Fedor von Zobeltitz

Aus tiefem Schacht


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der Insassen des Baronshofs vergaloppiert hatte, daß seine Argumente nicht stichhaltig waren. Aber er wollte es nicht zugestehen.

      „Ich bin nicht ganz eurer Ansicht,“ erwiderte er. „Nur der stetige Fortschritt bringt Segen. Selbst Guttaten wie die Emanzipation der Bauern und die Aufhebung der Leibeigenschaft haben unsägliches Unglück im Gefolge gehabt, weil sie zu unvorbereitet kamen.“

      „Das ist das, was ich sagte,“ bemerkte Schellheim. „Die Kultur reißt Löcher, schließt sie aber auch wieder.“

      „Deshalb kann man immerhin die Opfer der Kultur bedauern,“ entgegnete Gunther etwas kleinlaut. „Es tut mir leid, daß der Besitz der Quelle nicht in verständigen Händen ruht. Vor allen Dingen kann ich aus persönlichem Empfinden Herrn von Hellstern nur zustimmen; ich würde es auch lieber sehen, wenn ich bei meinen Besuchen in Oberlemmingen nicht auf Schritt und Tritt auf Kranke und Sommerfrischler stieße.“

      „Mahlzeit,“ sagte der Rat und erhob sich. Der Diener zog den Stuhl seines Herrn zurück. Man trank den Kaffee stets gleich nach dem zweiten Frühstück auf der ersten Terrasse. Dort war bereits der Tisch unter einer blauweiß gestreiften Markise gedeckt. Ein Licht und zwei Zigarrenkisten standen zwischen Tassen und Tellern. Das Licht brannte, aber man sah die Flamme kaum in der blendenden Helle des Tages.

      Während Schellheim sich eine Zigarre anzündete, nahm er das Thema von vorhin wieder auf. Er wandte sich direkt an Gunther, dem Hagen soeben eine Papyrus aus seinem Tulaetui anbot.

      „Ich will dir was sagen, mein Junge,“ begann er – das war eine stehende Redewendung von ihm –, „wenn sich die Quellengeschichte wirklich günstig entwickelt und sich nicht noch nachträglich als Mumpitz herausstellt – ich fürchte es beinah’, ich trau’ der Sache nicht so recht –, na, das wäre auch für uns nicht so übel. Durchaus nicht. Denk mal, wie Grund und Boden steigen wird, wenn hier erst die Leute zusammenströmen und Obdach und Nahrung haben wollen! Auch die Produktenpreise werden in die Höhe gehen – ich meine, liebe Jenny“ – er wandte sich an seine Frau –, „wir könnten ganz gut noch die sechs Morgen Wiesenland an der Barbe zum Gemüsegarten schlagen.“

      Und ohne die Antwort der Rätin abzuwarten, die nur den Kopf neigte und dann weiter die Tassen füllte, fuhr er lebhaft fort:

      „Was mich grimmt, ist lediglich die Dickköpfigkeit der Möllers. Zwölftausend Mark ist ein Stück Geld für die paar Buchenkuscheln. Ich glaube, die Möllers witterten damals schon die Heilkraft der Quelle – kann mir’s sonst nicht erklären, warum sie so stätisch blieben! Na, ich bin neugierig, was sie machen werden! Ich habe mir’s überlegt: ich misch’ mich nicht ’rein. Sie können mir kommen, wenn sie wollen ... Wie ist’s, Kinder, wollt ihr wirklich mit dem Abendzuge zurück?“

      Die Brüder bejahten. Sie hätten beide zu tun. Hagen erzählte von großen Aufträgen aus Amerika, deren Effektuierung Beschleunigung verlange. So kam „das Geschäft“ auf die Tagesordnung; der Rat wollte Einzelheiten wissen, und Hagen zog sein Notizbuch aus der Tasche.

      Inzwischen erhob sich Gunther und trat an die Sandsteinbalustrade heran. Der Ausblick von der Höhe bot seltene Reize, und sie wechselten je nach der Beleuchtung. Jetzt, im prallen Glanze der Mittagssonne, war die ganze Landschaft in ein weißliches Gelb getaucht. Ein blonder Schimmer lag über den Ährenfeldern, in die Kolonnen von Schnittern weite, zackige Lichtungen schnitten, denn heute früh hatte man auch auf dem Augute mit der Ernte begonnen. Auf den Wiesen tönte sich das weißgelbe Licht zu einem ganz hellen und zarten Grün ab, und an der waldbesetzten Bergreihe am Horizont mischte sich noch ein leichter blauer Ton hinein.

      Gunther schaute nach der Seite hinüber, wo der Baronshof lag. Man sah aus dem Dunkel der alten Bäume nur einen kleinen Dachteil des Herrenhauses hervorlugen, ein paar hundert braunrote und geschwärzte Ziegel. Aber vor dem Auge Gunthers öffnete sich der Vorhang aus grünem Laub, und es schien ihm, als sehe er das ganze alte Haus vor sich liegen und oben auf der Veranda eine große Mädchengestalt in hellem Gewande, die ihm mit freundlichem Lächeln zunickte. Hedda hatte ihm sehr gefallen. Er war noch nicht auf die Idee gekommen, sich ein weibliches Idealbild zu konstruieren, aber er meinte, so wie Hedda, so ungefähr müsse sein Ideal wohl ausschauen. Und er warf plötzlich mit ärgerlicher Gebärde den Rest seiner Zigarette über die Balustrade. Wirklich, er ärgerte sich über seine dummen Gedanken!

      Hinter ihm ertönte eine fremde Stimme. Der Diener hatte Herrn Bauunternehmer Möller angemeldet.

      Der Kommerzienrat horchte auf, als er den Namen vernahm. Einer von den Möllers – aha, man „kam“ ihm schon! Ein breites Lächeln trat auf sein Gesicht.

      „Führen Sie den Herrn hierher,“ befahl er.

      „Entschuldigen der Herr Kommerzienrat,“ erwiderte der Diener, „es sind drei Leute –“

      „Drei?“ Und Schellheim lachte fröhlich auf. Also gleich drei – man wollte ihm durch eine Phalanx imponieren. „So lassen Sie alle drei herkommen, Friedrich,“ entschied er.

      Die Rätin fragte bescheiden, ob es nicht besser sei, wenn sie sich mit den Kindern entferne. Aber ihr Mann verneinte; man wisse ja noch nicht einmal, was die Herren überhaupt wollten.

      Das Trio trat an. Voran Albert, dann Bertold und zuletzt Fritz Möller, hintereinander und mit dem Ausdruck des Respekts im Gesicht, von dem ihr Herz in dieser Atmosphäre des Reichtums erfüllt war. Der dicke Fritz hatte sich gleich den andern beiden sonntäglich angekleidet, doch der schwarze Rock paßte nicht recht und schlug an ungehörigen Stellen Falten, und über dem topfförmigen Zylinderhut lag ein rosiger Bronzeton. Der Zylinder gehörte ihm auch nicht, sondern dem Alten, der ihn nur zu Hochzeiten und Kindtaufen trug. Dann bügelte Mutter Möller ihn auf, das heißt sie plättete ihn mit einem heißen Bolzen. Davon hatte er seine anmutige Färbung erhalten.

      Albert und Bertold blieben stehen und verbeugten sich. Aber Fritz hatte nicht aufgepaßt und ging weiter, rannte erst gegen Bertold an und machte dann auch sein Kompliment. Bertold war wütend, rückte an seiner Brille und flüsterte, während Albert bereits zu sprechen begann, dem jüngeren Bruder zu:

      „Nimm doch den Hut ab, Tolpatsch!“

      Nun entblößte auch Fritz den Flachskopf. Er war rot geworden vor Verlegenheit.

      „Nehmen Sie es nicht übel, Herr Kommerzienrat,“ sagte Albert inzwischen, „daß wir Sie inkommodieren. Wir möchten Sie um eine Rücksprache bitten. Es handelt sich nämlich um die Quelle ...“

      Schellheim hatte sich erhoben und reichte jedem der drei die Hand. Es war sein Bestreben, sich kordial zu zeigen. Die Leute da unten sollten ihn lieben lernen.

      „Ich dacht’ es mir beinah’, meine Herren,“ erwiderte er. „Dürfen die Meinen dabei sein, oder ist es Ihnen angenehmer, unter vier Augen –“

      Albert wehrte ab. Ihre Sache sei durchaus kein Geheimnis.

      Der Rat bot ihnen Stühle und Zigarren an. Fritz betrachtete die seine mit Ehrfurcht. Sie hatte ein Bändchen um den schlanken Leib und sah nach viel Geld aus.

      Dann entwickelte Albert seine Ideen und Absichten. Er sprach recht gewandt, erzählte zunächst von der Analyse des Professors Statius und von der Auskunft, die er persönlich über die Heilkraft des Wassers erhalten hatte, und ging hierauf auf die Finanzierungsfrage über. Man wollte ein Konsortium bilden, das die vorbereitenden Arbeiten ausführen solle, und dann das ganze Unternehmen in eine Aktiengesellschaft verwandeln.

      Schellheim erkannte sofort, daß dieser lange Maurerpolier eine nicht gewöhnliche kommerzielle Begabung besaß. In der Darlegung der Einzelheiten verriet sich sogar eine so schlaue, zuweilen überraschend raffinierte Berechnung, wie der Kommerzienrat sie dem einfachen Manne kaum zugetraut hätte.

      Die Rätin hatte sich mit ihren Söhnen absichtlich zurückgezogen. Die drei promenierten im Laubengang der zweiten Terrasse auf und ab, während oben Albert Möller mit lauter Stimme weitersprach. Die beiden andern Brüder saßen stumm neben ihm und nickten nur zuweilen mit dem Kopfe, um ihre Zustimmung zu allem zu bekunden, was der Wortführer sagte.