Ausgerechnet in mein Kapernaum! Sich einfach den Schlüssel nehmen zu meinen Chemikalien! Und gar meinen Reservekessel, den ich selber vielleicht niemals in Gebrauch genommen hätte! Meinen Deckelkessel! In unsrer peniblen Kunst hat auch der geringste Umstand die größte Wichtigkeit! Zum Teufel, daran muß man immer denken! Man kann pharmazeutische Apparate nicht zu Küchenzwecken verwenden! Das wäre gradeso, als wenn man sich mit einer Sense rasieren wollte oder als wenn….«
»Aber so beruhige dich doch!« mahnte Frau Homais.
Und Athalia zupfte ihn am Rock.
»Papachen, Papachen!«
»Laßt mich!« erwiderte der Apotheker. »Zum Donnerwetter, laßt mich! Dann wollen wir doch lieber gleich einen Kramladen eröffnen! Meinetwegen! Immer zu! Zerschlag und zerbrich alles! Laß die Blutegel entwischen! Verbrenn den ganzen Krempel! Mach saure Gurken in den Arzneibüchsen ein! Zerreiß die Bandagen!«
»Sie hatten mir doch …«, begann Emma.
»Einen Augenblick! – Weißt du, mein Junge, was dir hätte passieren können? Hast du links in der Ecke auf dem dritten Wandbrett nichts stehn sehn? Sprich! Antworte! Gib mal einen Ton von dir!«
»Ich … weiß … nicht«, stammelte der Lehrling.
»Ah, du weißt nicht! Freilich! Aber ich weiß es! Du hast da eine Büchse gesehn, aus blauem Glas, mit einem gelben Deckel, gefüllt mit weißem Pulver, und auf dem Schild steht, von mir eigenhändig draufgeschrieben: `Gift! Gift! Gift!’ Und weißt du, was da drin ist? Ar – se – nik! Und so was rührst du an? Nimmst einen Kessel, der daneben steht!«
»Daneben!« rief Frau Homais erschrocken und schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. »Arsenik! Du hättest uns alle miteinander vergiften können!«
Die Kinder fingen an zu schreien, als spürten sie bereits die schrecklichsten Schmerzen in den Eingeweiden.
»Oder du hättest einen Kranken vergiften können«, fuhr der Apotheker fort. »Wolltest du mich gar auf die Anklagebank bringen, vor das Schwurgericht? Wolltest du mich auf dem Schafott sehen? Weißt du denn nicht, daß ich mich bei meinen Arbeiten kolossal in acht nehmen muß, trotz meiner großen Routine darin? Oft wird mir selber angst, wenn ich an meine Verantwortung denke. Denn die Regierung sieht uns tüchtig auf die Finger, und die albernen Gesetze, denen wir unterstehen, schweben unsereinem faktisch wie ein Damoklesschwert fortwährend über dem Haupte!«
Emma machte gar keinen Versuch mehr, zu fragen, was man von ihr wolle, denn der Apotheker fuhr in atemlosen Sätzen fort:
»So vergiltst du also die Wohltaten, die dir zuteil geworden sind? So dankst du mir die geradezu väterliche Mühe und Sorgfalt, die ich an dich verschwendet habe! Wo wärst du denn ohne mich? Wie ginge dirs heute? Wer hat dich ernährt, erzogen, gekleidet? Wer ermöglicht es dir, daß du eines Tages mit Ehren in die Gesellschaft eintreten kannst? Aber um das zu erreichen, mußt du noch feste zugreifen, mußt, wie man sagt, Blut schwitzen! Fabricando sit faber, age, quad agis!«
Er war dermaßen aufgeregt, daß er Lateinisch sprach. Er hätte Chinesisch oder Grönländisch gesprochen, wenn er das gekonnt hätte. Denn er befand sich in einem Seelenzustand, in dem der Mensch sein geheimstes Ich ohne Selbstkritik enthüllt, wie das Meer, das sich im Sturm an seinem Gestade bis auf den Grund und Boden öffnet.
Er predigte immer weiter:
»Ich fange an, es furchtbar zu bereuen, daß ich dich in mein Haus genommen habe. Ich hätte besser getan, dich in dem Elend Und dem Schmutz stecken zu lassen, in dem du geboren bist! Du wirst niemals zu etwas Besserem zu gebrauchen sein als zum Rindviehhüten. Zur Wissenschaft hast du kein bißchen Talent! Du kannst kaum eine Etikette aufkleben. Und dabei lebst du bei mir wie der liebe Gott in Frankreich, wie ein Hahn im Korb, und läßt dirs über die Maßen wohl gehn!«
Emma wandte sich an Frau Homais:
»Man hat mich hierher gerufen….«
»Ach, du lieber Gott!« unterbrach die gute Frau sie mit trauriger Miene. »Wie soll ichs Ihnen nur beibringen?… Es ist nämlich ein Unglück passiert….«
Sie kam nicht zu Ende. Der Apotheker überschrie sie:
»Hier! Leer ihn wieder aus! Mache ihn wieder rein! Bring ihn wieder an Ort und Stelle! Und zwar fix!«
Er packte Justin beim Kragen und schüttelte ihn ab. Dabei entfiel Justins Tasche ein Buch.
Der Junge bückte sich, aber Homais war schneller als er, hob den Band auf und betrachtete ihn mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund.
»Liebe und Ehe«, las er vor. »Aha! Großartig! Großartig! Wirklich nett! Mit Abbildungen!… Das ist denn doch ein bißchen starker Tobak!«
Frau Homais wollte nach dem Buche greifen.
»Nein, das ist nichts für dich!« wehrte er sie ab.
Die Kinder wollten die Bilder sehn.
»Geht hinaus!« befahl er gebieterisch.
Und sie gingen hinaus.
Eine Weile schritt er zunächst mit großen Schritten auf und ab, das Buch halb geöffnet in der Hand, mit rollenden Augen, ganz außer Atem, mit rotem Kopfe, als ob ihn der Schlag rühren sollte. Dann ging er auf den Lehrling los und stellte sich mit verschränkten Armen vor ihn hin:
»Bist du denn mit allen Lastern behaftet, du Unglückswurm? Nimm dich in acht, sag ich dir, du bist auf einer schiefen Ebene! Hast du denn nicht bedacht, daß dieses schändliche Buch meinen Kindern in die Hände fallen konnte, den Samen der Sünde in ihre Sinne streuen, die Unschuld Athaliens trüben und Napoleon verderben? Er ist kein Kind mehr! Kannst du wenigstens beschwören, daß die beiden nicht darin gelesen haben? Kannst du mir das schwören?«
»Aber so sagen Sie mir doch endlich,« unterbrach ihn Emma, »was Sie mir mitzuteilen haben!«
»Ach so, Frau Bovary: Ihr Herr Schwiegervater ist gestorben!«
In der Tat war der alte Bovary vor zwei Tagen just nach Tisch an einem Schlaganfall verschieden. Aus übertriebener Rücksichtnahme hatte Karl den Apotheker gebeten, seiner Frau die schreckliche Nachricht schonend mitzuteilen.
Homais hatte sich die Worte, die er sagen wollte, genauestens überlegt und ausgeklügelt – ein Meisterwerk voll Vorsicht, Zartgefühl und feiner Wendungen. Aber der Zorn hatte über seine Sprachkunst triumphiert.
Emma verzichtete auf Einzelheiten und verließ die Apotheke, da Homais seine Strafpredigt wieder aufgenommen hatte, während er sich mit seinem Käppchen Luft zufächelte. Allmählich beruhigte er sich jedoch und ging in einen väterlicheren Ton über:
»Ich will nicht sagen, daß ich dieses Buch gänzlich ablehne. Der Verfasser ist Arzt, und es stehen wissenschaftliche Tatsachen darin, mit denen sich ein Mann vertraut machen darf, ja die er vielleicht kennen muß. Aber das hat ja Zeit! Warte doch wenigstens, bis du ein wirklicher Mann bist!«
Als Emma an ihrem Hause klingelte, öffnete Karl, der sie erwartet hatte, und ging ihr mit offenen Armen entgegen.
»Meine liebe Emma!«
Er neigte sich zärtlich zu ihr hernieder, um sie zu küssen. Aber bei der Berührung ihrer Lippen mußte sie an den andern denken. Da fuhr sie zusammenschaudernd mit der Hand über das Gesicht:
»Ja…ich weiß…ich weiß….«
Er zeigte ihr den Brief, worin ihm seine Mutter das Ereignis ohne jedwede sentimentale Heuchelei berichtete. Sie bedauerte nur, daß ihr Mann ohne den Segen der Kirche gestorben war. Der Tod hatte ihn in Doudeville auf der Straße, an der Schwelle eines Restaurants, getroffen, wo er mit ein paar Offizieren a.D. an einem Liebesmahl teilgenommen hatte.
Emma reichte Karl den Brief zurück. Bei Tisch tat sie aus konventionellem Taktgefühl so, als hätte sie keinen Appetit. Als er ihr aber zuredete, langte sie tapfer zu, während Karl unbeweglich und mit betrübter Miene ihr gegenüber dasaß.
Hin