schon auf der Penne den ›Detektiv‹. Du hast es also schon bis zum Kommissar gebracht?«
»Und du scheinst auch Karriere gemacht zu haben«, bemerkt Reimund stirnrunzelnd.
Eine Viertelstunde geben sie sich ganz den Erinnerungen hin, und oftmals klingt herzhaftes Männerlachen auf.
Dann wird Reimund ernst und fragt sachlich: »Du hast den Großindustriellen Hubert Stücker auf deiner Station liegen? Kannst du mir einige Auskünfte geben?«
Sofort ist Romberg hellwach, ja seine Züge verändern sich schlagartig, werden ernst und gesammelt.
»Schwerer Fall. Schädelbasisbruch«, gibt er zur Antwort.
Reimund wirft einen raschen Blick auf Romberg, dann blickt er auf sein Notizbuch. »Er war betrunken?«
»Das weiß ich nicht«, entgegnet Romberg schnell und wahrheitsgemäß. »Du weißt, wie das bei so schweren Operationen ist. Da muß alles schnell gehen. Man hatte alles vorbereitet, als ich den Operationssaal betrat. Mich interessierte nur die Wunde.«
»Verstehe ich.« Reimund denkt einige Augenblicke nach. »Aber vielleicht kannst du dich erkundigen?«
»Das wollte ich dir eben vorschlagen. Frau Doktor Sanders hat mir assistiert und alles vorbereitet. Sie weiß das ganz sicher. Moment, ich rufe sie herbei –«, er unterbricht sich, »das heißt, wenn ich sie noch im Hause finde. Ihr Dienst ist beendet.«
»Versuche es bitte.«
Romberg tritt an den Hausapparat heran und wählt eine Nummer. Er wartet. Als sich niemand meldet, legt er den Hörer auf.
»Ist nicht mehr im Hause, Julian, tut mir leid.«
»Dann vielleicht morgen, Wolfram.« Der Kommissar erhebt sich. »Komische Sache, dieser Unfall. Ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, daß sich der Mann in Gesellschaft befunden hat. Ich kann mich auch irren.« Er hebt ratlos die Schultern. »Na, mal weitersehen. Bis morgen, Wolfram.«
Er reicht Romberg die Hand. Sie fühlt sich eiskalt an. Auch die Farbe hat er gewechselt. Reimund betrachtet den Arzt besorgt.
»Du scheinst mir übermüdet, alter Junge.« Er lacht leise, unterdrückt und unbefangen auf. »So ein Nachtdienst hat es meist in sich. Kenne ich. Also, Wolfram, gute Nacht.«
Romberg begleitet den sympathischen Kriminalbeamten bis zum Ausgang. Er steht noch unter der überdachten Auffahrt, als die kräftige Gestalt Reimunds längst verschwunden ist.
Blitzartig werden ihm die Zusammenhänge klar.
Dr. Freytag war in Stückers Wagen. Deshalb seine Beschuldigung: »Ich habe ihn umgebracht.« Vielleicht hat er selbst am Steuer gesessen? Betrunken war er auch! Er sieht das jammervolle Bild Freytags wie eine Vision vor sich. Die blutende Wunde über der Nase, das wirre Haar, das todblasse Gesicht, die glasigen Augen.
Er wird einfach nicht fertig mit den Stückers.
Der Name verfolgt ihn heute förmlich.
Mein Gott! Freytag ist erledigt, wenn das bekannt wird. Was wird der Professor dazu sagen?
Tiefbekümmert sucht er sein Zimmer auf, das ihm für die Zeit des Nachtdienstes zur Verfügung steht. Es ist leer. Nur die kleine Lampe brennt noch. Der Kaffeetisch ist abgeräumt. Und etwas von dem Duft der Ärztin, dezent und angenehm, liegt noch in der Luft.
Wie zerschlagen läßt er sich nieder.
Was soll er tun? In seine Hand ist es gegeben, Freytag zu schonen. Bilder ziehen an ihm vorüber. Er denkt an die liebevoll besorgte Mutter Freytags, die sich das Studium des Sohnes buchstäblich vom Munde abgespart hat, bis Christiana die glänzende Partie machte. Es ist alles getan worden, damit Martin Freytag Medizin studieren konnte. Vielleicht hat Christiana sogar des Bruders wegen den reichen Stücker geheiratet?
Daß Freytag betrunken und verspätet zum Nachtdienst erschienen ist, ist eine interne Angelegenheit des Krankenhauses, die notfalls nicht einmal der Professor zu erfahren braucht. Daß er aber, so wie er im Augenblick die Sache übersehen kann, bei dem Unfall Stückers dabei war und sich der Verantwortung durch Flucht entzogen hat, das kann Martin Freytag Kopf und Kragen kosten. In diesem Falle wäre er als Arzt erledigt.
Aber – ist es auch so?
Romberg findet keine Ruhe. Er springt auf und beginnt eine ruhelose Wanderung. Hin und her überlegt er, und immer wieder kommt er zu dem einen Gedanken zurück:
Ich muß mir Gewißheit verschaffen! Ich muß wissen, was los ist!
Doktor Romberg sucht Zimmer 22 auf, gibt der wachenden Schwester einen Wink und nimmt deren Platz ein.
Stundenlang verharrt er, tief in Gedanken versunken.
*
Auch Christiana Stücker hat in dieser Nacht keinen Schlaf bekommen. Gegen morgen erhebt sie sich aus ihrer unnatürlichen Starre, nimmt ein erfrischendes Bad und hüllt sich in einen leichten, langfließenden Morgenrock.
Dann geht sie, was sie selten tut, in die Küche und bestelIt sich starken Kaffee.
Das Mädchen deckt ihr in ihrem Zimmer am Fenster den Tisch, aber Christiana nimmt nur schluckweise den Kaffee zu sich.
Sie wartet und wartet und weiß nicht auf was. Manchmal steht sie auch auf und geht ein paarmal im Zimmer umher. Aber es treibt sie wieder zurück an ihren Fensterplatz.
Und dann weiß sie plötzlich, auf was sie gewartet hat. Sie sieht einen hochgewachsenen Mann im hellgrauen Anzug die Auffahrt heraufkommen. Ganz langsam geht er und sieht sich aufmerksam in dem parkähnlichen Garten um. Über die Fassade des modernen Wohnhauses geht sein Blick, und dann verschwindet er unter dem überdachten Eingang.
Christiana steht mitten im Zimmer, die Hand auf das Herz gepreßt, als ihr Doktor Romberg gemeldet wird.
»Ich lasse bitten.«
Romberg folgt dem Mädchen auf dem Fuße. Er wartet, bis hinter ihm die Tür ins Schloß fällt, dann geht er Christiana entgegen.
»Guten Morgen, gnädige Frau.«
»Wolfram – du?« Sie beginnt zu zittern. Sein Gesicht trägt einen unheilverkündenden Ausdruck. »Was gibt es? Ist – etwas mit meinem Mann?«
Warum zittert sie? durchzuckt es ihn. Sorgt sie sich um ihren Mann? Ist doch noch etwas von Gefühl in ihr, dem Manne gegenüber, der sie aus Armut, Not und Entbehrung geholt hat?
»Ihrem Gatten geht es den Verhältnissen entsprechend gut. Ich werde ihn im Laufe des Vormittags noch einmal röntgen müssen. Dann werden wir weiter sehen. Mein Besuch gilt Ihrem Bruder.« Seine Stimme klingt ruhig und sachlich. »Ich vermute ihn bei Ihnen. Das stimmt doch?«
»Willst du nicht Platz nehmen, bitte!« Sie weist auf den Sessel ihr gegenüber. »Ich werde meinem Bruder Bescheid sagen lassen.«
»Moment!« Er hält sie am Arm zurück. »Bitte, zeigen Sie mir den Weg zu ihm. Meine Zeit ist kurz bemessen.«
Sie sieht ihn groß und anklagend an. Mit stoischer Ruhe bleibt er beim »Sie« und einmal –?
Sie holt tief Atem. Es klingt wie unterdrücktes Schluchzen. Sie hat sich aber ganz fest in der Hand.
»Bitte!« fordert sie ihn tonlos auf und geht ihm voran, über den breiten, teppichbelegten Korridor, an dessen Ende sie eine Tür öffnet. Sie wendet sich Romberg zu. »Ich darf doch bei der Unterredung dabei sein?«
Er überlegt kurz. »Was ich mit Ihrem Bruder zu sprechen habe, geht eigentlich nur uns beide etwas an. Aber, wenn Sie es wünschen.«
»Ja – ich bitte darum«, fällt sie ihm rasch ins Wort, und sie treten ein.
Romberg bleibt nahe der Tür stehen. Noch liegt ein Dunst von Alkohol im Zimmer. Christiana wirft rasch die Gardinen zur Seite und öffnet die Fenster. Sonne und frische Luft dringen ein, und Romberg kann die Einrichtung des Zimmers erkennen. Es ist ein sehr luxuriös ausgestatteter Raum. Glänzende