dass wir hier wirklich ein kleines Paradies hätten. Sie haben mich sogar gefragt, ob sie unser Häuschen kaufen könnten, weil sie ein Ferienhaus in der Gegend suchen.«
»Unsere Pension kaufen?« Hildes Augen leuchteten auf. »Das wäre doch was, Kind. Mir geht es nur darum, den Wald zu behalten für deine Eltern.«
»Nein, Oma, ich habe dir schon gesagt, ich will nicht wieder im Hotel arbeiten. Diesen Vorschlag habe ich konsequent abgelehnt, was sie auch verstanden haben.«
»Und jetzt?«
»Jetzt fahren sie ins Hotel Wiesler, essen dort etwas und setzen einen Pachtvertrag auf, den wir nur noch unterschreiben müssen.«
»Meinst du, auf so was können wir uns einlassen?«, fragte Hilde skeptisch.
Julia lachte. »Ich habe darauf bestanden, dass sie die Pacht jährlich im Voraus bezahlen. Sie waren einverstanden.«
»Das war klug von dir, Schatz.« Oma Winter lachte, was fast wie ein Schluchzen klang. Dann zog sie schnell ein Taschentuch aus der Schürze und schnäuzte sich. »Ich glaube, heute ist unser Glückstag«, murmelte sie mit feuchten Augen.
Ihre Enkelin lächelte müde mit in sich gekehrtem Blick.
Nicht ganz, fügte sie stumm hinzu. Obwohl sie dankbar war, dass sich ihre finanzielle Situation nun erst einmal entspannt hatte, fehlte ihr etwas ganz Wichtiges, um wirklich glücklich zu sein. Und das war Leon. Die Enttäuschung über sein Verhalten und die Sehnsucht nach ihm zerrissen immer noch ihr Herz.
Sie straffte den Rücken. »Ich ziehe mich jetzt um und gehe in die Stall«, sagte sie energisch.
»Und ich koche uns etwas Leckeres zum Abendessen«, erwiderte ihre Großmutter. »Dieser Tag muss gefeiert werden.«
*
Leon ließ das Taxi vor der letzten Kurve halten, bezahlte und ging den Rest des Weges zu Fuß. Obwohl er doch gar nicht lange von hier weg gewesen war, kam ihm die Zeit unendlich vor. So vieles hatte er währenddessen geregelt. Jetzt marschierte er auf die Pension Winter zu, bereit für ein neues Leben, ein Leben mit Julia. Natürlich nagte da noch das Gefühl von Unsicherheit in ihm, obwohl Dr. Brunner alles getan hatte, um es zu vertreiben.
Er lachte leise auf.
Wie hatte er zum ersten Mal, als er hier gewesen war, zu Oma Winter gesagt? Ich liebe das Risiko. Doch heute wollte er nur noch Sicherheit haben. Die Sicherheit, dass Julia ihn noch liebte.
Als das kleine Schwarzwaldhaus vor ihm auftauchte, blieb er stehen.
Es badete in der Nachmittagssonne. Die Kühe standen auf der Wiese. Julias Jeep parkte neben dem Stall, dessen Tür offen stand. Sein Herz schlug hart gegen die Rippen. Hoffentlich hatte er nicht wieder einen Fehler gemacht, der Julia noch weiter von ihm weggetrieben hatte, dachte er plötzlich voller Panik. Dann wäre der ganze Einsatz umsonst gewesen. Aber hätte es einen anderen Weg gegeben? Ja, vielleicht, einen der endlosen Diskussionen. Hätte Julia ihm am Telefon geglaubt? Er wollte sie durch Taten überzeugen, durch vollendete Tatsachen.
Leon atmete tief durch und ging weiter. Geradeaus in Richtung Stalltür. Da sah er sie. Sie stand mit dem Rücken zu ihm, wie schon einmal. In ihrem viel zu weiten Overall, das wunderschöne Haar unter dem Männerhut versteckt. Und wieder tanzten winzige Staubkörnchen auf den Sonnenstrahlen, die durchs Fenster ins Stallinnere fielen. Die warme Luft roch nach Heu und Milch, ein Duft, den er lieben gelernt hatte. Mit der Gabel lud sie den Mist auf eine Schubkarre. Fliegen brummten, Vögel zwitscherten in den Obstbäumen. Und wieder wusste er, dass er genau hierhin gehörte. Er würde kämpfen bis zum Letzten, um diese Frau sein Eigen nennen zu können. Julia war sein Leben.
»Julia.« Ihr Name kam ihm ganz von selbst über die Lippen. Laut genug, dass sie in der Bewegung verharrte, mit dem Rücken zu ihm. Noch einmal sprach er ihren Namen aus und aus seinen drei Silben sprach auch all die Sehnsucht, die ihn bis hierhin begleitet hatte.
Da drehte sie sich um.
*
Julias Herz setzte für ein paar Schläge aus. Sie blinzelte.
Konnte das möglich sein? Narrte ihre Sehnsucht sie?
Mit dem Handrücken strich sie sich den feuchten Film von der Stirn. Dabei fiel ihr Hut zu Boden, und ihr Haar floss über ihre Schultern.
»Leon?«, brachte sie nun endlich hervor.
In ihrem Kopf wirbelten die Gedanken herum wie stiebende Blätter im Wind.
Warum war er gekommen? Und wie sah sie wieder aus in ihrer Stallkleidung!
Er lächelte als Erster, trat einen Schritt auf sie zu und blieb vor ihr stehen.
»Ich bin wieder da. Wie versprochen«, sagte er schlicht.
Sie schwieg. Jedes Wort hätte verraten, wie tief ihre Gefühle waren. Und dabei war sie gewillt, ihre Stacheln aufzustellen. Nicht noch einmal wollte sie von ihm hinters Licht geführt werden.
Sanft, mit federleichter Bewegung, strich er ihr eine Strähne aus der Stirn.
»Ich wollte mich nur davon überzeugen, dass du kein Traum bist«, begründete er leise seine unendlich zärtliche Geste, die sie innerlich zum Schmelzen brachte. Wie sehr liebte sie Leon! Wieder spürte sie diese unwiderstehliche Anziehung, diese Glut, für die es keine vernünftige Erklärung gab. Trotzdem rief ihr Verstand sie zur Vorsicht auf. Vielleicht war Leon Schubert gerade wieder einmal auf der Durchreise, auf dem Weg zu einem Auslandsgeschäft, und wollte sich aufs Neue ein paar schöne Stunden mit ihr machen.
Zärtlich glitt sein Blick über ihr Gesicht und versank so tief in ihren Augen, dass sie ihn körperlich spürte. Er löste eine Woge von Wärme in ihr aus.
»Du hast mir eine Nachricht geschrieben. Ich habe sie nicht geglaubt.«
Endlich löste sich ihre Zunge. »Ich kann dir auch nicht mehr glauben.«
Ihre Blicke trafen sich, hielten einander fest. Leon lächelte das ihr vertraute Lächeln. Jungenhaft, ein bisschen verwegen. Dann griff er in seine Jackentasche und zog ein paar zusammen geheftete Blätter heraus. »Lies bitte.«
Die Buchstaben tanzten zuerst vor ihren Augen. Nur der fett gedruckte Briefkopf fiel ihr auf: ›Schreinerei Baumgärtner‹.
Die war doch hier in Ruhweiler, dachte sie verblüfft.
Mit zitternder Hand nahm sie das Papier entgegen. ›Ausbildungsvertrag‹ war das nächste Wort, das sie las.
Sie sah hoch, mitten in Leons schwarze Augen hinein.
»Ich beginne hier in Ruhweiler eine Schreinerlehre«, sagte er. »Und ich bin hier, um dich zu fragen, ob ihr für diese Zeit vielleicht ein Plätzchen in eurer Pension für mich habt.«
Sie fühlte sich außerstande, darauf etwas zu erwidern.
Sein Vorhaben konnte doch nur heißen …
Langsam legte sich der Sturm in ihrem Inneren, die an ihr nagenden Zweifel verflüchtigten sich. Sie bekam das Gefühl, wieder Fuß in ihrem eigenen Leben zu fassen.
Leon legte die Hände auf ihre Schultern. »Vielleicht gibt es ja auch noch einen Platz in deinem Leben? Einen Platz für mich, an deiner Seite? Ich weiß, du bist mein Schicksal. Ich wusste es schon, als ich dich zum ersten Mal sah.«
Ihr wurde schwindelig. Sie schloss die Augen. Leons Stimme, seine Worte, der Ausbildungsvertrag bei der Schreinerei … Ja, Leon meinte es ehrlich mit ihr. Wenn er auch der Sohn des großen Reiseveranstalters war, wenn er auch den Auftrag gehabt haben mochte, ihre Pension zu testen, was immer auch im Internet stand –, all das zählte für sie nicht mehr. Dafür mochte es Erklärungen geben, die sie bestimmt noch erfahren würde. Jetzt zählte nur noch, dass Leon wiedergekommen war und sein Versprechen gehalten hatte.
Er zog sie an sich, und sie ließ es geschehen. Sie spürte seine Küsse auf ihrem Haar, ihrer Stirn, den Wangen, und ihr Herz weitete sich vor Glück. Ihr Körper entspannte sich. Die Knoten in ihrem Nacken lösten sich auf. Sie war Leon