denn ich wußte, daß er nicht weit kommen konnte. Nun haben mich die Wölfe um meine Beute betrogen. Komm, bis zum Flusse sind es nur wenig Meilen, und ich habe drüben ein Shanty. Dort kannst du dich ausruhen und mir dann deine Schicksale erzählen."
Damit warf er die schwere Büchse über die Schulter und schritt so kräftig aus, daß der Knabe ihm nur mit Anstrengung zu folgen vermochte. Der Riese bemerkte es und mäßigte seinen Gang.
Schweigend schritten sie eine geraume Weile nebeneinander her, bis sie endlich an das mit Büschen und Bäumen umsäumte Ufer eines breiten Flusses gelangten, der seine trüben, gelblichen Wasser in einer tiefen Einsenkung des Bodens gen Westen wälzte.
Als sie durch einen schmalen Waldstreifen, der dicht mit Unterholz durchsetzt war, niedergestiegen waren, und am Rande des Wassers standen, gewahrte Paul in einer kleinen Ausbuchtung ein indianisches Kanoe, in welchem einige Büffelfelle lagen. Sie gingen darauf zu, und der Jäger lud durch eine Gebärde den Knaben ein, das ziemlich große Boot zu betreten, und folgte selbst nach. Es bedurfte der gewaltigen Kraft des Mannes, um das Fahrzeug quer über den breiten, rasch dahinflutenden Strom zu treiben. Doch nach kaum einer Viertelstunde landeten sie am jenseitigen Ufer, welches gleichfalls mit Schilf, Büschen und oftmals dichtstehenden Bäumen besetzt war, wie das, welches sie verlassen hatten. Der Trapper zog das Boot aufs Land und befestigte es sorgfältig noch an einem Baume. Dann nahm er die Büffelhäute auf seine mächtigen Schultern, das Ruder gab er Paul zu tragen, und schritt am Ufer hinauf, wo der Knabe nach einiger Zeit eine Blockhütte bemerkte, die von Büschen umstanden und von einigen Fichten beschattet war.
"Das ist mein Heim", sagte der Jäger, "und nun sollst du bald die Gastfreundschaft der Wüste kennen lernen."
Er warf die Büffelhäute ab, öffnete die unverschlossene Thür der Hütte, in welcher dem flüchtigen Blicke sich Felle, Waffen, kleine Fässer und Kisten, Blechgeschirre, ein Herd und mannigfache andre Dinge zeigten. Der Trapper wies auf einen Stapel kleingespaltenen Holzes und sagte: "Gib davon her, Junge."
Dieser gehorchte, und bald loderte auf dem Herd Feuer empor, kochte in einem Kessel Wasser, welches einem nahen Quell entnommen war. Der Trapper langte Thee hervor und goß das kochende Wasser in die Kanne. Er nahm dann Maisbrot und die gebratene Keule einer Antilope aus einem kleinen Verschlage, reichte Paul ein Messer, gab ihm einen Blechbecher, wies auf Kanne und Nahrungsmittel und sagte: "Greife zu, Kind, es wird gern gegeben", und mit herzhaftesten Appetit machten sich beide an das frugale, aber reichliche Frühstück.
Nachdem der Hunger gestillt war und neues Wohlbehagen den Leib des Knaben durchzog, der seit Tagen nur gedörrtes Fleisch, und das knapp zugemessen, genossen, den Luxus eines warmen, belebenden Getränkes aber entbehrt hatte, legte er das Messer nieder.
Der Trapper zündete seine Pfeife an und rauchte ruhig vor sich hin.
Nach einer Weile wandte er sich an den bescheiden harrenden Knaben mit der Frage: "Wie heißest du?"
"Paul Osborne, Sir."
Es zuckte wie ein Wetterstrahl über das braune Gesicht des Riesen, und ein dumpfer Laut entfuhr seiner breiten Brust.
Der Knabe erschrak heftig und fragte nach einer Weile, während der Trapper schwer atmete und dabei die Hand vor das Gesicht geschlagen hielt: "Ist euch nicht wohl, Sir?"
Es verging Zeit, ehe der Trapper die Hand von seinem Gesicht entfernte und antwortete. Die Züge hatten fast ihren gewöhnlichen Ausdruck, als er sagte: "Es ist nichts, Kind, ein alter Rheumatismus, der mir manchmal zu schaffen macht, zog mir plötzlich durch die Glieder."
Er zündete die Pfeife, welche ausgegangen war, wieder an und fragte: "Also wie heißest du?"
"Paul Osborne."
"Woher?"
"Arkansas, Sheffieldscounty."
"Gut. Dein Vater?"
"Ach, Herr, mein Vater, John Osborne, ist seit drei Monaten tot", entgegnete der Gefragte mit schmerzlicher Betonung. Der Jäger mußte wieder einen Anfall seines Leidens haben, denn von neuem zuckte er zusammen, und im Schmerz bedeckte er wie vorher die Augen mit der Hand. Dann stand er auf und ging hastig hinaus. Der Knabe blieb ratlos, angstvoll harrend sitzen. Endlich öffnete sich die Thür, der Alte kehrte zurück und äußerte: "Man wird ein altes Jammergerippe". Nach einiger Zeit fuhr er fort: "Nun erzähle mir, wie du in die Hände der beiden Banditen gefallen bist, die dich hierhergebracht haben."
Traurig sagte der Knabe: "Ich war auf der Schule zu Little Rock, als ich die Schreckensnachricht von meines Vaters plötzlichem Tode erhielt. Ich eilte nach Hause und konnte nur noch seine teuren Reste zu Grabe geleiten. Ich stand allein da, verwaist, früh Herr eines großen Vermögens geworden, welches mein lieber Vater für mich erworben hatte. Ach, wie gern wollte ich darauf verzichten, wenn er noch lebte."
"Bist du der einzige Erbe?"
"Ja, Herr, ich war das einzige Kind meines Vaters."
"Bei deinem jugendlichen Alter muß dir doch das Gericht einen Vormund gesetzt haben, wenn nicht einer im Testamente ernannt war."
"Ein Testament fand sich nicht vor, und zu meinem Vormunde ernannte der Richter einen Bruder meines Vaters."
"Wen?" schrie der Trapper so laut, daß Paul zusammenzuckte. Dies gewahrend, setzte er hinzu: "Entschuldige, Junge, ich verstand nicht - also wen?"
"Einen jüngeren Bruder meines Vaters, Mr. James Osborne."
"Gut, weiter."
"Ich kannte Onkel James wenig, denn er war früher in Kolorado ansässig gewesen und hatte sich erst wenige Monate vor meines Vaters Tode wieder in unsrer Nähe niedergelassen."
"Weiter, weiter."
"Er übernahm die Verwaltung des mir gebliebenen Vermögens, welches in ausgedehnten Ländereien und einer Ziegelei bestand, und ich kehrte nach Little Rock zurück, um meine Studien zu vollenden.
"Als ich in den Ferien heimkehrte, machte mir der Oheim den Vorschlag, nach den Prairien im Kansasterritorium aufzubrechen."
"Nach den Prairien? Aus welchem Grunde?"
"Mein Vater hatte auch dort ansehnliche Länderstrecken erworben und züchtete große Rinderherden, die unter der Aufsicht einiger Cowboys standen. Der Oheim meinte, es sei Zeit, einmal nach meinem Eigentum dort zu sehen. Mir konnte natürlich nichts größere Freude bereiten als ein Ritt in die Steppe, und wir machten uns alsbald auf den Weg.
"Die Reise wurde, als wir uns von den Ansiedlungen entfernten, immer beschwerlicher, auch die Menschen, denen wir begegneten, zeigten sich immer zügelloser und roher. Zum erstenmal bekam ich dort auch Indianer zu sehen, wild genug aussehende Menschen."
"Weißt du, von welchem Stamme sie waren?"
"Die Leute, welche uns begleiteten, meinten, es seien Männer vom Volke der Cheyennes."
"So? Gut. Weiter."
"Wir waren seit sechs Tagen in der Steppe, ohne unsre Herden gefunden zu haben, als wir nächtlich in unserm Lager überfallen wurden."
"Von wem?"
"Ich glaube, von Indianern. Es war dunkle Nacht, und ich habe wenig gesehen, auch war ich so erschrocken, daß ich kaum etwas von mir wußte. Es war furchtbar. Das wilde Geschrei, das Knallen der Büchsen; es gellt mir noch immer in den Ohren. Ich stürzte in Todesangst fort, in die Steppe hinaus, als ich plötzlich ein Pferd hinter mir schnauben hörte und eine starke Hand mich im Nacken ergriff. Ich war von Todesangst so überwältigt, daß ich nicht einmal einen Ruf auszustoßen vermochte, ich vernahm nur eine rauhe Stimme: 'Töte ihn nicht, Jim', fühlte einen Schmerz auf dem Kopfe und verlor das Bewußtsein. Als ich zu mir kam, graute schon der Tag, und ich befand mich in Gesellschaft der beiden Gesellen, die ihr gestern abend gesehen habt, allein in der weiten Prärie."
"Hm. So? Nun, und dein Oheim und die andern, was wurde aus denen?"
"Herr, ich weiß es nicht, weiß nicht, ob sie leben, ob man sie getötet hat", sagte der Knabe schmerzbewegt. "Ich bin aus dem Schlummer aufgeschreckt, schlaftrunken