rief er: »Bei den Wundmalen des Erlösers, nie werde ich ihr ein Unrecht zufügen, ewig werde ich sie in Treuen lieben!«
»Amen!« sprach der Priester Kaleb.
Das »Misericordia« wieder in die Scheide steckend, breitete Jurand nun die Arme gegen Zbyszko aus und sagte: »In unserer Liebe für dieses Kind sind wir ja eins.«
Dann trennten sie sich, denn es war schon spät geworden, und mehrere Nächte hindurch hatte keiner von ihnen rechten Schlaf gefunden. Trotzdem erhob sich Zbyszko am folgenden Morgen mit Tagesanbruch. Er konnte den Gedanken nicht los werden, Jurand sei krank, es drängte ihn daher, zu hören, wie der alte Ritter die Nacht verbracht habe.
Vor Jurands Gelaß traf er mit Tolima zusammen, der gerade aus der Thüre trat.
»Wie steht es mit dem Herrn? Ist er gesund?« fragte Zbyszko.
Jener verneigte sich tief, führte die Hand an das Ohr und bemerkte: »Was befiehlt Euer Gnaden?«
»Ich frage, wie es mit dem Herrn steht,« wiederholte Zbyszko mit erhobener Stimme.
»Der Herr hat eine Reise angetreten.«
»Wohin?«
»Ich weiß es nicht. Er ist bewaffnet.«
Siebentes Kapitel.
Der anbrechende Tag warf bereits seinen lichten Schein auf die Bäume, die Sträuche und auf die rings auf dem Gefilde zerstreut umher liegenden Kalksteine, als der gedungene Führer, der neben dem Pferde Jurands einherschritt, anhielt und sagte: »Vergönnt mir eine kurze Rast, Herr Ritter, damit ich mich ausschnaufen kann. Durch das Tauwetter ist es neblig, doch unser Ziel ist nicht mehr fern …«
»Geleite mich bis zur Landstraße, dann magst Du zurückkehren,« entgegnete Jurand.
»Die Landstraße liegt rechts neben dem Wäldchen, und vom Hügel aus werdet Ihr gleich die Burg sehen.«
So sprechend kreuzte der Bauer die Arme, schlug sich mit den Händen, die in der feuchten Morgenluft wohl ein wenig starr geworden sein mochten, fortwährend unter die Achselhöhlen und ließ sich schließlich auf einen Stein nieder, um sich besser ausruhen zu können.
»Weißt Du nicht, ob der Komtur in der Burg ist?« fragte Jurand nach kurzer Pause.
»Wo sollte er sonst sein, da er krank ist.«
»Was fehlt ihm?«
»Die Leute sagen, ein polnischer Ritter habe ihm eins versetzt,« antwortete der alte Bauer.
Und der Ton seiner Stimme bekundete eine gewisse Zufriedenheit. Er war freilich den Kreuzrittern unterthan, aber sein masurisches Herz freute sich über jedes Wagestück eines polnischen Ritters. So fügte er denn auch nach einer Weile hinzu: »Hei! Gar mächtig sind unsere Herren, aber nicht leicht ist mit ihnen auszukommen.«
Unverweilt blickte er aber nun prüfend auf den Ritter, wie wenn er sich vergewissern wolle, ob ihm aus diesen Worten, die ihm unbedacht entschlüpften, kein Schaden erwachse, und fügte hinzu: »Ihr, o Herr, seid nach der Art, wie Ihr unsere Sprache sprecht, kein Deutscher.«
»Nein,« erwiderte Jurand, »doch führe mich weiter.«
Der Bauer erhob sich und schritt wie zuvor neben dem Pferde her. Unterwegs griff er dann und wann in einen ledernen Beutel, holte ein Handvoll ungemahlenes Korn daraus hervor, das er in den Mund steckte, um damit den ersten Hunger zu stillen. Dabei unterließ er es nicht, zu erklären, weshalb er die Kerne roh esse, obwohl Jurand dies gar nicht bemerkt hatte, da er viel zu viel mit seinem eigenen Schicksal, mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war.
»Gott sei Dank dafür!« sagte der Bauer. »Unter unsern deutschen Herren ist das Leben gar schwer. Solche Abgaben fordern sie für das Mahlen des Getreides, daß der arme Mann das Korn aus der Spreu fressen muß wie das Vieh. Und wenn sie eine Handmühle in einer Hütte finden, dann prügeln sie den Bauer und führen das Vieh hinweg. Traun, weder der Kinder noch der Frauen schonen sie … Ei, sie fürchten sich ebenso wenig vor Gott dem Herrn, wie vor dem Fürsten, ja, den Probst aus Wielborz, der ihnen Vorstellungen darüber machte, legten sie in Ketten. O, schwer lastet die Hand der Deutschen auf uns! Nur wenn man sich Korn zwischen zwei Steinen zermalmt, dann bekommt man eine Handvoll Mehl zur Speise für den heiligen Sonntag, am Freitag aber, da heißt’s wie ein Vogel essen. Doch gelobt sei Gott auch dafür, denn ehe die Ernte kommt, giebt’s nicht einmal das … der Fischfang ist verboten … die Jagd auf wilde Tiere auch. Nein, so ist’s nicht wie in Masovien.«
In solcher Weise klagte der unter der Herrschaft der Kreuzritter stehende Bauer, indem er halb zu sich selbst, halb zu Jurand sprach. Mittlerweile gelangten sie dann in ein Wäldchen, welches in dem fahlen Scheine des Frühmorgens fast grau schimmerte und in dem eine feuchte, durchdringende Kälte herrschte. Es war nun völlig Tag geworden; sonst wäre es für Jurand kaum möglich gewesen, auf dem Waldwege weiter zu kommen. Steil und so schmal stieg der Pfad empor, daß an manchen Stellen das Streitroß sich kaum durch die Stämme durchzuarbeiten vermochte. Doch das Wäldchen lichtete sich bald wieder, und schon nach kurzer Zeit gelangten sie auf den Gipfel des weißlich schimmernden Hügels, von dessen Höhe aus eine gute Landstraße nach Szczytno führte.
»Von hier aus ist’s nicht mehr weit,« bemerkte der Bauer, »Ihr findet Euch nun allein zurecht.«
»Ja, ich finde mich nun allein zurecht,« entgegnete Jurand. »Kehre Du nun wieder heim, Mann.«
Mit der Hand in einen ledernen Sack greifend, der vorn am Sattel befestigt war, holte er mehrere Silbermünzen hervor und gab sie dem Führer. Der Bauer, weit mehr an Schläge als an Belohnung von seiten der ansässigen Kreuzritter gewöhnt, glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Rasch das Geld entgegennehmend, beugte er sich bis zu den Steigbügeln Jurands und umfaßte dessen Knie.
»O Jesus, Maria!« rief er. »Gott der Herr möge Euer Gnaden dafür lohnen.«
»Gott sei mit Dir!«
»Gott möge Euch Macht und Stärke verleihen. Szczytno liegt vor Euch.«
Jurand blieb allein auf dem Hügel zurück und schaute in der ihm von dem Führer angegebenen Richtung auf die graue, feuchte Nebelwand, welche den freien Ausblick verhinderte. Jenseits dieses Nebels lag ja die unheilvolle Burg, in die er gegen seinen Willen ziehen mußte. Nahe, ganz nahe lag sie vor ihm! Was von ihm gefordert ward, ohne Aufschub mußte es geschehen! Schwer bedrückte dieser Gedanke Jurands Herz. Zu der Unruhe, zu der Angst um Danusia, für die er selbst sein Herzblut hingegeben hätte, gesellte sich nun auch noch eine unbegrenzte Bitterkeit, ein ihm bis jetzt unbekannt gewesenes Gefühl der Demütigung. Er, Jurand, bei dessen Namen allein schon alle an der Grenze ansässigen Komture gezittert hatten, beugte sich nun deren Befehl! Er, der schon so viele von ihnen besiegt und mit Füßen getreten hatte, sollte nun von ihnen besiegt und mit Füßen getreten werden. So unerhört dünkte ihm dies, daß ihm schien, die ganze Welt müsse aus ihren Fugen gehen. War es denn denkbar, daß er sich vor den Kreuzrittern demütigen sollte, er, der es mit dem ganzen Orden aufgenommen haben würde, wenn es sich nicht um Danusia gehandelt hätte? Mehr als einmal schon hatte ein Ritter, dem nur die Wahl zwischen Schmach und Tod geblieben war, sich kämpfend auf ein ganzes Kriegsheer gestürzt! Ach, seiner harrte auch nur Schmach und Schande! Diese Ueberzeugung verursachte ihm einen so grimmen Schmerz, wie ihn der Wolf empfindet, den die Spitze eines Speeres trifft.
Doch über Jurands stählernen Körper gebot auch ein eiserner Wille. Ebenso wie er den Widerstand anderer zu brechen wußte, vermochte er sich selbst zu bezwingen.
»Nicht eher rühre ich mich von dieser Stelle,« sagte er sich, »bevor ich nicht Herr über diesen grimmen Haß geworden bin, der weit eher das Verderben des Kindes als dessen Rettung herbeiführen könnte.«
Und mit aller Kraft kämpfte er gegen sein stolzes Herz, gegen seinen Haß, gegen seine Streitlust an. Wer ihn auf jenem Hügel gesehen hätte, wie er auf seinem gewaltigen