Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman


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      Darüber musste Danny zuerst nachdenken. Doch wie er es drehte und wendete: Er konnte sie nicht verstehen.

      »Aber warum spricht sie mich nicht klipp und klar darauf an?«, fragte er unwillig.

      Fee seufzte. Jetzt war es an ihr, ungeduldig zu werden.

      »Danny, Tatjana ist eine sehr besondere Frau, trotz oder gerade wegen ihrer Behinderung selbstbewusst, ehrlich und kompromisslos. Sie hat dich freigegeben, damit du dich entscheiden kannst. Zugegeben, der Moment ist etwas unglücklich gewählt. Aber sie wird ihre Gründe gehabt haben.«

      »Aber ich will doch gar nicht frei sein. Ich will keine andere Frau als Tatjana«, beharrte Danny eigensinnig.

      »Schön.« Felicitas lachte und stand auf. Es wurde Zeit für sie, an die Arbeit zu gehen, ehe Mario einen Suchtrupp nach ihr ausschicken würde. »Dann haben wir das ja geklärt.« Einen Moment blieb sie noch am Bett ihres Sohnes stehen. »Das, was Tatjana für dich getan hat, ist die größtmögliche Liebeserklärung. Sie will dich nicht verlieren. Aber wenn du mit einer anderen glücklicher wärst als mit ihr, würde sie dir nicht im Weg stehen.« Bei diesem Gedanken wurde es Felicitas ganz warm ums Herz. Hin und wieder hatte sie gedacht, dass die jungen Leute es mit der Liebe nicht so ernst nahmen. In diesem Augenblick wurde sie vom Gegenteil überzeugt und war zutiefst dankbar dafür. »Das ist Liebe, Dannylein. Du kannst dich wirklich glücklich schätzen.« Sie beugte sich über ihren Sohn, um ihm einen mütterlichen Kuss auf die Wange zu drücken.

      Bevor sie Gelegenheit hatte, sich zu verabschieden, hatte Danny aber noch etwas auf dem Herzen.

      »Sag mal, Mam, könntest du mir einen Gefallen tun?«, fragte er fast kleinlaut. »Könntest du mit Tatjana reden und ihr sagen, dass …«

      »Das könnte dir so passen!«, lachte Fee unbekümmert. »Nachdem du unsere gute Erziehung genossen hast, bin ich mir ganz sicher, dass du das selbst hinbekommst.« Die Hand schon auf der Türklinke, zwinkerte sie Danny noch einmal zu. Dann musste sie wirklich gehen.

      *

      »Ach, du meine Güte!« Entsetzt starrte Wendy aus dem Fenster der Praxis Dr. Norden hinaus auf die Parkplätze am Straßenrand. »Dabei hab ich mich gestern so gefreut, dass der Schandfleck endlich weg ist.«

      »Was ist los?« Obwohl Janine immer noch von dieser seltsamen Übelkeit geplagt wurde, biss sie tapfer die Zähne zusammen. Auf keinen Fall sollte ihre Umwelt bemerken, wie sehr sie in Wahrheit litt. Sie trat neben ihre Freundin und Kollegin ans Fenster und schob den Vorhang beiseite, um besser sehen zu können. »Ah, Olivia Schamel!«, stellte sie dann fest, als die junge Frau mit schwungvollen Schritten den Gartenweg hinunterging. Ihr kurzer Rock schwang ­lustig im Takt ihrer Schritte, und ihr rötlich-blonder Pferdeschwanz wippte auf und ab. »Hat sie einen Termin?«

      »Nicht, dass ich wüsste«, bemerkte Wendy und ging an den Computer, um sicherzugehen. »Nein, hat sie nicht. Aber der Chef ist ja glücklicherweise schon da.«

      »Bleibt nur zu hoffen, dass der Wagen später auch wieder anspringt«, sprach Janine das aus, was Wendy dachte, als sich die Tür auch schon öffnete und Olivia hereinkam.

      »Keine Sorge«, ließ sie nach einer freundlichen Begrüßung durchblicken, dass sie die letzten Worte aufgeschnappt hat. »Ich hab jetzt einen privaten Servicemann, der mir jederzeit mit Rat und Tat zur Seite steht.«

      »Ach, der junge Mann, der gestern mit Felix hier war.« Wendy wusste sofort, von wem die Rede war.

      Olivia nickte und errötete zart, und unwillkürlich dachte Wendy an ihre eigene unbeschwerte Zeit der Jugend zurück, als die Liebe noch leicht und wie ein Spiel gewesen war.

      »Du bist sicher gekommen, um mit Dr. Norden zu sprechen«, sagte Janine der Besucherin auf den Kopf zu.

      »Ich weiß, dass ich keinen Termin hab. Aber es wäre toll, wenn ich ein paar Minuten mit ihm sprechen könnte. Es dauert wirklich nicht lange.« Dabei lächelte Olivia so süß und mädchenhaft, dass weder Janine noch Wendy etwas dagegen einzuwenden hatte.

      »Du hast Glück. Der erste Patient verspätet sich offenbar. Wenn er den Termin nicht sogar ganz vergessen hat.« Janine stand auf und brachte Olivia höchstpersönlich zu Daniel Norden.

      »Olivia!« Ein freudiges Lächeln huschte über sein Gesicht, als die junge Frau eintrat. »Setz dich doch. Ich hab heut schon an dich gedacht.«

      »Wahrscheinlich, weil Sie Ihr Auto wieder auf Ihrem eigenen Parkplatz parken konnten«, sagte Olivia ihm keck auf den Kopf zu, und Daniel gab ihr lachend recht. Diese unerschrockene junge Frau gefiel ihm. Zum Glück schien sie lebenstüchtiger zu sein, als ihre Mutter es gewesen war.

      »Was kann ich für dich tun?«, fragte er, nachdem er ihr Kaffee angeboten hatte.

      Olivia antwortete nicht sofort. Das Lächeln auf ihrem Gesicht erstarb, und einen Moment starrte sie nachdenklich auf ihre Hände. Dann hob sie den Blick und sah Dr. Norden fest an.

      »Sie kannten doch meine Mutter.«

      »Das ist richtig. Christine war eine sehr feinsinnige, kluge und schöne Frau. Auf eine Art bist du ihr sehr ähnlich.«

      »Auf eine Art?«, hakte Olivia nach und legte den Kopf schief.

      »Ich glaube – oder vielmehr hoffe ich –, dass du lebenstüchtiger bist als sie. Sie kam mit dem Leben, seinen ganz normalen Herausforderungen, nicht zurecht. Diesen Eindruck machst du glücklicherweise ganz und gar nicht auf mich.«

      »Das wird sich noch zeigen«, erwiderte Olivia düster. »Paul hat mich auf dem Gymnasium angemeldet. Nächste Woche geht es los. Das schaffe ich nie und nimmer.«

      »Paul?«, hakte Daniel Norden irritiert nach. »Ach, du meinst wohl Paul Hübner, den ehemaligen Oberstudienrat«, ging ihm dann ein Licht auf. »Deine Mutter hat viel von ihm erzählt. In den letzten Jahren ihres Lebens war er ihr Anker. Er war der einzige ihrer Freunde, der sie nicht im Stich gelassen hat.«

      »Ach, wirklich?« Jetzt war es an Olivia, verwundert zu sein. »Das hätte ich nicht gedacht. Er wirkt ganz anders.« Einen Moment lang dachte sie über Paul nach. Dann schüttelte sie energisch den Kopf, als wollte sie die Gedanken an ihn daraus vertreiben. »Na ja, eigentlich bin ich nicht gekommen, um über Paul zu sprechen. Ich wollte Sie fragen, ob meine Mutter irgendwann mal was von meinem Vater gesagt hat.« Solange ihre Mutter und damit die Hoffnung gelebt hatte, Christine doch noch einmal selbst zu begegnen, hatte sich Olivia nicht für ihren Vater interessiert. Doch jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Wenn sie Paul und seine Pläne ein für alle Mal loswerden wollte, musste sie ihren Vater finden. Koste es, was es wolle. »Vielleicht hat Christine ja mal einen Namen erwähnt …, irgendwas?« Ihr hoffnungsvoller Blick hing an Daniel Nordens Gesicht, und es tat ihm jetzt schon weh, sie enttäuschen zu müssen. Christine Javier hatte ständig von ihrer Tochter gesprochen und ihren Freund Paul in den Himmel gelobt. Doch über den Vater ihres einzigen Kindes hatte sie nie ein Wort verloren.

      »Tut mir leid.« Bedauernd schüttelte er den Kopf, als er sich plötzlich an etwas erinnerte. »Aber ich weiß, dass deine Mutter Tagebuch geschrieben hat. Die Therapeuten haben ihr das empfohlen, und sie hat jedes Mal darüber gelacht. Das tue ich, seit ich ein Teenager bin!, hat sie mir ab und zu gesagt. Leider hat ihr das Schreiben nicht geholfen. Aber vielleicht findest du in ihrem Haus etwas …«

      Dr. Norden hatte noch nicht ausgesprochen, als Olivia wie von der Tarantel gebissen aufsprang. Plötzlich war ihr etwas eingefallen, was sie über der Aufregung angesichts des geplanten Schulbesuchs völlig vergessen hatte. Ehe er es sich versah, lief sie um den Schreibtisch herum, legte die Hände links und rechts auf seine Wangen und küsste ihn mitten auf den Mund.

      »Vielen Dank, Sie sind ein Schatz!« Und ehe Daniel Gelegenheit hatte nachzufragen, war Olivia auch schon aus seinem Behandlungszimmer verschwunden.

      *

      Noch ehe sich Dr. Norden von seiner Verwirrung erholt hatte, kündigte Janine die erste Patientin des Tages an.

      »Frau Berger ist heute Morgen zusammengebrochen«, informierte