Norbert Wolf

Die bedeutendsten Maler der Neuen Zeit


Скачать книгу

gleichermaßen zur »Irrealität« von Raumbeziehungen.

      DER EXPRESSIONISMUS (1905ff.)

      1905 gründeten Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff in Dresden die Künstlergruppe »Die Brücke«. 1906 schloss sich Max Pechstein der Gruppe an sowie Emil Nolde, der aber nach eineinhalb Jahren wieder austrat. 1910 stieß Otto Mueller hinzu. Sie alle gaben sich vor allem postimpressionistischen und fauvistischen Eindrücken hin und solchen, die sie vor mittelalterlichen Holzschnitten gewannen. Und sie alle waren fasziniert von der Kunst der Südseevölker und Schwarzafrikas. Die massiven Konturen, der eckige Figurentypus, die maskenhaften Gesichter und die lebhafte Haltung der Gestalten in ihren Bildern rühren zum Teil daher. 1911 ging die Gruppe nach Berlin. Herwarth Walden hatte hier eben die Galerie »Sturm« gegründet und mit der Herausgabe der gleichnamigen Zeitschrift begonnen. Einer der Redakteure war Oskar Kokoschka, der, zusammen mit Egon Schiele, maßgeblich den österreichischen Expressionismus repräsentiert.

      Die süddeutsche Version des Expressionismus bildete der »Blaue Reiter« in München, der sich 1911 um Wassily Kandinsky und dessen Freundin Gabriele Münter, um Franz Marc und den Grafiker Alfred Kubin gruppierte. Auch August Macke beteiligte sich. In Marcs Artikel »Die neue Malerei«, erschienen im März 1912 in der Zeitschrift »Pan«, ist die Forderung erhoben, die innere, geistige Seite der Natur malerisch aus den Fesseln des Sichtbaren zu lösen. Es war Kandinsky, der dies tat, indem er als einer der ersten europäischen Künstler den Weg zur Abstraktion einschlug.

      1924 schlossen sich Lyonel Feininger, Kandinsky, Paul Klee und Alexej von Jawlensky zur Gruppe »Die Blauen Vier« zusammen, die Ideen aus der Münchner Zeit an das »Bauhaus« weiterreichten. Zwar war der Expressionismus in erster Linie der kardinale Beitrag der deutschen Kunst zur Moderne, seine Tendenzen fanden aber durchaus auch in Belgien und den Niederlanden und mit den Malern Georges Rouault und Chaim Soutine auch in Frankreich Parallelen.

      Aus den »Stahlgewittern« des Ersten Weltkrieges ging nicht der vom Expressionismus ersehnte »neue Mensch« hervor, vielmehr zog eine geschlagene Armee heimwärts in eine durch Hunger und Inflation erschütterte Republik. Otto Dix, Max Beckmann und George Grosz, die alle vom Expressionismus ausgingen, um sich dann dem Dadaismus, schließlich dem Verismus zuzuwenden, setzten sich intensiv und stets gegenstandsbezogen mit der schockierenden Realität der menschlichen Wracks, der Kriegskrüppel und Kriegsgewinnler, der Huren und neuen Demagogen auseinander.

      KUBISMUS UND ORPHISMUS (1907ff.)

      Den Auftakt zum Kubismus gab, so zumindest die verbreitete Ansicht, ein einziges Bild: Pablo Picassos 1907 vollendetes Schlüsselwerk der Moderne Les Demoiselles d’Avignon (New York, Museum of Modern Art). Es zerstörte nicht nur radikal alle bisherigen Sehgewohnheiten, es bot über alle Provokation hinweg auch die programmatische Möglichkeit, innovative Formprobleme anzugehen. 1907 lernte Picasso Georges Braque kennen. Dieser stellte 1908 in der Pariser Galerie Kahnweiler geometrisch vereinfachte Bilder aus, für die ein Kritiker die Bezeichnung »Cubes« verwendete. Der Kubismus hatte seinen Namen gefunden.

      Der bis 1912 dauernde sogenannte »Analytische Kubismus« verschmolz in einer von mehreren Seiten zugleich gebotenen Ansicht der Dinge Form und Raum zu einem System aus Facetten, das das Gegenständliche schon weitgehend auflöste und abstrahierte. An die Stelle früherer Perspektivik trat ein Gefüge einander sich durchdringender und überschneidender Flächen. Die Farbe verzichtete auf atmosphärische Wirkungen und beschränkte sich auf eine braun-grau-blaue Grundskala. 1911 fügten Picasso und Braque auch Zahlen, Wortfragmente usw. in ihre Kompositionen ein.

      Die Fortsetzung des analytischen, der »Synthetische Kubismus«, begann 1912. Seine wichtigste Innovation betraf die Anwendung der Collage: Braque klebte 1912 erstmals ein »papier collé«, ein Tapetenstück, als Realitätsfragment in ein Früchtestillleben ein. Die mit Abstand wichtigsten Künstler, die inzwischen zu den Kubisten gestoßen waren, sind Juan Gris und Fernand Léger.

      Schon 1911 war jedoch eine weitere Version des Kubismus ins Leben getreten, der Orphismus von Robert Delaunay. Der für die Klassische Moderne so immens einflussreiche Delaunay ging vom Kubismus aus, doch störte ihn das Marginale der Motive, an denen dessen Formzersplitterung exemplifiziert wurde. Ihn zogen die Bewegungsstrukturen der Großstadt, ihre Simultaneität, das elektrische Licht, neue Zeit- und Raumperspektiven in Bann, die er in eine dynamische, exquisite, zunehmend abstrahierte Farbmalerei einfließen ließ.

      DER FUTURISMUS (1909ff.)

      Auch der italienische Futurismus liebte die Straße, die Stadt, das elektrische Licht, die Rasanz des modernen Verkehrs; für die künstlerische Umsetzung bedienten sich die Futuristen eines dynamischen Linienstakkatos, der Simultaneität der gezeigten Sujets und Ereignisse sowie der Durchdringung der Bildebenen. Durch diese sollte zu den drei räumlichen Dimensionen die Dimension der Zeit hinzutreten.

      1909 hatte der Dichter Filippo Tommaso Marinetti in der Pariser Zeitung »Le Figaro« das »Manifest des Futurismus« veröffentlicht, das unter anderem den Krieg – »diese einzige Hygiene der Welt« – verherrlicht. Die fünf stärksten künstlerischen Talente, die die Position der futuristischen Malerei vertraten, waren Umberto Boccioni, Carlo Carrà, Luigi Russolo, Giacomo Balla und Gino Severini. Formal lehnten sich die Futuristen an die analytische Dingzerlegung des Kubismus an, farblich huldigten sie dem Divisionismus (Pointillismus). Ehe der Futurismus zur Zeit Mussolinis peinlich verödete, hatte er sich, seit 1912, als eine der einflussreichsten Strömungen über ganz Europa verbreitet und zum Beispiel in Russland um 1913 kurzfristig den sogenannten Kubo-Futurismus (Rayonismus) entstehen lassen.

      DIE GEOMETRISCHE UND DIE »PHILOSOPHISCHE« ABSTRAKTION

      (CA. 1913ff.)

      Die frühe Moderne erlebte eine Reihe von sehr unterschiedlich benannten und international verflochtenen Strömungen, die das Kunstwerk nicht mehr länger als individuelle und subjektive Schöpfung behandeln wollten, sondern als Resultat eines kollektiven Werkgedankens in Analogie zur industriellen Produktion. Kreatives Leitbild war nicht der Künstler, sondern der Ingenieur. Die Strategien in den einzelnen Ländern waren unterschiedlich, das ersehnte »konstruktivistische«, abstrakt-geometrische Ziel jedoch relativ identisch. Als 1917 die Revolution den Sieg über den Zarismus davongetragen hatte, beteiligten sich die russischen Avantgardekünstler, wie Wladimir Tatlin, mit Emphase am Aufbau einer neuen Ordnung, und über El Lissitzky beeinflusste der russische den gesamten europäischen Konstruktivismus und nicht zuletzt das deutsche »Bauhaus«.

      Ebenfalls in Russland entstand um 1913 auf Initiative Kasimir Malewitschs der »Suprematismus«. Anders als der Konstruktivismus wollte hier das geistige Prinzip der Erfahrung, die geistige Durchdringung der Welt mithilfe der Ästhetik die Oberhand (Suprematie) über ein rein utilitaristisches Gestalten, über industrielle Fertigung und über jeglichen Produktfetischismus triumphieren.

      Die 1917 gegründete holländische »Stijl«-Bewegung war nicht weniger philosophisch universalistisch ausgerichtet als Malewitsch und sein Suprematismus. Die führende Gestalt der Gruppierung war der ebenso wie sein russischer Kollege von esoterischen Ideen erfüllte Piet Mondrian, der die Malerei auf eine elementare kosmologische Harmonie zurückführen wollte, indem er nur gerade Linien, die Vertikale und Horizontale, den rechten Winkel, sowie die Primärfarben Blau, Rot und Gelb und die Nichtfarben Schwarz und Weiß gelten ließ. Der Einfluss von Mondrians »Neoplastizismus« und der damit nicht in jedem Punkt konformen »Stijl«-Bewegung (vor allem auch die Auswirkungen der Kunst Theo van Doesburgs) wirkte sich hauptsächlich auf die Architektur der 20er-Jahre aus.

      1919 gründete der Architekt Walter Gropius das »Bauhaus« in Weimar (1925 nach Dessau, 1932 nach Berlin verlegt, von den Nazis aufgelöst). Inspiriert vom anonymen Gemeinschaftswerk mittelalterlicher Bauhütten, sollte eine Synthese von Architektur, bildender Kunst und Handwerk vollzogen werden. Hochrangige Künstler unterschiedlichster Sparten wurden deshalb hier als Lehrer zusammengezogen, stilistisch herrschte die geometrische