Marcel Proust

Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen


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Ton des alten Kenners, der die übliche Mäßigung seiner Ausdrucksweise beiseite läßt:

      »Ganz ausgezeichnet!«

      Und weil er wußte, das munter vorgebrachte Geständnis, von einer Frau einen starken Eindruck empfangen zu haben, gehöre zu den Wendungen, die als Belebung des Gesprächs besonders geschätzt werden, brach er in ein kleines Gelächter aus, das noch eine Weile dauerte, die blauen Augen des alten Diplomaten feuchtete und die mit roten Fäserchen geäderten Nasenflügel vibrieren ließ

      »Sie ist ganz entzückend!«

      »War ein Schriftsteller namens Bergotte bei dem Diner anwesend, Herr von Norpois?« fragte ich schüchtern in der Absicht, das Gespräch in Swanns Bereich festzuhalten.

      »Ja, Bergotte war da.« Herr von Norpois neigte mit distinguierter Anteilnahme den Kopf nach meiner Seite, als messe er in dem Wunsche, gegen meinen Vater liebenswürdig zu sein, allem, was mit ihm zusammenhing, Wichtigkeit bei, selbst den Fragen eines Burschen in meinem Alter, der von Personen in seinem soviel Höflichkeit nicht gewohnt war.

      »Kennen Sie ihn?« Er heftete auf mich den klaren Blick, dessen Schärfe Bismarck bewundert hatte.

      »Mein Sohn kennt ihn nicht, bewundert ihn aber sehr,« sagte meine Mutter.

      »Mein Gott, ich kann diese Bewunderung nicht teilen,« sagte Herr von Norpois (das flößte mir schwerere Zweifel an meiner Intelligenz ein als die, welche mich so schon quälten; ich sah: was ich himmelhoch über mich stellte, was ich für das Erhabenste auf der Welt hielt, stand für ihn auf der untersten Stufe seiner Bewunderung), »Bergotte ist, was ich einen Flötenbläser nenne; man muß immerhin anerkennen, daß er angenehm bläst, wenn auch recht manieriert und affektiert. Aber das ist auch alles; und das ist nicht viel. Nie findet sich in seinem muskellosen Werk das, was man Knochengerüst nennen könnte. Keine Handlung – oder so gut wie keine – vor allem aber keine Tragweite. Der Fehler seiner Bücher liegt in ihrer Basis, vielmehr sie haben überhaupt keine. In einer Zeit wie der unsern, da die anwachsende Gedrängtheit des Lebens kaum Zeit zum Lesen läßt, da die Karte Europas tiefgreifende Umgestaltungen erfahren hat und im Begriff ist, vielleicht noch viel größere zu erfahren, da soviel drohende neue Probleme überall auftauchen, hat man, das werden Sie mir zugeben, das Recht, von einem Schriftsteller etwas anderes zu verlangen als Schöngeisterei, die uns in müßigen, byzantinischen Diskussionen über rein formale Meriten vergessen läßt, daß wir von einem Augenblick zum anderen durch einen zwiefachen Barbarenansturm überrannt werden können, Barbaren von außen und Barbaren von innen. Ich weiß, es ist eine Blasphemie gegen die sakrosankte Schule, das l'art pour l'art, wie diese Herren es nennen, aber unsere Zeit stellt dringendere Aufgaben als die, harmonisch Worte aneinander zu fügen. Bergotte gibt sich bisweilen ziemlich verführerisch, das stelle ich nicht in Abrede, aber im ganzen ist das alles recht schwächlich, recht geringfügig, recht wenig männlich. Jetzt, da ich mich in Ihre durchaus übertriebene Bewunderung für Bergotte versetzen kann, begreife ich auch besser die Niederschrift, die Sie mir vorhin zeigten, und es wäre übelwollend von mir, nicht sanft darüber hinwegzugehen; Sie haben ja selber offen und ehrlich gesagt, es sei nur kindliches Gekritzel (das hatte ich in der Tat gesagt, aber ich glaubte kein Wort davon). Für jede Sünde gibt es Nachsicht, besonders für Jugendsünden. Schließlich hat mancher so etwas auf dem Gewissen, und Sie sind nicht der einzige, der sich einmal für einen Dichter gehalten hat. Aber in dem, was Sie mir gezeigt haben, spürt man den schlechten Einfluß von Bergotte. Es wird Sie nicht weiter wundernehmen, wenn ich Ihnen sage, daß keine seiner Qualitäten darin zu finden ist, da er es ja zum Meister in der nebenbei bemerkt ganz oberflächlichen Kunst eines gewissen Stils gebracht hat, zu welchem Sie in Ihrem Alter nicht einmal die Ansätze besitzen können. Aber es zeigt sich darin schon derselbe Fehler, der Widersinn, tönende Worte aneinander zu reihen und sich erst hinterdrein um den Inhalt zu kümmern. Das heißt, den Pflug vor die Ochsen spannen, was schließlich auch für Bergottes Bücher gilt. All diese formalen Chinoiserien, all die feinen Nuancen eines genießerischen Mandarin erscheinen mir recht eitel. Bei einem kleinen Feuerwerk, das ein Schriftsteller erfreulich abzubrennen versteht, ist man gleich mit »Meisterschaft« bei der Hand. So häufig sind die Meisterwerke nicht! Bergotte hat unter seinen Aktiven, in seinem literarischen Gepäck, wenn ich mich so ausdrücken darf, auch nicht einen Roman von höherem Schwung, keines der Bücher, denen man den besten Platz in seiner Bibliothek geben würde. Ich kann kein einziges in seinem ganzen Werk entdecken. Was nicht hindert, daß in seinem Falle das Werk den Autor turmhoch überragt. Bei ihm bekommt wieder einmal der geistvolle Mann recht, der behauptet hat, Schriftsteller dürfe man nur aus ihren Büchern kennen. Unmöglich, ein Individuum ausfindig zu machen, das weniger seinen Büchern entspricht als Bergotte, das prätentiöser, feierlicher und dabei schlechtere Gesellschaft wäre als er. Bald sehr gewöhnlich, und dann wieder redet er wie ein Buch, nicht einmal wie ein Buch von ihm, sondern wie ein langweiliges, was doch die seinen immerhin nicht sind, so wirkt dieser Bergotte. Der verworrensten Geister einer, der, was er zu sagen hat, nur unangenehmer macht durch die Art, in der er es vorbringt. Ich weiß nicht, ist es Lomenie oder Sainte-Beuve, der erzählt, daß Vigny durch die gleiche Verschrobenheit abstieß. Dafür hat Bergotte aber auch nicht Cinq-Mars geschrieben noch den Cachet rouge, worin sich Seiten finden, die wahre Perlen jeder Anthologie sind.«

      Ich war ganz zerschmettert von dem, was mir Herr von Norpois über mein ihm unterbreitetes Fragment gesagt hatte, zugleich lag mir im Sinn, wie schwer es für mich war, einen Essay zu schreiben oder auch nur, mich zu ernstem Nachdenken zusammenzunehmen, und so fühlte ich meine Nichtigkeit wieder einmal und daß ich für die Literatur nicht geschaffen sei. Wohl hatten mich einstmals in Combray gewisse ganz bescheidene Eindrücke oder das Lesen in Bergotte in einen Traumzustand versetzt, der mir von großem Wert schien. Gerade diesen Zustand spiegelte mein Gedicht in Prosa wider; zweifellos hatte Herr von Norpois gleich erfaßt und aufgedeckt, was mir daran allein durch trügerische Spiegelung schön erschien, denn der Botschafter fiel nicht darauf herein. Hatte er mir doch eben erst klar gemacht, wie tief ich stand (wenn ich von außen, objektiv durch den wohlwollendsten und intelligentesten Kenner beurteilt wurde). Ich fühlte mich verwirrt, kam mir verkümmert vor; wie ein Fluidum, dessen Dimensionen nach dem Gefäß sich richten, das man ihm leiht, ging nun mein Geist, der sich ehedem ausdehnen durfte, um die unendlichen Weiten des Genius zu füllen, ganz in der engen Mittelmäßigkeit auf, in die ihn Herr von Norpois eingeschlossen, eingezwängt hatte.

      »Bergottes Zusammentreffen mit mir«, wandte sich der Botschafter wieder an meinen Vater, »war eine ziemlich heikle Angelegenheit (und vielleicht gerade deshalb nicht ohne Pikanterie). Vor geraumer Zeit machte Bergotte eine Reise nach Wien, während ich dort Botschafter war, wurde mir durch die Fürstin Metternich vorgestellt, schrieb sich ein und wünschte eingeladen zu werden. Als Auslandsvertreter Frankreichs, dem er alles in allem mit seinen Schriften Ehre gemacht hat, wenn auch nur in gewissem Grade, sagen wir, um genau zu sein, in recht mäßigem Grade, wäre ich über die ungünstige Meinung, die ich persönlich von seinem Privatleben habe, hinweggegangen. Aber er reiste nicht allein und beanspruchte obendrein, mit seiner Begleiterin eingeladen zu werden. Nun glaube ich nicht prüder zu sein als andere, und als Junggeselle konnte ich wohl auch die Türen der Gesandtschaft etwas weiter aufmachen, als wenn ich verheiratet und Familienvater gewesen wäre. Aber dennoch muß ich bekennen, es gibt einen Grad von sittlicher Haltlosigkeit, dem ich mich nicht anpassen kann und der noch peinlicher wird durch den mehr als moralischen, sagen wir gerade heraus, den moralisierenden Ton, den Bergotte in seinen Büchern anschlägt: da bekommt man ja immer wieder, noch dazu, unter uns, recht ermüdende Analysen von schmerzlichen Skrupeln, krankhaften Gewissensbissen über lauter Lappalien zu hören, ein recht billiges Tugendgeschwätz, und dabei zeigt sich der Verfasser in seinem Privatleben von geradezu zynischer Gewissenlosigkeit. Kurz, ich umging die Antwort, die Fürstin machte einen neuen Vorstoß, aber wieder ohne Erfolg. Wonach ich vermute, daß ich nicht grade im Geruch eines Engels bei dem Manne stehen mag, und ich weiß nicht, bis zu welchem Grade er Swanns Aufmerksamkeit, ihn mit mir zusammen einzuladen, geschätzt hat. Es sei denn, daß er selbst darum gebeten hatte. Man kann es bei ihm nicht wissen, er ist im Grunde ein kranker Mensch. Das ist sogar das Einzige, was ihn entschuldigt.«

      »War die Tochter von Frau Swann bei dem Diner?« fragte ich Herrn von Norpois und benutzte zu dieser Frage den Augenblick, in dem man in den Salon ging und meine Erregung