Daß er tilge die Stadt und den Tempel von Erden
Und pflüge die Straßen Jerusalems.
DIE MUTTER:
Irrwitz und Frevel! Ewig währet Jerusalem!
JEREMIAS:
Es fällt!
Was Gott berennet,
Hat nicht Bestand!
Von untenher
Werden dorren seine Wurzeln,
Und von obenher
Geschnitten seine Frucht!
Mit der Axt und dem Brande
Wird der Reisige roden
Israels Forst und Zions Gefild.
DIE MUTTER (ausbrechend):
Es ist nicht wahr!
Du lügst! Du lügst!
Nie wird ein Feind diese Stadt umwallen,
Nie Zion zittern, nie Davids Burg fallen!
Und wenn der Feind von den Enden der Erde käm,
Ewig werden die ragenden Mauern,
Ewig die Herzen Israels dauern,
Ewig währet Jerusalem!
JEREMIAS:
Es stürzet! Gebrochen ist der Stab und gezeichnet die Stunde! Das Ende nahet, Israels Ende!
DIE MUTTER:
Gottesleugner! Gottesleugner! Des Herrn Erwählte sind wir und werden dauern über die Zeiten! Nie vergehet Jerusalem!
JEREMIAS:
Ich habe es geschauet in meinen Träumen, offenbar ward es meinen Gesichten!
DIE MUTTER:
Frevler, wer so träumet, und Frevler siebenfach, wer glaubt solchen Träumen! Wehe, wehe, daß ichs erlebe, mein eigen Blut zaget an Zion und zweifelt des Herrn! Jeremias, Jeremias, willst du, daß mir zum Abscheu werde mein Schoß?
JEREMIAS:
Wider Willen kam mir das Grauen, nicht vermag ich zu wehren den Gesichten.
DIE MUTTER:
Halte dich wach im Gebet wider sie, und an dem Namen des Herrn zerschellet ihr Trug. Jeremias, besinne dich: eines Gesalbten Sohn bist du und geweiht, daß deine Stimme lobsinge dem Herrn, daß sie erhebe die Herzen der Zagenden und mit Mut fülle der Verstöreten Sinn!
JEREMIAS:
Wie kann ichs, wie kann ichs! Selbst bin ich der Verstörteste aller! Laß ab von mir, Mutter, laß ab!
DIE MUTTER:
Ich lasse nicht dein und nicht deine Seele dem Zweifel. Jeremias, mein einzig Kind, höre mich an! Geheimes künde ich dir zum erstenmal, daß erwache dein Herz. Höre mich, die ich zu dir rede aus meiner Not. Auch ich war eine Verzagete einst, denn zehen Jahre verschloß der Herr meinen Schoß. Spott ward ich den Gefährtinnen und der Kebsen Gelächter. Zehen Jahre trug ich es duldend und zagete schon, aber im elften entbrannte mein Herz, und ich ging in Gottes Haus, daß Er Frucht schenke meinem Schoß.
JEREMIAS:
Zum erstenmal kündest du dies ... zum erstenmal.
DIE MUTTER:
Und ich warf mich zur Erde und tränkte sie mit meinen Tränen und gelobete: so ein Sohn mir geschenkt sei, ihn zu weihen dem Herrn. Ich gelobete zu schweigen und kein Wort zu tun vom Munde in meiner schweren Zeit, daß ihm dereinst der Rede Fülle sei, zu lobpreisen den Gott.
JEREMIAS:
Mich gelobet ... Mutter!... auch du ... auch du ...
DIE MUTTER:
Selbigen Tages erkannte dein Vater mich, und ich ward dein gesegnet. Jeremias, höre, Jeremias, neun Monde begrub ich getreu die Stimme in meinem Leibe, daß dir alle Fülle des Wortes sei, daß du Lobkünder werdest des ewigen Gottes! So lösete ich mein Wort, und wir zogen dich auf, daß du lerntest die Schrift, und lieblich klang deine Stimme zum Psalter. Jeremias, nun weißt du: zum Priester bist du geweiht von Anbeginn und zum Lobkünder des Herrn. Zerreiß deiner Träume Netz und tritt in den Tag.
JEREMIAS:
Oh, zwiefach Gelöbnis, Mutter, oh, zwiefach Zeugnis dieser Nacht. Zum andern Male hast du mich erwecket dem Leben, ein Wissender bin ich worden an deinem Wort, denn wundersam: ich schrie auf meine Frage zu Gott, und er entsandte dich mir zur Rede! Oh Geheimnis dieses Wegs, oh Stachel der Träume, der mich aufstieß, oh Lockung der Bilder, die mich weckten, oh trefflicher Jäger, der nicht fehlet! Nun weiß ich, wer geschlagen an meines Schlafes Wand, bis ich aufstund von meines Lebens Schlummer, nun weiß ich, wer drängete meine Säumnis, nun weiß ich, wer mich gefordert ...
DIE MUTTER:
Was ward dir! Wie eines Trunkenen gehet deine Rede ...
JEREMIAS:
Ja, trunken bin ich nun der Gewißheit seines Willens und so voll der Rede, daß mich der Odem in meinem Innern ängstet. Die Siegel sind gebrochen meines Mundes, und mir brennet die Lippe der Verkündung ...
DIE MUTTER:
Wehe, wenn du sie kündest deine Träume, die verruchten! Mein Sohn bist du nicht, schreist du aus solchen Wahn!
JEREMIAS:
Dein Sohn, Mutter? Oh, wie sehr bin ich dein Sohn, wie dir gleich im Geschehen! Wisse, auch ich bin ein Unfruchtbarer gewesen, und Er hat mir ein Wort gezeuget und ein Geheimnis. Erneut habe ich, Mutter, dein Wort, auch ich habe mich ihm gelobet ...
DIE MUTTER:
So tritt hin in sein Haus, daß du ihm opferst, der dich erweckte, daß du lobpreisest seinen Namen!
JEREMIAS:
Nein, Mutter, nicht Opferers Dienst hab ich genommen – selbst will ich das Opfer sein. Ihm bluten entgegen meine Adern, ihm brennet mein Fleisch, ihm flammet meine Seele. Ich will ihm dienen, wie keiner gedient, seine Wege sind meine Wege nunab. Oh, siehe, schon morgents im Tale, und auch in mir war es Tag aus den Dunkelheiten! Sein Himmel brennet in Feuer, und auch mir entbrannte das Herz. Oh, Wagen Elias, auffahrend im Feuer, reiß mit meine Rede, daß sie niederstürze wie Donner in der Menschen Tag! Wehe, mir brennet die Lippe schon, fort, ich muß fort ...
DIE MUTTER:
Wohin willst du vor Tag?
JEREMIAS:
Ich weiß nicht, Gott weiß es.
DIE MUTTER:
Doch sage, was planest du?
JEREMIAS:
Ich weiß nicht, ich weiß nicht! Sein ist mein Herz, sein ist die Tat!
DIE MUTTER:
Jeremias, ich lasse dich nicht, du schwörest mir denn, daß du verschweigst deine Träume ...
JEREMIAS:
Ich schwöre nicht! Ihm allein bin ich verschworen!
DIE MUTTER:
... daß du nicht kündest Schrecknis vor dem Volke.
JEREMIAS:
Sein ist die Verkündung, mein nur die Lippe!
DIE MUTTER:
Wehe, du fliehest mein Wort! So höre und wisse: wer ausgehet Zweifel zu säen in Israel, geht nicht mehr ein in mein Haus.
JEREMIAS:
Sein ist mein Wort, sein meine Hausung.
DIE MUTTER:
Wer nicht glaubet an Zion, ist nicht mehr mein Sohn!
JEREMIAS: