Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman


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Assistenzarzt mit einem dürftigen Gehalt? Und das alles durch die Güte des Mannes, der schwerverletzt in seinem Krankenhaus liegt.

      Sein Mund verzieht sich verächtlich, als er bemerkt, wie sich Christiana viel Mühe gibt, ihren Bruder wach zu bekommen.

      Endlich richtet er sich auf, blickt verstört um sich. Sie rüttelt ihn an den Schultern vollends wach.

      »Martin, mein Gott, hörst du denn nicht? Doktor Romberg ist da und will mit dir sprechen.«

      »Wie – bitte –?« Mit beiden Händen fährt er sich durch das wirre Haar, und da entdeckt er die reglose Gestalt nahe der Tür. Im Nu ist er hellwach. »Hol mir den Bademantel«, raunt er Christia-na zu, und diese fliegt beinahe davon, kehrt sofort zurück und wirft den Mantel auf sein Bett.

      »Augenblick«, murmelt Freytag.

      Romberg durchmißt das Zimmer und stellt sich an das geöffnete Fenster, ihm somit Zeit lassend, sich etwas zu erfrischen.

      »Wollen Sie nicht doch Platz nehmen?« hört er Christiana leise sagen. Sie hat jetzt auch eine Mauer gegen ihn aufgerichtet. Sie fühlt, von ihm kommt Unheil. Sie muß wachsam sein, sehr wachsam. Noch weiß sie nicht, um was es geht.

      Langsam, zögernd läßt Romberg sich nieder, und da kehrt Martin aus dem Bad zurück. Er ist bleich. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn. Er blickt verstört von seiner Schwester zu Romberg. Manchmal gleitet sein Blick ab und sucht seinen Schreibtisch. Aber der Weg dorthin ist ihm versperrt.

      »Ich hatte heute nacht noch interessanten Besuch, Freytag«, beginnt Romberg ruhig und sachlich. »Kommissar Reimund von der Kriminalabteilung war bei mir.«

      »Nein –!« Christiana hat es beinahe geschrien.

      Romberg überhört ihren Einwurf. Er neigt sich etwas vor. »Man vermutet, daß Ihr Schwager nicht allein im Wagen gesessen hat, Freytag. Es käme Fahrerflucht in Frage, zumindest aber hätte ein Arzt, der sein Begleiter war, pflichtvergessen gehandelt. Er wäre erledigt. Wollen Sie nicht die Wahrheit sagen, Freytag?«

      Freytag spürt, wie ihm die Knie weich werden. Er wirft einen hilfeflehenden Blick nach seiner Schwester, und diese hat sofort begriffen. Sie greift ein.

      »Wolfram«, spricht sie in höchster Erregung. Sie hat die Hände um die Lehne gekrampft, so daß die Knöchel weiß hervortreten. »Wenn es so wäre, könntest du Martin vernichten wollen?« »Ich will nur die Wahrheit wissen«, sagt Romberg hartnäckig. »Die Polizei kommt heute wieder zu mir. Ich werde der Gerechtigkeit niemals in den Arm fallen.« Er richtet das Wort direkt an Freytag, der sich den Schweiß von der Stirn wischt. »Wie war das, Doktor Freytag?« fragt er streng.

      Merkwürdig! Er empfindet keinerlei Mitleid mit diesem Mann, den er noch nie in so jammervoller Verfassung gesehen hat, außer in der vergangenen Nacht. Aber er sieht eine zarte Frau vor sich, eine liebevolle und ewig besorgte Mutter, die auch ihm stets mütterlich begegnet ist und vor der er die allergrößte Hochachtung empfindet.

      »Ja – ich war im Wagen – ich – ich habe ihn sogar gesteuert – und –« Freytag sinkt in den nächsten Sessel. Er ist völlig kraftlos. Die Worte hat er sich förmlich abgerungen.

      »Sie werden sich dafür verantworten müssen, Doktor Freytag. Ist Ihnen das klar?« Rombergs helle Augen ruhen ernst auf den zuckenden Zügen des jungen Arztes.

      »Ja!« flüstert er.

      »Nein – nein!« Christiana steht vor Romberg und packt ihn an den Oberarmen. »Du darfst Martin nicht vernichten, Wolfram. Er wäre doch als Arzt erledigt. Hubert ist schwer verletzt, sein Leben hängt an einem Faden. Wenn nun – wenn nun dieser Faden reißt? Wem wäre damit geholfen? Er würde nicht mehr lebendig. Wolf, bitte, ich flehe dich an, denke an meine Mutter.«

      Romberg schließt die Augen. Er sieht sie deutlich vor sich, die zierliche Frau mit den ewig ängstlichen blauen Augen.

      Er richtet sich steil auf. »Eine seltsame Ehrauffassung haben Sie, gnädige Frau. Ich sehe nun klar und werde den Dingen ihren Lauf lassen. Ich möchte mich verabschieden –« Mit einer knappen Verbeugung gegen beide, die wie gelähmt sind, geht er zur Tür. Noch einmal wendet er sich ins Zimmer. »In einer Stunde spätestens erwarte ich Sie auf der Station.«

      »Ich bin erledigt«, murmelt Freytag und legt das Gesicht in seine Hände.

      »Feigling«, preßt Christiana außer sich hervor und hetzt davon. In ihrem Zimmer führt sie ein Telefongespräch. Sie spricht hastig, aufgeregt und trä-nenerstickt und hängt erschöpft ein.

      *

      Als Doktor Romberg das RobertKoch-Krankenhaus erreicht hat, wird er abermals überrascht.

      Im Wartezimmer, in das er gerufen wird, steht er plötzlich einer schmalen, kindhaft wirkenden Frau mit tränengefüllten Augen unter einer schlohweißen Haarkrone gegenüber.

      »Tante Freytag«, ruft er erstaunt und zugleich betroffen aus.

      Die alte Dame atmet auf. Gott sei Dank! Er erinnert sich an die Kindheit, in die ich etwas Licht getragen habe. Sie nimmt beide Hände Rombergs und drückt sie mit aller Kraft.

      »Wolfram«, stammelt sie. »Ich weiß alles. Dieses gräßliche Unglück. Mein Junge! Ich kann es nicht fassen! Die Polizei wird ihn einsperren. Er wird niemals mehr Arzt sein dürfen. Das werde ich nicht überleben, Wolf. Alles war umsonst, alle Entbehrungen, alles. Jede Hoffnung ist zerschlagen. Er war immer mein Stolz, Wolf, du weißt es. Er ist so begabt .«

      »Und leichtsinnig, Tante Freytag, sehr, sehr leichtsinnig«, wirft er, schmerzlich berührt von ihrem Verzweiflungsausbruch, dann ein. Liebevoll führt er die am ganzen Körper zitternde Frau zu einem Stuhl.

      Sie sieht aus großen Augen, aus denen unaufhaltsam die Tränen tropfen, zu ihm auf. »Und wie geht es Hubert, meinem Schwiegersohn?«

      »Leider – sehr schlecht.«

      »Wolfram!« Sie umklammert abermals seine Hände. »Du mußt ihn retten. Er darf nicht sterben. Das wäre noch viel, viel schlimmer für Martin. Nicht wahr, du wirst alles tun?«

      Doktor Romberg fühlt sich selbst wie ausgehöhlt. Zwei Frauen haben ihn angefleht. Die eine will, daß der Mann stirbt, die andere fleht um sein Leben.

      Mein Gott! In was für eine Sache ist er verstrickt? Wenn er wenigstens nicht mit seinem Herzen daran beteiligt wäre. Noch ist das Gefühl für Christiana nicht in ihm erstorben. Und die kleine verzweifelte Frau liebt er beinahe wie seine eigene Mutter, die er nicht gekannt hat.

      Wo gibt es aus diesem Wirrwarr einen Ausweg? Er strafft sich! Warum zögert er nur einen Augenblick? Für ihn gibt es nur den Weg der Pflicht – sonst nichts!

      Liebevoll weich klingt seine Stimme: »Ich werde alles für Hubert Stücker tun, dazu bin ich schon als Arzt verpflichtet. Aber wir können keine Wunder vollbringen, Tante Freytag. Beruhigt dich das etwas? Nichts wird unversucht gelassen, dieses Menschenleben zu retten.«

      »Und was geschieht mit Martin? Wirst du Martin der Polizei ausliefern?«

      Seine Züge nehmen einen gequälten Ausdruck an. »Ich hoffe, daß Martin selbst soviel Mut hat, sich zu seiner Tat zu bekennen.«

      »Oh, mein Gott!« weint sie auf.

      Sacht streicht Romberg über ihren gesenkten Kopf und schrickt zusammen, als eine der Schwestern erscheint.

      »Der Patient auf Zimmer 22«, flüstert sie Romberg zu. »Doktor Müller läßt Sie bitten, sofort zu kommen.«

      Hilflos blickt Romberg auf seine Besucherin.

      Sie weiß nicht, um was es sich handelt. »Geh, Wolfram. Darf ich noch warten? Ich hätte dir noch einiges zu sagen. Ich habe Zeit.«

      Unschlüssig steht er vor ihr, nickt dann und verläßt eilig nach der Schwester das Zimmer.

      Im Vorbeigehen holt er sich seinen weißen Kittel aus dem Ärztezimmer. Schwester Greta hilft ihm, hineinzuschlüpfen, und dann eilt er hastig vorwärts. Seit Stunden ist er