die schäumenden Wasserberge vor dem Winde dahin. Am Steuer des gedeckten Fahrzeuges stand ein hünenhafter, breitschulteriger Mann, zwei andere hielten sich an den Wanten des starken Mastes, der das dreifach gereffte Hauptsegel trug. Auch dieses ungleich stärkere und widerstandsfähigere Fahrzeug hatte alle Not, sich vor der wuchtigen Gewalt niederstürzender Wellenberge zu sichern; es wurde kaum weniger hin und her geworfen.
Der ältere der beiden am Hauptmast stehenden Männer löste sich vorsichtig von den Wanten und turnte, sich mit einer Hand an der Bordwand haltend, zu dem Steuermann hinüber. »Was meinst du, Bob? Wie siehst du die Lage?« brüllte er dem Mann am Rad durch das Tosen des Sturmes zu.
»Meine gar nichts, Sir«, brüllte der Steuermann zurück, »halte mein Schiff vor dem Wind. Sonst ist nichts zu tun.«
»Welche Richtung halten wir?«
»Denke Nordost mit ein paar Strich Ost. Müssen bald Land sichten.«
»Und dann, Bob? Was wird dann?«
Der Riese zuckte die Achseln: »Müssen versuchen, aufzulaufen. Einzige Möglichkeit, uns zu retten.«
»Werden vermutlich zu Bruch gehn bei dem Versuch.«
Ein grimmiges Lächeln verzog das Gesicht des Steuermanns: »Warten wir's ab. Ganz kampflos soll der Ontario Bob Green jedenfalls nicht haben. Die Molly hält, Gott sei Dank, einen Stoß aus.«
»Wollen's also dem Alten da oben überlassen, Bob.«
»Ihm, der Molly und mir«, sagte der Steuermann.
In diesem Augenblick kam der dritte Mann der Sloop-Besatzung über das schwankende Deck heran. Es war dies ein junger Bursche von athletischen Formen mit einem klaren, offenen Gesicht. Er streckte den linken Arm aus und schrie, um sich in dem fürchterlichen Getose verständlich zu machen: »Seht doch, da drüben!«
Die beiden anderen sahen in der Richtung des ausgestreckten Armes über Bord und gewahrten hoch auf dem Kamm einer schäumenden Welle das tänzelnde Rindenkanu.
»Alle Wetter!« knurrte der Mann am Steuer. »Eine solche Nußschale noch mitten auf dem See! Die machen's nicht lange mehr; erreichen das Ufer nie und nimmer.«
Der ältere der beiden anderen, überhaupt der älteste der drei, hatte das Glas vor den Augen und folgte den Bewegungen des Kanus im Tanz der Wogen. »Sind Rothäute«, sagte er,«und zwar drei.«
»Soll'n also von mir aus zum Teufel gehen«; Bob Green, der Steuermann, verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Etwas weniger Ungeziefer auf der Welt!«
»Sind Gottes Geschöpfe wie Ihr und ich«, sagte der junge Mann.
»Daß ich nicht lache!« brüllte Bob Green. »Gottes Geschöpfe! Bluthunde sind's, widerwärtige! Das Stück Blei nicht wert, das man ihnen in den Bauch schießt!«
Der Jüngling wandte sich, ohne zu antworten, dem Alten zu. »Wie ist's, Vater«, sagte er, »haben wir wirklich keine Möglichkeit, den Leuten zu helfen?«
»Kaum, John«, sagte der Alte. »Selbst wenn wir heranzukommen versuchten; das Kanu würde bei dem Wellengang wie ein Glasscherben an unserer Bordwand zerschellen.«
»Finde, wir müßten's trotzdem versuchen, Vater. Es sind Menschen in Lebensgefahr.«
»Was denkst du denn, was man tun könnte?«
»Ihnen ein Tau zuwerfen. Vielleicht kriegen wir sie doch an Bord.«
»Halt's für ausgeschlossen bei dem Sturm, John.«
»Dann haben wir unsere Pflicht getan, Vater. Ohne uns sind sie sicher verloren. Da sieh!« Die beiden Fahrzeuge waren näher aufeinander zugetrieben worden; man konnte die Männer im Kanu jetzt vom Deck der Sloop aus deutlicher sehen. »Ihre Anstrengungen lassen nach, ihre Kräfte versagen. Ein Wunder, daß sie sich in dem Hexenkessel überhaupt so lange hielten.«
»Zweifellos richtig – sie können nicht mehr«, sagte der Alte, »laß uns also sehen, was wir tun können.«
John war bereits mit einem Seil beschäftigt, das zusammengerollt auf dem Hinterdeck lag. Er befestigte das eine Ende am Gangspill und machte sich bereit, das andere dem Kanu zuzuwerfen. Man sah seinen Bewegungen an, daß er Erfahrung in Manövern dieser Art hatte. Wenn die Indianer das Seil zu fassen bekamen, mußte das Kanu in das Kielwasser der Sloop gerissen werden.
Der Steuermann sah den Vorbereitungen offensichtlich mißgelaunt zu.
Nackter Wahnsinn, Sir«, schrie er jetzt dem Alten zu, »absolut unmöglich, bei diesem Wellengang ein lebendes Wesen an Bord zu bekommen!«
»Laßt John gewähren, Bob«, versetzte der Alte ruhig. »Unterlassen wir den Versuch, sind die Männer rettungslos verloren. Seht, daß Ihr auf der Windseite vorbeikommt und haltet genügend Abstand, damit das Kanu nicht gegen unsere Bordwand geschleudert wird.«
»Ay, ay, Sir«, knurrte der Steuermann, »ist schon gut. Allerhand Umstände ein paar roter Halunken wegen!« Aber er brachte das Schiff in die erforderliche Richtung; das Steuer gehorchte spielend seiner Faust. Die Sloop näherte sich dem Kanu mit großer Geschwindigkeit. Da John beide Hände für den entscheidenden Wurf frei haben mußte, hatte er sich mit einem leichten Seil an der Bordwand festgebunden.
Alle drei lugten jetzt scharf nach dem Indianerboot aus. Schäumend brach sich die Sloop ihre Bahn durch die Wogen; das Wasser, das bei jeder Wellenbewegung in Sturzbächen über Bord hereingeschleudert wurde, floß zu beiden Seiten durch die Speigatte wieder ab. Das kleine Fahrzeug hielt sich wacker in dem furchtbaren Sturm, wozu freilich die Geschicklichkeit des Steuermannes nicht wenig beitrug.
John sah jetzt, daß der am Steuer des Kanus stehende Indianer das Manöver der Sloop genau verfolgt hatte. Er schwenkte das Tauende in der Luft, um den Gefährdeten klarzumachen, was er beabsichtige. Doch kam er einstweilen noch nicht zum Wurf; das winzige Rindenfahrzeug verschwand hinter einer Woge und entzog sich seinen Blicken.
Als es dann, auf einem Wellenkamm tänzelnd, wieder sichtbar wurde, sah John die Blicke aller drei Indianer auf sich gerichtet. Man hatte im Kanu verstanden, was er wollte. Der Sturm heulte und raste im Takelwerk.
Jetzt! dachte John und stemmte sich fest gegen das Bollwerk. Bei dem Toben des Wassers und dem wilden Auf- und Niederschwanken der Sloop gehörte keine geringe Kraft und Geschicklichkeit dazu, das Tau so zu werfen, daß es das Kanu erreichte. Aber John wußte den rechten Augenblick abzupassen, und der Steuermann Bob manövrierte so geschickt, daß immerhin einige Erfolgschancen gegeben waren. Als die Sloop in etwa zwanzig Schritt Entfernung an dem Kanu vorüberglitt, flog das Tau, seine Ringe entfaltend; es fiel zwischen dem Mann am Steuer und den beiden Ruderern genau über das Boot.
Im nahezu gleichen Augenblick hatten die drei Indianer das Tau auch bereits ergriffen. Mit der Kraft der Verzweiflung stemmten sie sich mit den Füßen gegen die Bootswand. Es gab einen kurzen Ruck, dann füllte das leichte Gefährt sich mit Wasser und sank; kurz darauf tauchten die drei Indianer im Fahrwasser der Sloop auf.
»Nehmt das Steuer, Sir!« rief Bob Green dem Alten zu und griff nach dem von John gehaltenen Tau. Während der Alte schweigend gehorchte, zogen die beiden aus Leibeskräften an dem Tau.
Die drei Rothäute tauchten unter. Bob und John zogen unter Aufbietung der äußersten Kraft an dem Tau, aber nur einer der drei Indianer tauchte wieder auf; die beiden anderen waren offenbar untergegangen und ertrunken.
»Halt' dich fest, Rothaut!« brüllte Bob, »zieh, Junge, zieh!«
Der rote Mann hielt fest; er war jetzt schon ganz nahe. Eine Minute später, das Heck der Sloop lag eben tief im Wasser, streckte der Riese den Arm über die Bordwand und griff in das schwarze, strähnige Haar des Gefährdeten. Gleich darauf lag der triefende Körper des Mannes auf dem Deck. Der Mann war bewußtlos, aber seine knochigen Finger umklammerten immer noch mit eisernem Griff das Tau.
Bob band den Körper des Indianers fest, damit er nicht auf dem schaukelnden Deck umhergeschleudert werden konnte, und griff wieder zum Steuer. »Zäh wie eine Katze – so eine rote Bestie!« knurrte er.