Гюстав Флобер

Gesammelte Werke von Gustave Flaubert


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      Sie blieb stumm. Weil sie sich aber sagte, daß sie etwas entgegnen müsse, fragte sie:

      »Wie alt war dein Vater eigentlich?«

      »Achtundfünfzig!«

      »So!«

      Das war alles.

      Eine Viertelstunde später fing er wieder an:

      »Meine arme Mutter! Was soll nun aus ihr werden?«

      Emma machte eine Gebärde, daß sie es nicht wisse.

      Da sie so schweigsam war, glaubte Karl, daß sie sehr betrübt sei, und er zwang sich infolgedessen gleichfalls zum Schweigen, um ihren rührenden Schmerz nicht noch zu vermehren. Sich zusammenraffend, fragte er sie:

      »Hast du dich gestern gut amüsiert?«

      »Ja!«

      Als der Tisch abgedeckt war, blieb Bovary sitzen und Emma gleichfalls. Je länger sie ihn in dieser monotonen Stimmung ansah, um so mehr schwand das Mitleid aus ihrem Herzen bis auf den letzten Rest. Karl kam ihr erbärmlich, jammervoll, wie eine Null vor. Er war wirklich in jeder Beziehung »ein trauriger Kerl«. Wie konnte sie ihn nur loswerden? Welch endloser Abend! Etwas Betäubendes ergriff sie, wie Opium.

      In der Hausflur ward ein schlürfendes Geräusch vernehmbar. Es war Hippolyt, der Emmas Gepäck brachte. Es machte ihm viel Mühe, es abzulegen.

      »Karl denkt schon gar nicht mehr daran«, dachte Emma, als sie den armen Teufel sah, dem das rote Haar in die schweißtriefende Stirn herabhing.

      Bovary zog einen Groschen aus der Westentasche. Er hatte kein Gefühl für die Demütigung, die für ihn in der bloßen Anwesenheit dieses Krüppels lag. Lief er nicht wie ein leibhaftiger Vorwurf der heillosen Unfähigkeit des Arztes herum?

      »Ein hübscher Strauß!« sagte er, als er auf dem Kamin Leos Veilchen bemerkte.

      »Ja!« erwiderte sie gleichgültig. »Ich habe ihn einer armen Frau abgekauft.«

      Karl nahm die Veilchen und hielt sie wie zur Kühlung vor seine von Tränen geröteten Augen und sog ihren Duft ein. Sie riß sie ihm aus der Hand und stellte sie in ein Wasserglas.

      Am andern Morgen traf die alte Frau Bovary ein. Sie und ihr Sohn weinten lange. Emma verschwand unter dem Vorwand, sie habe in der Wirtschaft zu tun.

      Am Tage nachher beschäftigten sich die beiden Frauen mit den Trauerkleidern. Sie setzten sich mit ihrem Nähzeug in die Laube hinten im Garten am Bachrande.

      Karl dachte an seinen Vater und wunderte sich über seine große Liebe zu diesem Mann, die ihm bis dahin gar nicht weiter zum Bewußtsein gekommen war. Auch Frau Bovary grübelte über den Toten nach. Jetzt fand sie die schlimmen Tage von einst begehrenswert. Ihr Joch war ihr so zur alten Gewohnheit geworden, daß sie nun Sehnsucht darnach empfand. Ab und zu rann eine dicke Träne über ihre Nase und blieb einen Augenblick daran hängen. Dabei nähte sie ununterbrochen weiter.

      Emma dachte, daß kaum achtundvierzig Stunden vorüber waren, seit sie und der Geliebte zusammengewesen waren, weltentrückt, ganz trunken und nimmer satt, einander zu sehen. Sie versuchte sich die kleinsten und allerkleinsten Züge dieses entschwundenen Tages ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber die Anwesenheit ihres Mannes und ihrer Schwiegermutter störte sie. Sie hätte nichts hören und nichts sehn mögen, um nicht in ihren Liebesträumereien gestört zu werden, die gegen ihren Willen unter den äußeren Eindrücken zu verwehen drohten.

      Sie trennte das Futter eines Kleides ab, das sie um sich ausgebreitet hatte. Die alte Frau Bovary handhabte Schere und Nadel, ohne die Augen zu erheben. Karl stand, beide Hände in den Taschen, in seinen Tuchpantoffeln und seinem alten braunen Überrock, der ihm als Hausanzug diente, bei ihnen und sprach auch kein Wort. Berta, die ein weißes Schürzchen umhatte, spielte mit ihrer Schaufel im Sande.

      Plötzlich sahen sie Lheureux, den Modewarenhändler, kommen.

      Er bot in Anbetracht des »betrüblichen Ereignisses« seine Dienste an. Emma erwiderte, sie glaube darauf verzichten zu können, aber der Händler wich nicht so leicht.

      »Ich bitte tausendmal um Verzeihung,« sagte er, »aber ich muß Herrn Doktor um eine private Unterredung bitten.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Es ist wegen dieser Sache … Sie wissen schon….«

      Karl wurde rot bis über die Ohren.

      »Gewiß … freilich … natürlich!«

      In seiner Verwirrung wandte er sich an seine Frau:

      »Könntest du das nicht mal … meine Liebe…?«

      Sie verstand ihn offenbar und erhob sich. Karl sagte zu seiner Mutter:

      »Es ist nichts weiter! Wahrscheinlich irgend eine Kleinigkeit, die den Haushalt betrifft.«

      Er fürchtete ihre Vorwürfe und wollte nicht, daß sie die Vorgeschichte des Wechsels erführe.

      Sobald sie allein waren, beglückwünschte Lheureux Emma in ziemlich eindeutigen Worten zur Erbschaft und schwatzte dann von gleichgültigen Dingen, vom Spalierobst, von der Ernte und von seiner Gesundheit, die immer »so lala« sei. Er müßte sich wirklich höllisch anstrengen und, was die Leute auch sagten, ihm fehle doch die Butter zum Brote.

      Emma ließ ihn reden. Seit zwei Tagen langweilte sie sich entsetzlich.

      »Und sind Sie völlig wiederhergestellt?« fuhr er fort. »Ich sag Ihnen, ich habe Ihren armen Mann in einer schönen Verfassung gesehn! Ja, ja, er ist ein guter Mensch, wenn wir uns auch ordentlich einander in die Haare gefahren sind.«

      Sie fragte, was das gewesen sei. Karl hatte ihr nämlich die Streitigkeit wegen der gelieferten Waren verschwiegen.

      »Aber Sie wissen doch! Es handelte sich um Ihre Sachen zur Reise….«

      Er hatte den Hut tief in die Stirn hereingezogen, die Hände auf den Rücken genommen und sah ihr, lächelnd und leise redend, mit einem unerträglichen Blick ins Gesicht. Vermutete er etwas? Emma verlor sich in allerlei Befürchtungen. Inzwischen fuhr er fort:

      »Aber wir haben uns schließlich geeinigt, und ich bin gekommen, ihm ein Arrangement vorzuschlagen….«

      Es handelte sich darum, den Wechsel, den Bovary ausgestellt hatte, zu erneuern. Übrigens könne der Herr Doktor die Sache ganz nach seinem Belieben regeln; er brauche sich gar nicht zu ängstigen, noch dazu jetzt, wo er gewiß mit Sorgen überhäuft sei.

      »Das beste wäre ja, wenn die Schuld jemand anders übernähme. Sie zum Beispiel. Durch eine Generalvollmacht. Das wäre das Bequemste. Wir könnten dann unsere kleinen Geschäfte miteinander abmachen.«

      Sie begriff nicht recht, aber er sagte nichts weiter. Dann kam er auf sein Geschäft zu sprechen und erklärte ihr, sie müsse unbedingt etwas nehmen. Er wolle ihr zwölf Meter Barege schicken, zu einem neuen schwarzen Kleide.

      »Das, was Sie da haben, ist gut fürs Haus. Sie brauchen noch noch ein andres für die Besuche. Gleich beim Eintreten habe ich das bemerkt. Ja, ja, ich habe Augen wie ein Amerikaner!«

      Er schickte den Stoff nicht, sondern brachte ihn selbst. Dann kam er nochmals, um Maß zu nehmen, und dann unter allen möglichen anderen Vorwänden wieder und wieder, wobei er sich so gefällig und dienstbeflissen wie nur möglich stellte. Er stand »gehorsamst zur Verfügung«, wie Homais zu sagen pflegte. Dabei flüsterte er Emma immer wieder irgendwelche Ratschläge wegen der Generalvollmacht zu. Den Wechsel erwähnte er nicht mehr, und Emma dachte auch nicht daran. Karl hatte wohl kurz nach ihrer Genesung mit ihr darüber gesprochen, aber es war ihr seitdem so viel durch den Kopf gegangen, daß sie das vergessen hatte. Sie hütete sich überhaupt, Geldinteressen an den Tag zu legen. Frau Bovary wunderte sich darüber, aber sie schrieb das der Frömmigkeit zu, die zur Zeit der Krankheit in ihr erstanden sei.

      Sobald die alte Frau jedoch abgereist war, setzte Emma ihren Gatten durch ihren Geschäftssinn in Erstaunen. Man müsse Erkundigungen einholen, die Hypotheken prüfen und feststellen, ob nicht vielleicht ein Nachlaßkonkurs nötig sei.