Wilkie Collins Collins

Der Mondstein (Ein Wilkie Collins-Krimi)


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und leichtlebigste Mensch, den es geben konnte. Er liebte alle Menschen, und alle Menschen liebten ihn; welche Chancen konnte wohl Herr Franklin, welche Chancen konnte irgend Jemand von gewöhnlichem Ruf und gewöhnlichen Fähigkeiten gegen einen solchen haben?

      Am vierzehnten traf Herrn Godfrey’s Antwort ein.

      Er nahm Mylady’s Einladung für die Tage vom Mittwoch, dem Geburtstage, bis zum Freitag Abend an, wo ihn seine Pflichten gegen mildthätige Damen nöthigen würden, wieder in London zu sein. Er übersandte zugleich ein Gedicht auf das »Wiegenfest« seiner Cousine, wie er sich elegant ausdrückte. Fräulein Rachel machte sich, wie ich erfuhr, bei Tisch mit Herrn Franklin über die Verse lustig, und Penelope, die entschieden Partei für diesen Letzteren genommen hatte, fragte mich mit triumphirender Miene, was ich davon denke. »Fräulein Rachel,« antwortete ich, »hat Dich auf eine falsche Fährte geführt, ich lasse mich aber nicht so leicht irre leiten. Watte nur bis Herr Ablewhite in Person seinen Versen auf dem Fuße folgt.« Meine Tochter erwiederte, Herr Franklin werde vielleicht sein Glück schon mit Erfolg versucht haben, noch ehe der Dichter seinen Versen folge. Zu Gunsten dieser Ansicht sprach, wie ich zugeben muß, daß Herr Franklin kein Mittel unversucht ließ, Fräulein Rachel’s Neigung zu gewinnen.

      Obgleich er einer, der eingefleischtesten Raucher war, der mir je vorgekommen ist, gab er sofort das Rauchen auf, als sie eines Tages geäußert hatte, daß sie den Tabaksgeruch in seinen Kleidern nicht leiden könne. Er schlief in Folge dieses Aufgebots von Selbstverleugnung, in Ermangelung der beruhigenden Wirkung des Tabaks, an die er gewöhnt war, so schlecht und sah Morgens, wenn er hinunter kam, so elend und übermüde aus, daß Fräulein Rachel selbst ihn bat seine Gewohnheit des Rauchens wieder aufzunehmen. Aber nein! er wollte nichts thun, was ihr nur im Mindesten unangenehm wäre, er wollte entschlossen dagegen ankämpfen und erklärte, er werde seinen Schlaf schon früher oder später durch geduldiges Abwarten wiedererlangen.

      Eine solche Hingebung, wird man vielleicht sagen (wie Einige in den unteren Regionen des Hauses auch thaten), konnte in Verbindung mit der täglichen Dekorations-Arbeit an der Thür unmöglich ihre rechte Wirkung auf Fräulein Rachel verfehlen. Das mochte sein, aber sie hatte in ihrem Schlafzimmer eine Photographie von Herrn Godfrey, die ihn darstellte, wie er sich bei einer öffentlichen Versammlung durch seine eigene Beredtsamkeit athemlos gemacht hatte und mit seinen höchst freundlichen Augen den Leuten das Geld aus der Tasche Zauberte.

      Was sagen meine Leser dazu? Jeden Morgen, wenn meine Tochter Fräulein Rachel das Haar machte, sah, wie Penelope mir selbst gestanden hat, der Mann, den die Damen nicht entbehren konnten, im Bilde zu. Nach meiner Ueberzeugung sollte er bald die Stelle des Bildes einnehmen und in leibhaftiger Gestalt zusehen.

      Der sechszehnte Juni führte ein Ereigniß mit sich, welches nach meiner Meinung Herrn Franklin’s Chancen noch geringer machte, als sie schon zuvor waren.

      Ein sonderbarer Herr, der mit einem ausländischen Accente Englisch sprach, verlangte an jenem Morgen Herrn Franklin Blake in Geschäften zu sprechen. Das Geschäft konnte unmöglich etwas mit dem Diamanten zu thun haben, und zwar aus folgenden beiden Gründen: erstens, weil Herr Franklin mir nichts darüber mittheilte, und zweitens, weil er dagegen, nachdem der fremde Herr fortgegangen war, statt meiner Mylady eine Mittheilung darüber machte. Wahrscheinlich äußerte sie dann Etwas darüber gegen ihre Tochter. Wenigstens soll Fräulein Rachel an jenem Abend am Clavier Herrn Franklin harte Dinge über die Leute, unter denen er im Auslande gelebt und die Principiem die er daselbst angenommen, gesagt haben. Am nächsten Tage wurde zum ersten Male das Decoriren der Thür eingestellt.

      Ich argwöhne, daß Herr Franklin an den Folgen einer auf dem Continent begangenen Unvorsichtigkeit mit Frauen oder einer dort contrahirten Schuld laborirte. Aber ich muß mich dabei aus Vermuthungen beschränken. Bei dieser Gelegenheit ließ mich nicht nur Herr Franklin, sondern merkwürdiger Weise auch Mylady im Dunkeln.

      Am siebzehnten verzog sich allem Anscheine nach die Wolke wieder. Sie nahmen ihre Decorations-Arbeit an der Thür wieder auf und schienen wieder so gute Freunde zu sein, wie zuvor. Wenn man Penelope glauben durfte, so hatte Herr Franklin die Gelegenheit seiner Versöhnung mit Fräulein Rachel ergriffen, ihr einen Antrag zu machen den sie weder angenommen noch abgelehnt habe. Meine Tochter hielt sich durch gewisse Anzeichen, mit denen ich den Leser nicht zu behelligen brauche, fest überzeugt, daß ihre junge Herrin Herrn Franklin mit der Erklärung habe ablaufen lassen, daß sie nicht an den Ernst seines Antrags glaube und dann im Geheimen ihr Benehmen gegen, ihn bereut habe. Obgleich Penelope mit ihrem Fräulein auf vertrauterem Fuße stand, als Kammermädchen sonst mit ihren Damen zu stehen pflegen —— denn die Beiden waren fast wie Geschwister zusammen auferzogen —— so kannte ich doch Fräulein Rachel’s reservirtes Wesen zu gut, um zu glauben, daß sie irgend Jemandem ihre wahre Gesinnung würde verrathen haben. Was meine Tochter mir bei dieser Gelegenheit erzählte, war, wie ich vermuthet hatte, mehr was sie wünschte, als was sie wirklich wußte.

      Am neunzehnten trug sich ein anderes Ereigniß zu. Wir hatten den Arzt im Hause. Er war gerufen, um einer Person, mit der ich den Leser bereits bekannt gemacht habe: unserem zweiten Hausmädchen Rosanna Spearman, etwas zu verschreiben. Dieses arme Mädchen, das mich bereits, wie sich der Leser erinnert, bei dem Zitterstrande in Verlegenheit gesetzt hatte, bereitete mir in der Zeit, von der ich jetzt rede, verschiedene Male neue Verlegenheiten. Penelope’s Idee, daß das Hausmädchen in Herrn Franklin verliebt sei (welche meine Tochter auf meinen Befehl ganz für sich behielt), schien mir noch immer eben so absurd, wie zu Anfang. Aber ich muß gestehen, daß Alles, was ich selbst und meine Tochter von dem Benehmen unseres zweiten Hausmädchens sahen, gelinde zu sagen, mysteriös zu werden anfing. So zum Beispiel trat das Mädchen Herrn Franklin beständig in den Weg, zwar sehr ruhig und vorsichtig, aber sie that es doch. Er nahm ungefähr so viel Notiz von ihr, wie von einer Fliege: niemals schien er auch nur einen Blick für Rosanna’s häßliches Gesicht übrig zu haben. Der Appetit des armen Geschöpfes, der nie groß war; nahm in erschreckender Weise ab und ihre Augen zeigten Morgens deutliche Spuren einer durchwachten und durchweinten Nacht. Eines Tages machte Penelope eine sonderbare Entdeckung welche wir aus der Stelle vertuschten. Sie ertappte Rosanna dabei, wie sie von Herrn Franklin’s Toilettetisch eine Rose, welche Fräulein Rachel ihm gegeben hatte, um sie im Knopfloche zu tragen, wegnahm und eine andere Rose, die sie selbst gepflückt hatte, dafür hinlegte. Nachdem war sie ein- oder zweimal impertinent gegen mich, als ich ihr einen wohlgemeinten Wink gab, vorsichtig in ihrem Betragen zu sein, und, was noch schlimmer, sie zeigte sich bei den wenigen Gelegenheiten, wo Fräulein Rachel mit ihr sprach, nicht besonders respectvoll.

      Mylay, bemerkte diese Veränderungen in ihrem Wesen und fragte mich, was ich davon denke. Ich versuchte es, das Mädchen zu entschuldigen, indem ich antwortete, ich glaube, sie sei kränklich, und die Sache endete damit, daß am neunzehnten, wie bereits erwähnt, nach dem Doctor geschickt wurde. Er erklärte sie für nervenleidend und äußerte seine Bedenken, ob sie zum Dienen gemacht sei. Mylady erbot sich, sie zum Zwecke eines Luftwechsels auf einen unserer Pachthöfe im Innern des Landes zu schicken. Sie bat und flehte unter Thränem bei uns bleiben zu dürfen, und in einer bösen Stunde rieth ich Mylady, es noch eine Zeitlang mit ihr zu versuchen. Wie die Folge lehrte und wie sich der Leser bald überzeugen wird, war das der schlechteste Rath, den ich hätte geben können. Wenn ich nur ein klein wenig in die Zukunft hätte sehen können, so würde ich Rosanna Spearman auf der Stelle mit eigener Hand aus dem Hause gebracht haben.

      Am zwanzigsten traf ein Billet von Herrn Godfrey ein. Er hatte seine Reise so eingerichtet, daß er die nächste Nacht in Frizinghall, wo er seinen Vater in Geschäften zu sprechen wünschte, zubringen würde. Am Nachmittage des nächsten Tages würde er mit seinen beiden ältesten Schwestern rechtzeitig zu Tisch bei uns eintreffen. Ein elegantes kleines Schmuckkästchen von Porzellan begleitete das Billet, in welchem ihr Vetter Fräulein Rachel seine besten Glückwünsche aussprach. Herr Franklin hatte ihr nur ein unbedeutendes Medaillon, das nicht halb so viel werth war, geschenkt. Nichtsdestoweniger beharrte meine Tochter Penelope —— so eigensinnig sind die Frauen —— bei ihrer Meinung, daß er den Preis davontragen werde.

      Und so sind wir endlich, dem Himmel sei Dank, bei dem Vorabend des Geburtstags angelangt! Der Leser wird mir denk’ ich, das Zeugniß geben, daß ich ihn, dieses Mal ohne mich unterwegs lange aufzuhalten, rasch an’s Ziel geführt