Liniengeflecht auf der Oberfläche der Leinwand stand für die Leser des Jahres 1837 noch als Zeichen dieses Scheiterns. Das Sich-Verlieren in die Ungegenständlichkeit galt als Chiffre für das drohend Labyrinthische künstlerischer Phantasie, in dem kein Ariadnefaden den rettenden Weg zeigt.
Umgekehrt sollte die rund drei Generationen später beginnende Moderne, die mittlerweile längst das Prädikat der »klassischen Moderne« besitzt, in der Abstraktion nicht das Signet des Scheiterns, sondern neuartigen Kunst-Gelingens verkünden – gegen jene Verfechter der Gegenständlichkeit, die es nach wie vor gab. So gleicht es einem Paradigma, dass eine 1931 in Paris erschienene Neuauflage der Balzac’schen Novelle von Pablo Picasso illustriert wurde, dem genialsten Grenzgänger zwischen Abstraktion und Figuration, den das 20. Jahrhundert aufzuweisen hatte.
Während die beiden »Epochenschwellen«, die um 1800 und die um 1900, mit Klassizismus und Jugendstil (Art Nouveau) noch zwei Stile aufzuweisen hatten, die alle Bereiche von »Hochkunst« und Kunstgewerbe, von bildenden Künsten und Architektur umfassten, summierten sich dazwischen und insbesondere seit dem frühen 20. Jahrhundert die »Ismen«, die gesellschaftlich nur noch einzelne Bereiche abdeckten. Es wurden ihrer derart viele und sie überschritten mit Begeisterung so gut wie alle Gattungsgrenzen, dass das wahrnehmungstechnische Dickicht, das sich auf Frenhofers Bild abzeichnete, inzwischen anderswohin abgewandert scheint: ins »System« der Kunstszene. Existiert dann überhaupt noch eine Orientierungsmöglichkeit: metaphorisch gesprochen jener identifizierbare Fuß, dem Frenhofer eine Nische im phänomenalen Chaos gelassen hatte? Jedes einzelne der kommenden Kapitel ist getragen von der Überzeugung, dass dies der Fall ist – ungeachtet gravierender Probleme, die die Aufgabenstellung mit sich brachte.
Wenn ich im ersten Band, der 2007 »Alte Meister« vom Mittelalter bis zum ausgehenden Rokoko vorstellte, einleitend anmerkte, dass die eklatanteste Schwierigkeit des Konzepts in der Auswahl der Künstler und in den Auswahlkriterien lag, so gilt das auch für die Fortsetzung, die in mehr als 60 Abschnitten herausragende Maler vom Klassizismus bis zur Gegenwart präsentiert. Das Problem spitzt sich sogar weiter zu, da für viele der neuesten Künstler noch kein Kanon, kein Wertmaßstab existiert, der das Auswahlprinzip steuert und erleichtert.
Welches Gewicht sollte ich also in die Waagschale werfen, um den einen Künstler aufzunehmen, den anderen nicht? Ich habe versucht, nicht nur sogenannte entwicklungsgeschichtliche Kriterien und solche der Innovation zu berücksichtigen, sondern, so altmodisch es klingen mag, vor allem auch Parameter der künstlerischen Qualität, der Ernsthaftigkeit und Hartnäckigkeit, mit der ein Künstler an die Lösung von Problemen heranging und -geht. Obwohl sich die moderne Kunst häufig nur noch mit sich selbst beschäftigt (der viel zitierte selbstreflexive Faktor und die Eigenreferenz des Mediums »Bild«), ist, wie ich glaube, die Frage nach der kreativen Qualität nach wie vor möglich und legitim.
Eine diskursive Beschränkung auf die Gattung Malerei bringt für das 20. und das noch junge 21. Jahrhundert ein weiteres, ein genuines Problem mit sich, und zwar dort, wo die Grenze zwischen Flächen- und Raumkünsten aufgehoben wird oder wo sich das traditionelle Werk-Verständnis in der Konzeptkunst oder in der Aktion (Happening usw.) auflöst. Um den Umfang des Buches nicht zu sehr anwachsen zu lassen, beschränkt sich deshalb die Auswahl moderner Maler auf diejenigen, die »im Rahmen« bleiben, also einem Betrachter weiterhin Bild-Flächen anbieten, seien diese auch noch so sehr zu Experimentierfeldern verwandelt (weswegen ich beispielsweise auf ein den hauptsächlich durch Aktionen, Rauminstallationen, »soziale Plastiken« definierten Joseph Beuys – schweren Herzens – verzichtet habe; gleichermaßen habe ich jene Künstler beziehungsweise Gruppierungen außer Acht gelassen, die, wie ich glaube, über den Kanon ihrer Schriften und Manifeste mehr Aufsehen erregten als durch die Qualität ihrer realisierten Werke – ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Futuristen –, oder solche, deren Arbeiten die Grenze zum architektonischen Projekt überschreiten, wie das bei vielen Konstruktivisten der Fall ist. Ich bin mir bewusst, damit eine wissenschaftlich riskante Eingrenzung vorgenommen zu haben.
Analog zu ihrem Vorgänger rückt, wie erwähnt, die jetzige Publikation die Frage in den Mittelpunkt, welche Kriterien das überragende Können bestimmter Maler bedingen. Da diese Frage nicht mithilfe ausführlicher Werkbeschreibungen untersucht wird, sondern im Kontext anderweitiger kunstwissenschaftlicher Gesichtspunkte, wird bewusst auf Abbildungen verzichtet. Vorangestellt ist dem Hauptteil ein stilgeschichtlicher Abriss, zugeschnitten auf den Untersuchungszeitraum und in konzentrierter Kürze (also nicht mit der Absicht, jede Strömung beziehungsweise Gruppierung aufzuführen). Er versteht sich lediglich als Orientierungshilfe, nicht als verbindliches Raster. Kommentierte Literaturangaben bieten dem interessierten Leser die Möglichkeit zu einer vertiefenden Fortsetzung der Lektüre. Und mit einem interessierten, einem engagierten Leser rechnet dieses Buch – und es glaubt an ihn!
Zum Schluss sei noch einmal Balzac zitiert. Er lässt Porbus und Poussin im Atelier Frenhofers vor die Staffelei treten: »›Dort‹, fuhr Porbus fort und berührte die Leinwand, ›endet unsere Kunst auf Erden‹. ›Und von dort verliert sie sich in den Himmel‹, sagte Poussin.«
Die Französische Revolution setzte im ausgehenden 18. Jahrhundert die unüberhörbaren Zeitzeichen einer neuen Epoche, indem sie die Tradition monarchischen Gottesgnadentums für nichtig erklärte, den Absolutismus zugunsten von Volksherrschaft und Republikanismus beseitigte. Allerdings zeichnete sich geistesgeschichtlich und künstlerisch ein radikaler Umbruch schon vorher, schon gegen 1750 ab, mit der vernunftbestimmten, gegen religiösen Aberglauben ankämpfenden Aufklärung, mit einem neuen psychologisch argumentierenden Subjektivismus, der – als Gegenpol gegen die zum Dogma erhobene Ratio – auch das Unbewusste und Irrationale im Menschen anerkennt, ferner mit einer neuen »Religion der Natur« (»Rousseauismus«) usw.
KLASSIZISMUS UND ROMANTIK (AB CA. 1750 UND AB CA. 1800)
Der Klassizismus ist kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts als »akademischer« oder »archäologischer« Klassizismus in Rom entstanden. 1738 hatten Ausgrabungen in Herculaneum begonnen. Sie und die zehn Jahre später einsetzende Freilegung von Pompeji erweiterten die Kenntnis antik-römischer Malerei. Gleichzeitig propagierte der deutsche Theoretiker Johann Joachim Winckelmann ab 1755 den kulturellen Vorrang des antiken Griechenlands über das alte Rom und »infizierte« den Klassizismus mit dem Ideal der »edlen Einfalt und stillen Größe«. Jenes Leitmotiv entsprach in der Dominanz des Figurenbildes (wobei die Menschen verhalten agieren, kaum Emotionen zeigen), in der Reanimierung mythologischer Inhalte, im »Kult« antikischer Nacktheit, in der Bevorzugung »klassisch-edler« und »reiner« Materialien (in der Bildhauerei weißer Marmor und Bronze) dem hohen sittlichen Anspruch und dem Bildungsgedanken dieser Richtung. Die Baukunst huldigte einem antiken Repertoire (Säulenordnung, Tempelfronten, Proportionslehren usw.), verzichtete auf »malerische« Dekoration (im Inneren verschwinden die großen illusionistischen Fresken) und bevorzugte geometrisch-stereometrische Elemente.
Der »akademische« beziehungsweise archäologische Klassizismus wandelte sich gegen Ende des Jahrhunderts in Frankreich zum »revolutionären« Klassizismus (»Revolutionskunst«), der sowohl in der Malerei – mit dem Hauptvertreter Jacques-Louis David – als auch in der Architektur von einer teilweise rigiden Geometrisierung, immer aber von einem extremen Pathos getragen ist. Schnell freilich wich im Klassizismus die monumentalisierende Formensprache, die auch nach Russland und in die USA abstrahlte, einer bürgerlichen Intimität, sodass Querverbindungen zur Geisteshaltung der Romantik und ihrer Vorläufer möglich wurden.
In vielen Erscheinungen des Malerischen und Stimmungshaften, in einer Mittelaltersehnsucht und einer genussvoll ausgebreiteten Ästhetik des Verfalls (»Ruinenromantik«) bereitete sich gleichfalls seit der Mitte des 18. Jahrhunderts eine »Präromantik« aus, die ein paar Jahrzehnte später in eine Bewegung voller nervöser Energie mündete: In Deutschland bezeichnet man diese Phase als »Sturm und Drang«, mit der man europaweit auch phantastisch geprägte Bilder wie die eines Johann Heinrich Füssli oder William Blake kennzeichnet. Die Malerei schickte sich nun an, die Führungsposition in den bildenden Künsten einzunehmen.
Die Romantik ist, auch wenn eines ihrer Hauptzentren in