Marie Kruger

Island


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Beispiel im Englischen zum Synonym für Nordeuropäer geworden ist.

      Ein Grund, sich in Island niederzulassen, war, dass es genug weites Land und eine Natur voller essbarer Tiere wie Seevögel, Fisch und Robben gab. Kriegerische Auseinandersetzungen waren kaum zu erwarten, und die Aufteilung des Landes geschah wohl relativ friedlich, eben weil es genug Raum gab und es sinnlos gewesen wäre, mehr Land zu beanspruchen, als man bewirtschaften konnte. Auch das will nicht so recht zum Bild des kriegerischen Berserkers passen, und es ist gerade Friedfertigkeit, die die isländische Geschichte in großen Teilen kennzeichnet.

      Neben Gelassenheit, Mut und gewissem Startkapital waren auch technische Kenntnisse vonnöten, um die Seereise zu bewältigen. Für die Islandfahrt wurde meist ein besonderer Schiffstyp, die sogenannte Knorr verwendet, die wendiger als die für die Wikinger typischen Langschiffe war, schwere Ladung aufnehmen konnte, den Reisenden aber erstaunlich wenig Schutz bot. Der beeindruckende, originalgetreue Nachbau eines solchen Schiffes in einem Museum ganz in der Nähe des Internationalen Flughafens erlaubt es, sich ein Bild von den unfassbaren Lebensbedingungen an Bord zu machen. Auf diesem Schiff segelten im Jahr 2000 tatsächlich neun Isländer nach New York, um den Spuren Leif Erikssons zu folgen, von dem später noch berichtet wird. Außer Menschen kamen Haushaltsgegenstände, heidnische Reliquien und Haustiere mit an Bord. Die damals eingeführten Hühner, Rinder, Hunde, Schafe und Pferde sind die Urahnen der heutigen isländischen Rassen, die dem modernen Island als Werbeträger dienen.

      Doch die Siedler importierten auch das Thing-System, das sich bei vielen germanischen Stämmen etabliert hatte, und legten so die Grundlage für eine Selbstverwaltung. Bei Versammlungen besprachen sich die mächtigen Männer und fällten gemeinsam Entscheidungen und Richtersprüche auf Grundlage der mitgebrachten norwegischen Rechtssprechung. Zudem wurde der Boden schon in den ersten Jahren der Besiedlung verbindlich untereinander aufgeteilt. Wuchs die Bevölkerung an einem Ort besonders, wurde das Land einer Sippe in mehrere kleine Einheiten aufgeteilt. Island war somit anfänglich für mittelalterliche Verhältnisse erstaunlich »demokratisch«, ja »republikanisch« organisiert. Das Ende der Besiedlungszeit markiert das Jahr 930, in dem die gesamtisländische Thingversammlung, das Alþingi, erstmals zusammentrat. Auch hier gilt, wie immer, wenn von den ersten Jahrhunderten die Rede ist, dass die schriftliche Überlieferung erst 200 bis 300 Jahre später beginnt und die Angaben somit vage bleiben müssen. Nichtsdestotrotz transportiert die unsichere Tradierung Geschichte(n), die für Islands Selbstverständnis so wichtig ist (sind), dass es fast schon eine geringere Rolle spielt, ob es sich um tatsächliche Ereignisse oder Mythen handelt. Besiedlung, Gründung des Alþingi, Selbstverwaltung und wikingisches Erbe sind in der allgemeinen Vorstellung zu Fakten geworden.

      Wer Island, wie es heute ist, verstehen will, muss über den europäischen Tellerrand hinausblicken. Ziemlich genau tausend Jahre nach der Landnahme kam es nämlich zu einer Art zweiten Besiedlung, die für das heutige Island wohl genauso prägend wie die Landung der Nordeuropäer war. Am 9. April 1940 besetzt Deutschland Dänemark, dessen König auch Staatsoberhaupt der Isländer ist, auch wenn die ihre innenpolitischen Angelegenheiten seit 1918 selbstständig regeln. Großbritannien nimmt sofort Kontakt mit Island auf, weil es fürchtet, dass Island das gleiche Schicksal wie Dänemark ereilen könne. Am Morgen des 10. Mai 1940 landen Kriegsschiffe im Hafen von Reykjavík. 2000 britische Soldaten dringen ins Stadtzentrum vor, riegeln es ab und nehmen den deutschen Botschafter in Gewahrsam. Die isländische Regierung protestiert zwar, ruft jedoch gleichzeitig die Bevölkerung dazu auf, die Soldaten als Gäste zu behandeln, die lediglich verhindern wollen, dass Deutschland sein Einflussgebiet auf Island ausdehne. Die Briten versprechen, sich aus den inneren Angelegenheiten Islands herauszuhalten, und beginnen sogleich mit dem Errichten von Unterkünften und Niederlassungen im ganzen Land und dem Ausbau der Infrastruktur – beispielsweise dem Bau des Flughafens mitten in Reykjavík.

      Churchill und Roosevelt vereinbaren 1941, dass die Amerikaner Island übernehmen. Weil die USA noch nicht in den Krieg eingetreten sind, soll die isländische Regierung sie offiziell um den Wechsel bitten. Im Sommer 1941 stimmt diese unter der Bedingung zu, dass die Freiheit und Selbstständigkeit der Isländer gewahrt werden und die Amerikaner bei Kriegsende sofort abziehen. Am 7. Juli 1941 wird der Vertrag über den militärischen Schutz Islands durch die USA unterzeichnet, sodass Island kein besetztes Land mehr ist, aber seine seit 1918 verfolgte Politik der politischen Neutralität aufgibt. Es ist außerdem das erste europäische Land, in das amerikanische Soldaten während des Zweiten Weltkrieges ihren Fuß setzen.

      Der Ausbau der Infrastruktur durch Briten und Amerikaner lässt die Arbeitslosigkeit auf der Insel quasi über Nacht verschwinden. Plötzlich ist die isländische Arbeitskraft ein wertvolles Gut. 1942 arbeiten etwa 4000 Isländer für die Armee. Dabei werden nicht nur Gebäude, Straßen und Flugplätze gebaut sowie Häfen vergrößert, sondern auch Dienstleistungen wie Wäschereinigung und Bewirtung für die Soldaten übernommen. Die Lebensmittelindustrie gewinnt aufgrund des Krieges in Europa an Bedeutung, da die Nachfrage nach isländischem Fisch steigt. Dies eröffnet den isländischen Arbeitnehmern plötzlich die Möglichkeit, Forderungen zu stellen. Die Gewerkschaften können in den Kriegsjahren ihre größten Erfolge verzeichnen und die umfassendsten Lohnerhöhungen aller Zeiten, gesetzlich garantierten Urlaub, die Bezahlung von Überstunden und den Acht-Stunden-Tag durchsetzen.

      Gleichzeitig bringt die »Britenarbeit« (bretavinnan) auch Probleme mit sich. Viele Bauern widmen sich ganz der lukrativen Tätigkeit für die Besatzer bzw. Beschützer und »vernachlässigen« so die Versorgung der eigenen Bevölkerung. Außerdem versuchen sowohl Regierung als auch Armee der sich ausweitenden Streiks Herr zu werden, indem sie sie verbieten. Dies führt zwar dazu, dass die Gewerkschaften keine Streiks mehr ausrufen. Die Arbeitnehmer bleiben ihren Arbeitsplätzen dennoch fern. In der Folge müssen Soldaten deren Aufgaben übernehmen, was als Einmischung in innenpolitische Angelegenheiten gewertet wird. Es werden sogar isländische Aktivisten, darunter auch ein Abgeordneter, verhaftet und nach Großbritannien verbracht.

      Heute überwiegen die positiven Erinnerungen an die Zeit der »Besetzung« durch die Briten und des Schutzes durch die Amerikaner. Neben ihrem Know-how und der Nachfrage nach Arbeitskräften bringen vor allem die Amerikaner auch technische Neuerungen wie Bagger und Geländewagen mit ins Land, die den Isländern lieb und teuer werden und ihnen auch nach Kriegsende von großem Nutzen sind. 1944 besitzt Island aufgrund des stark angewachsenen Exports einen größeren Devisenfonds als jemals zuvor und legt so die Grundlage für einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung, der eigentlich erst 2008 ein jähes Ende nimmt. Das agrarisch geprägte Land der Bauern und Fischer, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den ärmsten in Europa zählt, ist über Nacht eine neureiche Nation geworden, während der Rest des Kontinents seine schwärzesten Stunden erlebt.

      In den Jahren 1941 bis 1945 werden – in jeglicher Hinsicht – die Grundlagen für das spezielle Verhältnis zwischen den USA und Island gelegt, denn der Kontakt zwischen Amerikanern und Isländern findet auf allen Ebenen statt. Die Baracken für die Soldaten werden größtenteils als Fertigbauten geliefert und überall aufgebaut, wo Platz ist. So entstehen neben den Enklaven der Armee auch gemischte Siedlungen, in denen Warentausch und Schwarzhandel blühen. Kneipen und Gaststätten sprießen aus dem Boden, und Reykjavík erlebt zum ersten Mal das wilde Nachtleben, für das es in den 1990er Jahren weltweit berühmt wurde. Die Nachfrage nach Alkohol steigt so enorm an, dass Versuche unternommen werden, über den Verbrauch Buch zu führen und die Zuteilung zu rationieren.

      Und natürlich entwickeln sich auch Beziehungen anderer Art zwischen den Soldaten und einheimischen Frauen. Dieser »Zustand« (ástandið) des Männerüberschusses ist genauso zu einem festen Begriff geworden wie die »Britenarbeit« und wird von vielen Männern und einigen Frauen als so bedrohlich empfunden, dass auch hier Versuche zur Sanktionierung gestartet werden. So wird der Vorschlag, Frauen zwischen acht Uhr abends und acht Uhr morgens den Zutritt zum Hafengelände zu verbieten, abgelehnt. 1942 leben 122 000 Isländer auf der Insel, darunter 40 000 Frauen im Alter zwischen 15 und 65 Jahren, die auf etwa 50 000 Soldaten treffen. Es wird ernsthaft befürchtet, es gäbe nicht mehr genug Frauen für isländische Männer, dafür aber einen moralischen Verfall, da plötzlich viele uneheliche Kinder zur Welt kommen. Sie und ihre Mütter werden oft noch jahrelang gesellschaftlich ausgegrenzt.

      Außer für wirtschaftlichen