Оскар Уайльд

Die wichtigsten Werke von Oscar Wilde


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hastig vor das Bild und schloß die Tür auf.

      »Es tut mir alles so sehr leid, Dorian«, sagte Lord Henry, als er eintrat. »Aber du mußt nicht zuviel daran denken.« »Meinst du an Sibyl Vane?« fragte der Jüngling.

      »Ja, natürlich«, erwiderte Lord Henry, ließ sich in einen Stuhl nieder und zog seine gelben Handschuhe langsam aus. »Es ist gewiß, einerseits betrachtet, schrecklich, aber es war doch nicht deine Schuld. Sag' mal, bist du hinter die Bühne gegangen und hast du sie gesehen, als das Stück aus war?«

      »Ja.«

      »Ich war davon überzeugt. Hast du ihr eine Szene gemacht?«

      »Ich war brutal, Harry, offen gesagt, brutal. Aber jetzt ist alles wieder gut. Was geschehen ist, tut mir nicht mehr leid. Es hat mich gelehrt, mich selbst besser kennenzulernen.«

      »Ach, Dorian, da bin ich sehr froh, daß du es so auffaßt. Ich fürchtete, dich von Gewissensbissen zermartert zu finden und wie du dir die hübschen lockigen Haare zerraufst.«

      »Das habe ich alles durchgemacht«, sagte Dorian und schüttelte lächelnd den Kopf. »Jetzt bin ich vollkommen glücklich. Vor allem weiß ich jetzt, was es heißt, ein Gewissen zu haben. Es ist nicht das, was du mir gesagt hast. Es ist das Göttlichste in uns. Spotte nicht darüber, nie mehr, Harry – wenigstens nie mehr in meiner Gegenwart. Ich will jetzt gut sein. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, meine Seele befleckt zu haben.«

      »Wirklich eine entzückende, künstlerische Grundlage für Moral, Dorian. Ich gratuliere dir dazu. Aber wie willst du damit anfangen?«

      »Indem ich Sibyl Vane heirate.«

      »Sibyl Vane heiraten?« schrie Lord Henry auf, erhob sich und sah ihn mit der bestürztesten Verwunderung an. »Aber mein lieber Dorian –«

      »Ja, Harry, ich weiß, was du sagen willst. Irgend etwas Häßliches über die Ehe. Sag' es nicht. Sag' mir nie wieder solche Dinge. Vor zwei Tagen habe ich Sibyl gebeten, mich zu heiraten. Ich werde mein Wort nicht brechen. Sie soll meine Frau werden.«

      »Deine Frau, Dorian... Hast du denn meinen Brief nicht bekommen? Ich habe dir heute früh geschrieben und schickte die Mitteilung durch meinen Diener her.«

      »Deinen Brief? Ach ja, ich erinnere mich. Ich hab' ihn noch nicht gelesen, Harry. Ich fürchtete, daß etwas drin stünde, was mir nicht gefallen könnte. Du vivisezierst das Leben mit deinen Aphorismen.«

      »Dann weißt du also nichts.«

      »Wovon sprichst du?«

      Lord Henry wanderte durch das Zimmer, setzte sich dann neben Dorian Gray, nahm seine beiden Hände und hielt sie fest. »Dorian,« sagte er, »mein Brief – erschrick nicht – sollte dir melden, daß Sibyl Vane tot ist.«

      Ein Schmerzensschrei gellte von den Lippen des Jünglings, und er sprang auf und riß seine Hände aus Lord Henrys Umklammerung los. »Tot! Sibyl tot! Es ist nicht wahr. Es ist eine furchtbare Lüge. Wie wagst du es, das zu sagen?«

      »Es ist völlig wahr, Dorian«, sagte Lord Henry ernst. »Es steht in allen Morgenblättern. Ich schrieb dir's gleich und bat, du solltest niemand empfangen, bis ich käme. Es muß natürlich eine Untersuchung stattfinden, und du darfst da nicht hineingezogen werden. Dinge dieser Art machen in Paris einen Mann zum Helden des Tages. Aber in London haben die Leute zuviel Vorurteile. Hier darf man nie mit einem Skandal debütieren. Man muß sich das aufheben, um im Alter noch interessant zu sein. Ich nehme an, man weiß im Theater deinen Namen nicht. In dem Fall ist alles gut. Hat dich jemand in die Garderobe gehen sehen? Das ist ein wichtiger Faktor.«

      Ein paar Augenblicke lang antwortete Dorian nicht. Er war vor Entsetzen gelähmt. Schließlich stammelte er mit erstickter Stimme: »Harry, sagtest du eine Untersuchung? Was meintest du damit? Hat sich Sibyl –? Oh, Harry, ich kann's nicht ertragen. Mach's kurz. Sag' mir alles auf einmal.«

      »Ich zweifle nicht daran, daß es kein Versehen war, Dorian, wenn man es auch dem Publikum so darstellen muß. Es scheint, sie hat das Theater mit ihrer Mutter verlassen, gegen halb eins ungefähr, und dann sagte sie plötzlich, sie habe oben etwas vergessen. Man wartete einige Zeit auf sie, aber sie kam nicht wieder herunter. Schließlich fanden sie sie tot auf dem Boden in ihrem Ankleidezimmer. Sie hatte aus Versehen irgend etwas getrunken, irgend solche gräßliche Sache, die man in den Theatern braucht. Ich weiß nicht genau, was es war, aber es muß entweder Blausäure oder Bleiweiß gewesen sein. Ich vermute, Blausäure, denn sie scheint sofort tot gewesen zu sein.«

      »Harry, Harry, es ist furchtbar!« schrie der Jüngling.

      »Ja; natürlich ist's sehr tragisch, aber du mußt sehen, nicht mit in die Sache verwickelt zu werden. Ich habe im ›Standard‹ gelesen, daß sie siebzehn Jahre alt war. Ich hätte sie noch eher für jünger gehalten. Sie sah ganz wie ein Kind aus und schien so wenig von der Schauspielerei zu verstehen. Dorian, du darfst dir die Sache nicht so an die Nerven gehen lassen. Du mußt mitkommen und mit mir essen, und nachher wollen wir noch 'n bißchen in die Oper gehen. Die Patti singt, und alle Welt wird da sein. Du kannst mit in die Loge von meiner Schwester kommen. Sie bringt ein paar famose Frauen mit.«

      »So habe ich also Sibyl Vane gemordet,« sagte Dorian Gray halb zu sich selbst – »sie gemordet, so sicher, als hätte ich ihre zarte Kehle mit einem Messer durchschnitten. Und doch sind darum die Rosen nicht weniger entzückend. Die Vögel in meinem Garten singen genau so lustig. Und heute abend geh' ich mit dir essen und dann in die Oper und nachher vermutlich irgendwo soupieren. Wie merkwürdig dramatisch das Leben ist. Wenn ich das alles in einem Buche gelesen hätte, Harry, ich glaube, ich hätte darüber geweint. Aber jetzt, wo es in Wirklichkeit geschehen ist, wo es mir selbst geschehen ist, scheint es mir zu wunderbar für Tränen. Da liegt der erste leidenschaftliche Liebesbrief, den ich in meinem Leben geschrieben habe. Seltsam, daß mein erster leidenschaftlicher Liebesbrief an ein totes Mädchen gerichtet ist. Ich möchte wohl wissen, ob sie noch ein Gefühl haben, diese weißen, verstummten Menschen, die wir Tote nennen. Sibyl! Kann sie fühlen, oder wissen, oder hören? O Harry, wie hab' ich sie einmal geliebt! Es scheint mir jetzt vor Jahren gewesen zu sein. Sie war mir alles. Dann kam dieser schreckliche Abend, – war es wirklich erst gestern? wo sie so schlecht spielte und mir fast das Herz zerriß. Sie hat mir alles erklärt. Es war furchtbar rührend. Aber es machte nicht den mindesten Eindruck auf mich. Ich hielt sie für ein oberflächliches Geschöpf. Dann geschah plötzlich etwas, was mir Furcht einjagte. Ich kann dir nicht sagen, was es war, aber es war furchtbar. Ich nahm mir vor, zu ihr zurückzukehren. Ich empfand, daß ich unrecht gehabt habe. Und jetzt ist sie tot. Mein Gott! Mein Gott! Harry, was soll ich tun? Du kennst die Gefahr nicht, in der ich schwebe und es gibt nichts, was mich aufrechterhalten könnte. Sie hätte es für mich getan. Sie hatte kein Recht, sich umzubringen. Es war selbstsüchtig von ihr.«

      »Mein lieber Dorian,« antwortete Lord Harry, während er eine Zigarette aus dem Etui nahm und ein goldenes Streichholzbüchschen hervorholte, »die einzige Art, auf die eine Frau einen Mann bessern kann, besteht darin: sie langweilt ihn so gründlich, daß er alles Interesse am Leben verliert. Wenn du dieses Mädchen geheiratet hättest, wärst du verdorben worden. Natürlich hättest du sie gütig behandelt. Menschen, für die man nichts übrig hat, kann man immer gütig behandeln. Aber sie hätte bald herausgefunden, daß du gar nichts für sie übrig hast. Und wenn eine Frau bei ihrem Mann Gleichgültigkeit wittert, vernachlässigt sie sich entweder schrecklich, oder sie trägt überelegante Hüte, die der Mann einer anderen Frau bezahlen muß. Ich will nichts über das soziale Mißverhältnis sagen, das schauderhaft gewesen wäre; ich hätte selbstverständlich die Sache nie zugegeben, aber ich versichere dir, die Sache wäre in jedem Falle ganz verfehlt gewesen.«

      »Vermutlich«, murmelte der junge Mann, während er mit furchtbar blassem Gesicht im Zimmer auf und ab schritt. »Aber ich glaubte, es sei meine Pflicht. Es ist nicht meine Schuld, daß mich dieses schreckliche Trauerspiel verhindert hat, das Rechte zu tun. Ich erinnere mich, daß du einmal gesagt hast, ein sonderbares Verhängnis schwebe über guten Vorsätzen – daß man sie nämlich immer zu spät fasse. Bei meinem war es gewiß der Fall.«

      »Gute Vorsätze sind nutzlose Versuche, Naturgesetze umzustoßen.