Claudia Torwegge

Mami Staffel 6 – Familienroman


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hatte gerade den Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt, als es klingelte.

      »Ich-ich-ich!« kreischte Steffi. Obwohl Nathalie der Haustür am nächsten stand, schaffte es die Kleine, vor ihr da zu sein. Mit erwartungsvollem Gesicht riß Steffi die Tür auf, erstarrte für einen winzigen Moment und stürzte dann mit wildem Freudengeheul auf den Gast zu.

      »Papi, Papi, Papi!« Sie lachte und weinte, alles in einem, vor Freude über diesen unerwarteten Besuch. »Oh Papi, ich hab’ dich so lieb.«

      Werner Reinke sah verlegen zuerst auf seine Tochter, dann zu Nathalie, die ihn neugierig betrachtete.

      »Hallo.« Er fühlte sich deutlich unwohl. »Natty, ich – ich muß dringend mit dir sprechen.«

      »Ach?« Nathalie zog die Brauen hoch. »Heute?«

      Werners irritierter Blick verriet, daß er keine Ahnung hatte, welcher Tag heute war. Das machte Nathalie so wütend, daß sie ihm am liebsten die Tür vor der Nase zugeschlagen hätte. Aber sie beherrschte sich.

      »Kannst du es kurz machen?« fragte sie statt dessen, während sie Steffi behutsam in die Diele schob. Clemens, der der Kleinen gefolgt war, verstand sofort.

      »Komm, wir schauen noch mal, ob wirklich alles in Ordnung ist, oder ob wir besser doch noch ein paar Ballons aufblasen.«

      Steffi zögerte einen Moment, aber dann ergriff sie seine dargebotene Rechte und ging mit ihm in den Garten hinaus.

      Werner sah den beiden unter zusammengezogenen Brauen hinterher.

      »Mein Nachfolger?«

      Nathalie streifte ihn mit einem abweisenden Blick, wandte sich um und ging ins Wohnzimmer.

      »Was gibt es?« richtete sie erneut das Wort an ihren Nun-nicht-mehr-Ehemann, nachdem sie sich gesetzt hatten.

      Werner sah durch die große Panoramascheibe in den Garten hinaus. Die Girlanden und Ballons konnte er unmöglich übersehen, aber er verlor kein Wort darüber.

      »Ich kann die Unterhaltszahlungen nicht mehr aufbringen.« Er sah Nathalie bei diesen Worten nicht an. Das war bei ihm immer ein Zeichen dafür, daß er log. »Bitte, ich schaffe es einfach nicht mehr, so viel Geld zusammenzukriegen.« Er schluckte. »Marlies erwartet ein Baby.«

      Aha, die süße Barbiepuppe setzte den Herrn Bauunternehmer unter Druck!

      »Und wie stellst du dir das vor?« fragte Nathalie ruhig. »Wir kommen so schon kaum über die Runden. Die Kinder brauchen das Geld.«

      Werner vollführte eine ungeduldige Handbewegung.

      »Ja, ich weiß.« Nervös begann er im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. »Aber Marlies meint, du könntest doch wieder ganztags arbeiten gehen. Die Kinder sind schließlich alt genug. Sie brauchen dich nicht mehr rund um die Uhr.«

      Nathalie war plötzlich übel. Werners Schwäche, seine Charakterlosigkeit und sein verlogenes Wesen offenbarten sich ihr auf einmal in schonungsloser Offenheit. Wie hatte sie diesen Mann nur so lange lieben können?

      »Erstens arbeite ich inzwischen ganztags«, erwiderte sie mühsam beherrscht. »Und zweitens geht Marlies das alles gar nichts an. Ich sage ihr ja auch nicht, daß sie ihren süßen Barbiepuppenhintern hochheben und aus unser aller Leben raustragen soll.«

      Werner blieb stehen.

      »Laß Marlies aus dem Spiel«, erwiderte er verärgert.

      »Dann schieb du sie nicht hinein«, lautete Nathalies Antwort. »Ich habe wahrlich nicht vor, im Nachhinein schmutzige Wäsche zu waschen. Aber ich lasse es auch nicht zu, daß du deine Kinder so einfach aufs Abstellgleis abschiebst.«

      »Du sollst nur auf die Unterhaltszahlungen verzichten«, beharrte Werner ungeduldig. »Du gräbst mir und Marlies damit das Wasser ab, begreifst du das nicht? Ich bin sowieso schon finanziell am Ende.«

      »Ich habe da gar nichts zu entscheiden«, erwiderte Nathalie diplomatisch und gleichzeitig wahrheitsgemäß. »Wende dich an meinen Anwalt, sprich mit dem Jugendamt, was weiß ich.«

      Werner fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.

      »Ich bin praktisch mittellos, weißt du…«

      Nathalie glaubte ihm kein Wort.

      »Du weißt ja, die Firma gehört Marlies. Ich bekomme ein kleines Gehalt. Die Zeiten sind verdammt schlecht.«

      »Ja, ich weiß.« Nathalie verschränkte die Arme vor der Brust. »Dir geht es so schlecht, daß du deiner kleinen Tochter nicht mal ein Geburtstagsgeschenk kaufen kannst.«

      Werner hob die Schultern. Sein Blick wanderte aus dem Fenster, wo die bunten Girlanden und Ballons im leichten Sommerwind schaukelten.

      »Das ist alles so weit weg.« Es klang, als spräche Werner zu sich selbst. »Ja, okay, ich habe Steffis Geburtstag vergessen. Aber irgendwie…«

      »Was ›irgendwie‹?« hakte Nathalie nach, als er verstummte.

      Werner sah einen Moment nachdenklich vor sich hin, dann hob er den Kopf und blickte Nathalie entschlossen an.

      »Die Kinder sind mir fremd geworden«, erklärte er kühl. »Tut mir leid, Natty, aber ich will ganz ehrlich sein. Ich habe mit diesem alten Leben abgeschlossen. Du wirst das nicht verstehen, aber Marlies und das Baby, das sie erwartet, das ist wie – wie eine zweite Chance.« Er redete sich in Euphorie. »Ich kann noch einmal ganz von vorne anfangen, weißt du? Ich werde Vater, Natty, das ist das Größte, was mir jemals im Leben geschehen ist!«

      »Als Zimmerermeister solltest du besser rechnen können«, spottete Nathalie erbost. »Du wirst zum vierten Mal Vater, mein Guter. Drei und eins macht vier.«

      Werner winkte ab.

      »Ja, aber das war etwas ganz anderes«, behauptete er abwertend. »Damals war ich viel zu jung, um zu begreifen, was da überhaupt vor sich ging. Ich hatte auch gar nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. Die Firma, der Aufbau, die Schulden, da genießt man sowas nicht.«

      »Ah, du armer Mann.« Nathalie konnte sich nur noch in beißende Ironie retten, sonst wäre sie diesem Menschen mit allen zehn Fingern ins Gesicht gefahren.

      Werner überhörte ihren Einwurf.

      »Eigentlich wollte ich die Kinder damals sowieso nicht«, behauptete er doch allen Ernstes! »Ich habe auch nie eine wirkliche Beziehung zu ihnen aufbauen können. Das wird natürlich bei meinem neuen Baby ganz anders.« Sein Blick wurde schwärmerisch. »Jetzt habe ich die nötige Reife und Ruhe, um mit so einem kleinen Wesen umgehen zu können. Ach, Natty, ich freue mich ja so.«

      »Dann hau doch ab zu deinem Baby!«

      Der zornige Ausruf ließ Nathalie und Werner gleichzeitig herumfahren. Bestürzt und entsetzt starrten sie auf Sandra, die unter der Terrassentür stand. Sie hatten ihr Kommen nicht bemerkt. Nathalie fragte sich sofort besorgt, wieviel das Mädchen von ihrem Gespräch mitgehört hatte.

      Tränen schimmerten in Sandras Augen, aber es waren Tränen des Zorns und der Enttäuschung. Gefühle, die sich in einem einzigen Wutausbruch über Werner ergossen.

      »Du brauchst dich hier überhaupt nicht mehr sehen zu lassen!« schrie sie ihn an. »Wir kommen bestens ohne dich zurecht. Sind es ja immer, denn du warst nie für uns da. Ich hasse dich!«

      »Sandra!« Nathalie vollführte eine hilflose Handbewegung. »Sandra – bitte…«

      Aber das Mädchen hörte ihr nicht mehr zu. Wutentbrannt stürmte es aus dem Zimmer und hastete, immer zwei Stufen überspringend, die Treppe hinauf. Das Zuschlagen ihrer Zimmertür setzte einen Schlußpunkt unter die Szene.

      Langsam wandte Nathalie sich Werner zu, der mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck dastand.

      »Ich glaube, du gehst besser jetzt«, sagte sie ermattet. »Für heute hast du genug Unsinn geredet.«

      »Die Göre ist selbst schuld!« brauste Werner auf. »Wieso