige Lenni-Lenape Freunde, andere nicht. Sind aber nicht auf dem Kriegspfad.«
»Was