Bebel August

August Bebel - Die Frau und der Sozialismus


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Hemmnissen und Scherereien zum Trotz Konkubinatsverhältnisse in Menge entstanden und die Zahl der unehelichen Kinder in manchen deutschen Kleinstaaten an die Zahl der ehelichen nahe heranreichte. Das waren die Wirkungen eines väterlichen Regiments, das sich auf seine Moral und sein Christentum etwas zugute tat.

      3. Die Französische Revolution und die Großindustrie

       Inhaltsverzeichnis

      Die verheiratete Frau des Bürgerstandes lebte in jener Zeit in strenger häuslicher Zurückgezogenheit; die Zahl ihrer Arbeiten und Verrichtungen war eine so große, daß sie als gewissenhafte Hausfrau von früh bis spät auf dem Posten sein mußte, um ihren Pflichten zu genügen, und das war ihr nur mit Hilfe ihrer Töchter möglich. Es waren nicht bloß die täglichen häuslichen Arbeiten zu verrichten, die auch noch heute die kleinbürgerliche Hausfrau zu verrichten hat, sondern auch noch viele andere, von welchen die Frau der Gegenwart durch die moderne Entwicklung befreit worden ist. Sie mußte spinnen, weben, bleichen, die Wäsche und die Kleider selber fertigen, Seife kochen, Lichter ziehen, Bier brauen, kurz, sie war das reine Aschenbrödel und ihre einzige Erholung der Kirchgang am Sonntag. Eheschließungen kamen nur innerhalb desselben gesellschaftlichen Kreises vor, der strengste und lächerlichste Kastengeist beherrschte alle Verhältnisse. Die Töchter wurden in dem gleichen Geiste erzogen und in strengster häuslicher Klausur gehalten; ihre geistige Ausbildung war unbedeutend, und ihr Gesichtskreis ging nicht über den Rahmen der engsten häuslichen Beziehungen hinaus. Dazu kam ein leeres und hohles Formenwesen, das Bildung und Geist ersetzte und das Leben der Frau zu einem wahren Tretmühlengang machte. Der Geist der Reformation war in das ärgste Zopftum ausgeartet, die natürlichsten Triebe im Menschen und seine Lebensfreudigkeit wurden unter einem Wust von »würdig« vorgetragenen, aber geisttötenden Lebensregeln erstickt. Hohlheit und Beschränktheit beherrschten das Bürgertum, und was hinter diesem stand, lebte unter einem bleiernen Drucke und unter den kümmerlichsten Bedingungen.

      Es kam die Französische Revolution, die in Frankreich die alte staatliche und gesellschaftliche Ordnung hinwegfegte, aber auch einen Hauch ihres Geistes nach Deutschland sandte, dem auf die Dauer das Alte nicht mehr widerstehen konnte. Speziell die französische Fremdherrschaft hatte für Deutschland die Wirkung einer Revolution; sie stürzte das Alte, Abgelebte oder beschleunigte, wie in Preußen, seinen Sturz. Und was auch immer in der Reaktionsperiode nach 1815 versucht wurde, um das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen, das Neue war zu mächtig geworden und blieb schließlich Sieger.

      Zunftprivilegien, persönliche Gebundenheit, Markt- und Bannrechte wanderten allmählich in den vorgeschritteneren Staaten in die Rumpelkammer. Neue technische Verbesserungen und Erfindungen, vor allem die Erfindung und Verbesserung der Dampfmaschine und die daraus folgende weitere Verbilligung der Waren, sorgten für Massenbeschäftigung, speziell auch der Frauen. Die große Industrie feierte ihre Geburt, Fabriken, Eisenbahnen und Dampfschiffe wurden geschaffen, der Bergbau, der Hüttenbetrieb, die Glas- und Porzellanmanufaktur, die Textilindustrie in ihren verschiedenen Zweigen, der Maschinenbau, die Werkzeugfabrikation, das Bauwesen usw. wuchsen empor; Universitäten und technische Hochschulen lieferten die geistigen Kräfte, die diese Entwicklung benötigte. Die neuaufkommende Klasse, das kapitalistische Großbürgertum, die Bourgeoisie, unterstützt von allen, die dem Fortschritt huldigten, drängte auf Beseitigung der immer unhaltbarer gewordenen Zustände. Was die Revolution von unten in den Bewegungsjahren von 1848 und 1849 ins Wanken gebracht, beseitigte die Revolution von oben des Jahres 1866. Es kam die politische Einheit nach dem Herzen der Bourgeoisie, der die Niederwerfung der noch vorhandenen wirtschaftlichen und sozialen Schranken folgte. Es kam die Gewerbefreiheit, die Freizügigkeit, die Aufhebung der Ehebeschränkungen, die Niederlassungsfreiheit, kurz jene ganze Gesetzgebung, die der Kapitalismus zu seiner Entwicklung bedurfte. Neben dem Arbeiter war es speziell die Frau, die von dieser neuen Entwicklung profitierte, die ihr freiere Bahn schuf.

      Schon vor der neuen Ordnung der Dinge durch das Jahr 1866 waren eine Anzahl Schranken in verschiedenen deutschen Staaten gefallen und hatten verzopfte Reaktionäre veranlaßt, den Untergang von Sitte und Moral zu prophezeien. So klagte bereits 1863 der Bischof von Mainz, Herr v. Ketteler, »daß die Niederreißung der vorhandenen Schranken der Eheschließungen die Auflösung der Ehe bedeute, denn nunmehr sei es den Ehegenossen möglich, nach Belieben auseinander zu laufen«, eine Klage, die ungewollt das Eingeständnis enthält, daß die moralischen Bande in der heutigen Ehe so schwache sind, daß nur der stärkste Zwang die Ehegenossen zusammenhält.

      Der Umstand nun, daß die gegen früher viel zahlreicher geschlossenen Ehen eine rasche Bevölkerungszunahme bewirkten und das unter der neuen Ära sich riesenhaft entwickelnde Industriesystem viele früher nicht gekannte soziale Übelstände schuf, rief ähnlich wie in früheren Perioden wieder die Angst vor Übervölkerung hervor. Es wird sich zeigen, was diese Furcht vor Übervölkerung zu bedeuten hat; wir werden sie auf ihren wahren Wert zurückführen.

      Siebentes Kapitel

       Die Frau als Geschlechtswesen

      1. Der Geschlechtstrieb

       Inhaltsverzeichnis

      In der bürgerlichen Welt rangiert die Frau an zweiter Stelle. Erst kommt der Mann, dann sie. Es besteht also fast das umgekehrte Verhältnis wie im Zeitalter der Mutterfolge. Die Entwicklung vom primitiven Kommunismus zur Herrschaft des Privateigentums hat in erster Linie diese Umwandlung herbeigeführt.

      Plato dankte den Göttern für acht Wohltaten, die sie ihm erwiesen hätten. Als die erste Wohltat betrachtete er, daß sie ihn als Freien und nicht als Sklaven geboren sein ließen, aber die zweite war, daß er als Mann und nicht als Frau geboren wurde. Ein ähnlicher Gedanke spricht sich im Morgengebet der Judenmänner aus. Diese beten: »Gelobt seist du Gott unser Herr und Herr aller Welt, der mich nicht zu einem Weibe gemacht hat.« Dagegen beten die Judenfrauen an der entsprechenden Stelle: ».. . der mich nach seinem Willen geschaffen hat.« Der Gegensatz in der Stellung der Geschlechter kann nicht schärfer zum Ausdruck kommen, als es im Ausspruch Platos und im Gebet der Juden geschieht. Der Mann ist der eigentliche Mensch nach zahlreichen Stellen in der Bibel, wie nach der englischen und französischen Sprache, in der für Mann und Mensch das gleiche Wort vorhanden ist. Auch wenn wir vom Volke sprechen, denken wir in der Regel nur an die Männer. Die Frau ist eine vernachlässigte Größe und auf alle Fälle der Mann ihr Gebieter. Das findet die Männerwelt in der Ordnung und die Mehrheit der Frauenwelt nimmt es bis jetzt als unabweisbare Schickung hin. In dieser Auffassung widerspiegelt sich die Lage des weiblichen Geschlechts.

      Ganz unabhängig von der Frage, ob die Frau als Proletarierin unterdrückt ist, sie ist es in der Welt des Privateigentums als Geschlechtswesen. Eine Menge Hemmnisse und Hindernisse, die der Mann nicht kennt, bestehen für sie auf Schritt und Tritt. Vieles, was dem Mann erlaubt ist, ist ihr untersagt; eine Menge gesellschaftlicher Rechte und Freiheiten, die jener genießt, sind, wenn von ihr ausgeübt, ein Fehler oder ein Verbrechen. Sie leidet als soziales und als Geschlechtswesen. Es ist schwer zu sagen, in welcher von beiden Beziehungen sie am meisten leidet. und daher ist der Wunsch vieler Frauen begreiflich, daß sie möchten als Mann und nicht als Weib geboren worden sein.

      Unter allen Naturtrieben, die der Mensch besitzt, ist nächst dem Trieb zu essen, um zu leben, der Geschlechtstrieb der stärkste. Der Trieb, die Gattung fortzupflanzen, ist der potenzierteste Ausdruck des »Willens zum Leben«. Dieser Trieb ist jedem normal entwickelten Menschen tief eingepflanzt, und nach erlangter Reife ist die Befriedigung desselben eine wesentliche Bedingung für seine physische und geistige Gesundheit. Luther hat recht, wenn er sagt: »Wer nun dem Naturtrieb wehren will und nicht lassen gehen, wie Natur will und muß, was tut er anders, denn er will wehren, daß Natur nicht Natur sei, daß Feuer nicht brenne, Wasser nicht netze, der Mensch nicht esse, noch trinke, noch schlafe.« Diese Worte sollte man in Stein über die Türen unserer Kirchen meißeln, in welchen so eifrig gegen das »sündhafte Fleisch« gepredigt wird. Treffender kann kein Arzt und Physiologe die Notwendigkeit der Befriedigung des Liebesbedürfnisses im