Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht


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Auberg hatte früher ein Pächterhaus gestanden, ein merkwürdiger Bau. Das untere Stockwerk stark massiv, mit mächtigen Mauern, eine Halle mit hohen und schönen Wölbungen, von Strebepfeilern gestützt. Das war der Kuhstall gewesen. Und auf ihm hatte sich ein schwächliches Fachwerk erhoben, ziemlich dünnwandig und einfach weiß abgeworfen: die Wohnung des Pächters. Er war ein närrischer Kauz gewesen; man erzählte sich im Dorfe noch allerhand wunderliche Geschichten von ihm. Seine Leidenschaft war die Rindviehzucht, und deshalb hatte er dem geliebten Viehzeug die schönsten Räume im Hause angewiesen, und deshalb wollte er seine Tiere auch immer in unmittelbarer Nähe haben. Er war lange in England gewesen und hatte dort alle möglichen Kreuzungen kennen gelernt, auch eine neue Art der Fütterung, von der er viel hielt. Aber er hatte kein Glück; sein Kreuzungssystem schlug nicht an, und bei seiner neuen Fütterungsmethode verhungerten die Rinder. Eines Nachts hing er sich im Kuhstall auf.

      Als Kommerzienrat Schellheim die Auherrschaft gekauft hatte, brachte er einen Baumeister aus Berlin mit, der ihm auf dem Auberge ein Schloß bauen sollte. Der Mann war ganz begeistert von der Anlage des Kuhstalls und schlug Schellheim vor, die kolossalen Fundamente beizubehalten und aus dem Stalle eine Halle, eine englische Halle, zu machen. Die Mauern wären so riesig, daß sich leicht noch zwei Stockwerke auf ihnen aufführen ließen. Schellheim war einverstanden, und der Baumeister baute los. Ein stattliches Herrenhaus entstand, aber der Kommerzienrat wollte ein Schloß haben, und zu einem Schlosse gehörte unbedingt ein Turm. So wurde denn rechtsseitig ein runder Turm angeklebt, mit einem grünen Kupferhute als Dach. Das gefiel Schellheim immer noch nicht recht: die Erker fehlten noch, von denen aus man zu Tal schauen konnte, und auf der Südseite eine weite Glasveranda, die zur kalten Zeit als Wintergarten benutzt werden konnte. Auch das wurde geschaffen und noch mehr, und schließlich machte das neue Schloß einen schauderhaft stillosen Eindruck. „Es sieht wie zerkaut aus,“ meinte der alte Hellstern. Der hübscheste Raum blieb nach wie vor der ehemalige Kuhstall, die jetzige Halle.

      Von seiner früheren Bestimmung merkte man dem weiten Saal natürlich nichts mehr an. An den Pfeilern hing allerhand Waffenschmuck, Hellebarden, Schilde, Morgensterne, nägelgespickte Streitkolben und dergleichen mehr, und an den Wänden eine Reihe tiefdunkel gewordener alter Ölporträts von stark dekolletierten Damen in Reifröcken und gepanzerten Herren mit strichähnlichen dunkeln Schnurrbärten auf der Oberlippe. Schellheim hatte die ganze Galerie einmal im Ramsch bei einem Trödler in Venedig gekauft und nannte sie deshalb seine „italienischen Ahnen“. Er spottete nicht ungern über sich selbst; er war vernünftig genug, stolz auf sein Emporkömmlingstum zu sein.

      Sein Vater hatte das Geschäft begründet, aber erst unter ihm war es zur Blüte gekommen. Jetzt gab er zwölfhundert Arbeitern und Arbeiterinnen Verdienst und Brot, und seine Fabriken in Berlin, Breslau und Manchester hätten, zusammengestellt, allein einen kleinen Stadtteil bilden können. In allen diesen Fabriken wurde nichts hergestellt als Hemden – Hemden in vieltausendfacher Auswahl, Abstufung und Variation, für die elegante Welt, für die einfachen Leute und für das Proletariat, und zwar nur Männerhemden. Diese Hemden gingen über die ganze Welt. Man fertigte sie in den Schellheimschen Fabriken unter jeder gewünschten Marke und jedem beliebigen Firmenstempel an und versandte sie dann an die Kunden in allen Teilen der zivilisierten Erde. So trug sie der Herzog von Sagan in Paris, der sie aus den Ateliers von Dudevant Frères entnommen, gerade so gut wie Ohm Krüger in Johannesburg, der Nabob in Bombay und der Dockarbeiter in Wilhelmshaven – selbst bis Siam und China und bis in die Eisfelder Kanadas wanderte das Schellheimsche Hemd.

      Und diese Hemden ließen Gold zurück. Schellheim war Millionär. Freilich hatten drei Generationen an den Millionen gearbeitet. Der Großvater war noch mit dem Bündel auf dem Rücken durch das Land gezogen, und der Vater hatte manche schwere Krisis zu überwinden gehabt. Aber nun stand der Bau felsenfest; keine Krisis konnte ihn mehr erschüttern. Es war Schellheim nicht leicht geworden, sich vom Geschäft zurückzuziehen; die Arbeit war das Lebenselixir, das ihn jung erhielt. Aber er mußte an seine Kinder denken. Der unpraktische Jüngste war für die Fabrik nicht zu gebrauchen; ihm waren die Bücher alles. Doch Hagen, der Älteste, trat mit sicheren Schritten in die Fußstapfen des Vaters. Er hatte zwei Jahre in Manchester gelernt, dann einige Zeit die Breslauer Filiale geleitet, und nun konnte er getrost an die Spitze des Ganzen treten.

      Schellheim sorgte sich nicht um das Weiterblühen des Geschäfts. Es lag bei Hagen in guten Händen. Allerdings hatte der Junge auch seine Nebenpassionen: für Theaterpremieren und dergleichen mehr, aber das lag nun einmal in der „Mode der Zeit“ – so meinte der Rat –, und deshalb blieb er doch ein tüchtiger Kaufmann. An Schellheim trat jedoch nun die Frage einer anderweitigen Beschäftigung heran. Untätig konnte und wollte er nicht sein. Und da kam ihm der Gedanke, sich anzukaufen. Zwar die Landwirtschaft lag darnieder, aber er gab sich auch schon mit einer dreiprozentigen Verzinsung seines Anlagekapitals zufrieden. Dann dachte er auch an seinen Jüngsten. Der sollte das Gut einmal übernehmen, wenn er des Studierens müde geworden. Denn es schien dem Kommerzienrat undenkbar, daß ein Mensch, der es nicht nötig hatte, zeit seines Lebens tagein, tagaus und von früh bis spät immer nur zwischen Büchern sitzen, grübeln, vergleichen, schreiben könne. Zudem mußte der Wert des Landbesitzes wieder steigen; der tote Punkt mußte erreicht sein. Es handelte sich ja nicht um eine verfehlte Spekulation.

      Man nahm das zweite Frühstück gewöhnlich in der großen Halle. Die Glastüren standen weit offen. Auf der Terrasse wärmten sich die Palmen in der Sonnenglut. Durch das Grün der Orangenbäume, deren blank lackierte große Kübel die Sonnenstrahlen reflektierten, schimmerte das helle Weiß zweier Statuen, die den Treppenabstieg zur zweiten Terrasse flankierten. Es waren zwei Göttinnen, Pomona und Flora; Hagen, der die Spottsucht seines Vaters geerbt hatte, bevorzugte sie wegen ihrer Hemdenlosigkeit. Die ganze Westseite des Aubergs fiel in Terrassen zum Tal ab, die teils durch Balustraden, teils durch Spaliere mit Wein und selteneren Obstsorten begrenzt wurden. Im Süden erstreckte sich der Park zirka zwölf Morgen weit in das sich hier mählich senkende Land hinein. Er war ursprünglich Buchenforst gewesen und stieß bis dicht an die Graue Lehne, die der Kommerzienrat gleichfalls hatte ankaufen wollen. Aber die Möllers sagten nein. Das ärgerte Schellheim nunmehr, nach Entdeckung des Heilquells, doppelt.

      Man war beim Dessert. Ein junger Diener in ziemlich einfacher Livree wartete auf. Die Rätin hatte eine Melone zerlegt und reichte sie ihrem Gatten.

      „Ich will dir was sagen, Gunther,“ fuhr Schellheim in der Unterhaltung fort, eine der goldgelben Scheiben auf seinen Teller legend, „du hast ja recht: die Hellsterns sind liebenswürdige Leute. Aber die Art bleibt dieselbe. Der alte Hochmut ist unausrottbar. Er bricht aus jeder Äußerung, aus jedem Worte hervor. Die Tradition sitzt zu fest in ihnen. Sie erfassen den Zeitgeist nicht. Zum Beispiel: das mit der Quelle. Hellstern ist gegen ihre Ausnützung, weil der Fortschritt in der Kultur ihm unbequem ist. Das stört ihn in seinem Behagen. Nun frag’ ich den Menschen: ist das nicht verrückt?“

      „Natürlich,“ entgegnete Hagen; „du wirst mit den Hellsterns nicht warm werden.“

      Gunther widersprach. Man müsse die Leute nehmen, wie sie seien. Ansicht gegen Ansicht.

      „Ich glaube auch, daß dem Widerstreben des Barons noch andre Befürchtungen zugrunde liegen. Er ist zu klug und zu weltreif, um der Kultur Dämme zu wünschen. Nein, das ist es nicht! Seine persönlichen Empfindungen mögen ja auch mitsprechen. Er liebt es nun einmal nicht, von einem Schwarm fremder Sommergäste umgeben zu sein. Was aber die Hauptsache ist: sein alter Besitz liegt ihm noch immer sehr am Herzen, und er fürchtet, daß die Bauern sich den Segnungen der Kultur, in diesem Falle der Heilquelle, noch nicht reif genug erweisen werden.“

      Der Rat schüttelte, einen ironischen Zug um den Mund, den Kopf, und der grimme Hagen lachte fröhlich auf.

      „Nimm mir’s nicht übel, Gunther,“ rief er, „das ist eine absonderliche Idee! Was heißt denn das: noch nicht reif? Soll die Kultur vor der Türe warten, bis auch der letzte Schafskopf ihr gütigst den Eintritt erlaubt? Als die Eisenbahnen aufkamen, wetterte und wütete der damalige Verkehrsminister gegen die neue Erfindung, weil er fürchtete, sie würde die Postinstitution ruinieren. Was schadet es denn schließlich, wenn wirklich ein paar Bauern zugrunde gehen, wo auf der andern Seite der ganzen Menschheit gedient wird?“

      „Gewiß,“