Ludwig Ganghofer

Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer


Скачать книгу

Wohl führte die Reiterin einen Zügel in den Händen, doch sie hielt ihn lässig, versunken in der Betrachtung des Waldes. Und das Grautier ging, wie es wollte, hier ein paar Halme von der Erde zupfend, dort wieder von den Zweigspitzen der Stauden naschend, dir mit wirrem Astwerk den Saum der Lichtung verschleierten. Nun trat das Tier unter den letzten Bäumen hervor in die Sonne, und durch eine Gasse zwischen den Stämmen konnte der Fürst die ganze Gestalt der jungen Reiterin gewahren, deren Haupt und Schultern er umschimmert sah vom Feuer des Abendlichtes. Er lächelte. »So könnte ein Märchendichter die Bergfee schildern, wie sie aus den Felsen tritt, umstrahlt von dem Goldglanz, der geheimnisvoll aus den Tiefen des geöffneten Berges hervorglüht.«

      Doch das Gewand der »Bergfee« war nicht aus Zindel gewoben, wie's bei den Elfen Mode ist. Ein braunes, schlichtes Röcklein schwankte faltig bis auf die Füße nieder, an deren kleinen, aber ländlich plumpen Schuhen die Nägel blitzten. Ein rot und weiß geblümtes Leibchen, einem Mieder ähnlich, umspannte die Brust; die bauschigen Ärmel des Hemdes, das mit loser Krause den Hals umschloß, verhüllten die Arme bis zu den zarten Handgelenken. Am braunen Ledergürtel hing ein kleiner Strohhut mit weißer Hahnenfeder und daneben – wie das Schulränzlein eines Bauernkindes – eine Tasche aus ungebleichter Leinwand mit roten Säumen.

      Die Tochter eines Bauern? Nein! Dem widersprach nicht nur der tadellose Schnitt und die saubere Frische des wohl ländlichen, aber doch von auffälligem Sinn für malerische Wirkung zeugenden Gewandes. Solch einen schlanken, bei jugendlicher Kraft doch zart geformten Körper hatte keine Bauerndirne – noch weniger solch eine sichere, selbstbewußte Haltung, um die eine Dame von Welt dieses Mädchen hätte beneiden können. Dazu dieses stolze Köpfchen! Das Gesicht war von der Sonne gebräunt, doch es hatte fein geformte Züge, ein klar und schön geschnittenes Profil. Das braune Haar, das im roten Glanz der Sonne wie blankes Kupfer schimmerte, war in zwei Zöpfe gebändigt, die sich wie ein schwerer Kronreif um die Stirne schlangen.

      Ohne sich um das Grautier zu kümmern, sah die Reiterin zu den leuchtenden Wipfeln auf, und für nichts anderes schien sie Augen zu haben als für das brennende Farbenspiel der abendlichen Lüfte. Aus diesem Schauen erwachte sie erst, als das Tier, talabwärts schreitend, wieder in den Schatten des Waldes trat. Mit ruhiger Hand lenkte sie den Grauen zwischen den bemoosten Felsblöcken zu einer breiteren Waldgasse. Dann wieder begann sie das träumende Schauen, mit einem Lächeln, so innerlich und wissend, als vernähme sie aus dem Schweigen des Waldes eine Stimme, die kein anderer hörte und verstand nur sie allein.

      Das Grautier stutzte. Und da gewahrte die Reiterin den Einsamen. Nicht erschrocken, nur verwundert, machte sie mit dem Zügel eine Bewegung, verhielt das Tier und betrachtete den Regungslosen mit einem Blick, der zu fragen schien: Wer bist du? Was hast du in meinem Wald zu schaffen?

      Und was für Augen sie hatte! Groß und klar und seetief. Recht die Augen, wie das Märchen sie hat!

      Der Blick dieser Augen verwirrten den schauenden Träumer. Halb sich aufrichtend, griff er nach der Mütze.

      Da nickte die Reiterin einen stummen Dank – unter einem Lächeln, als hätte seine Verwirrung auch ihr sich mitgeteilt –, und mit leisem Zuruf brachte sie das Grautier in Gang.

      Er sah ihr nach. Wie der schlanke Leib beim Auf- und Niedersteigen des Tieres sich elastisch bewegte, wie sie sich neigte und das Köpfchen bald zur Rechten und bald zur Linken beugte, um den dürren Ästen auszuweichen – wieviel Schönheit lag in dieser Bewegung! Als sie talabwärts ritt und zwischen den Stämmen schon zu verschwinden drohte, erhob sich der Fürst, um sie noch einmal zu sehen. Jetzt verschwand sie im Dämmerschatten des tieferen Waldes. Manchmal war noch ein gedämpfter Tritt des Tieres zu hören, immer ferner, immer leiser. Dann wieder Schweigen im Wald.

      Die Drossel schlug.

      Der Fürst hörte sie nicht. Er stand an die Fichte gelehnt und blickte der Tiefe des Waldes zu, wo es grauer und immer grauer wurde zwischen den Stämmen.

      »Wo hab ich nur diese Augen schon gesehen?«

      Er sann und forschte. Dann plötzlich fiel es ihm ein: auf einem Bild!

      »Seltsam! Wie der phantastische Traum eines Künstlers sich in Wirklichkeit erfüllen kann!«

      Aufatmend hob er den Blick zu den Wipfeln, deren Glanz erloschen war.

      »Es dunkelt?«

      Das klang wie eine erstaunte Frage – als könnte er nicht begreifen, daß jetzt die Nacht beginnen sollte.

      Ohne zu wissen, daß er es tat, stieg er durch den grauen Wald bergaufwärts der Richtung zu, aus der die Reiterin gekommen war. Kaum hundert Schritt hinter der Lichtung fand er einen breiten Pfad, der zur Höhe führte – man sah im Dunkel des Waldes die steigenden Serpentinen schimmern.

      »Von dort oben kam sie?«

      In der Höhe des Waldes meinte er einen Schritt zu hören. Er lauschte. Aber da war's wieder still.

      »Ist jemand hier?«

      Nur ein dumpfes Echo gab die Antwort.

      Eine Weile noch stand der Fürst und lauschte. Dann stieg er den Pfad hinunter, der nach kurzer Strecke in den am Ufer des Wildbaches laufenden Talweg einmündete. Hier stand ein Wegweiser, dessen Arm zur Höhe zeigte, von welcher der Fürst gekommen war. Mit einiger Mühe entzifferte er bei der sinkenden Dämmerung die Inschrift: »Zum Steinernen Hüttl.«

      Da hörte er eine rufende Stimme: »Durchlaucht!«

      »Martin! Hier!«

      Der Lakai kam atemlos gerannt. »Gott sei Dank! Ich war schon in Sorge, daß Durchlaucht sich verirrt hätten.«

      »Ich danke, Martin. Aber deine Sorge war überflüssig. Mich verirren? Hier? Das ist unmöglich. Rechts und links die Berge. Man hat nur dem Bach zu folgen. Du brauchst mir ein andermal nicht wieder nachzugehen. Ich finde schon meinen Weg.«

      Martin verneigte sich stumm und blieb zehn Schritte hinter seinem Herrn zurück.

      Zweites Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Der letzte Dämmerschein des Abends war erloschen, und über dem Jagdhaus lag eine sternschöne Nacht.

      Im Wohnzimmer des Fürsten standen die Fenster offen, und die Lampenhelle warf rötliche Lichtbänder über das dunkle Almfeld hinaus. Das Gebimmel der Glocken war verstummt, doch in Burgis Sennhütte ging es noch lustig zu; Schwatzen und Lachen wechselte mit Gesang und Zitherspiel.

      In einem Lehrstuhl saß der Fürst am offenen Fenster, und während er den Rauch der Zigarette vor sich hin blies, lauschte er bald dem unermüdlichen Frohsinn, der durch die Nacht zu ihm heraufklang, bald wieder blickte er sinnend über die schwarzen Wipfel hinüber zu den Felswänden, die sich grau emporhoben in das tiefe Stahlblau des Himmels. Wie stark und feurig in der reinen Höhenluft die Sterne funkelten! Als wären es andere, schönere Sterne als jene, die man dort unten sieht, in der staubigen Ebene und im Ruß der Stadt!

      Tief atmend erhob sich der Fürst. Ein paarmal wanderte er durch das Zimmer, dann setzte er sich an den Schreibtisch, um einen Brief zu beginnen.

       »Mein lieber, treuer, väterlicher Freund!

      Ich danke Dir von Herzen! Und ich kann nicht schlafen gehen, bevor ich Dir das nicht gesagt haben. Als meine Ärzte befahlen: drei Monate nach dem Süden und dann ungestörte Ruhe in reiner Höhenluft! – und als Du sagtest: Bis du wiederkommst, will ich für dich einen Fleck Erde aussuchen, der dir Ruhe gibt! – da wußte ich schon, wie gut Du für mich sorgen würdest. Aber heute hab ich mehr gefunden, als ich selbst bei einer ungebührlichen Rechnung auf Deine Freundschaft erwarten konnte. Welch ein schönes Waldheim hast Du mir da bereitet! Und Dank für die behagliche Stube! In ihr sitze ich und schreibe. Ich habe mich hier daheim gefühlt von der ersten Stunde an. Und so viel Ruhe ist hier! Sie beginnt auch schon zu wirken. Kein Brennen meiner Wunde mehr. Und wenn mich eins noch quält, so ist es die Bitterkeit gegen mich selbst. Von einem kalten Grauen