natürlich den Hauptanziehungspunkt in der Gesellschaft bildete.
Bei dieser Gelegenheit war sie noch ganz besonders der Mittelpunkt dem sich die Blicke Aller zuwandten; denn zu Mylady’s geheimem Verdruß trug sie ihr wundervolles Geburtstagsgeschenk, welches alles Uebrige verdunkelte, den Mondstein. Der Stein war nicht gefaßt, als er ihr übergeben wurde; aber unser Universalgenie, Herr Franklin, hatte es mittelst seiner geschickten Finger und ein wenig Silberdraht möglich gemacht, denselben als Broche an ihr weißes Kleid zu befestigen. Jedermann bewunderte die fabethafte Größe und Schönheit des Diamanten; aber die einzigen beiden Personen in der Gesellschaft, welche mehr als das ganz Gewöhnliche über den Stein sagten, waren die erwähnten beiden Gäste, welche zu beiden Seiten von Fräulein Rachel saßen. Der Gast zur Linken war Herr Candy, unser Arzt in Frizinghall. Er war ein kleiner Mann und ein angenehmer Gesellschafter, nur mit dem einzigen Fehler, daß er zu viel Geschmack zu rechter und zu unrechter Zeit an seinen eigenen Witzen fand und daß er es zu sehr liebte, sich in eine lange Unterhaltung mit Fremden zu stürzen. Er beging fortwährend große Taktlosigkeiten indem er die Leute unabsichtlich verletzte. In seiner ärztlichen Praxis war er vorsichtiger, indem ihn hier, wie selbst seine Gegner zugestanden, ein gewisser Instinkt der Discretion leitete, der ihn das Rechte finden ließ, wo sorgsamere Aerzte leicht auf eine falsche Fährte geriethen. Was er Fräulein Rachel über den Diamanten sagte, war wie gewöhnlich ein Gemisch von Scherzen und Mystificationen. Er bat sie ganz ernsthaft, im Interesse der Wissenschaft ihm zu erlauben, den Diamanten mit nach Hause zu nehmen und zu verbrennen. »Wir wollen ihn erst,« sagte der Doctor, »bis zu einem gewissen Grade erhitzen, wollen ihn dann einem Luftstrome aussetzen und allmälig verdampfen lassen. Und so ersparen wir Ihnen eine Welt voll Angst und Sorgen um die sichere Aufbewahrung eines so kostbaren Juwels.« Mylady, die mit einem sorgenvollen Ausdruck zuhörte, schien zu wünschen, daß der Doktor ernsthaft spräche und daß er Fräulein Rachel veranlassen könnte, aus wissenschaftlichem Eifer ihr Geburtstagsgeschenk zu opfern.
Der andere Gast, der an der rechten Seite meines jungen Fräuleins saß, war eine berühmte Persönlichkeit, der bekannte indische Reisende Murthwaite, der mit Lebensgefahr und in Verkleidungen in Gegenden vorgedrungen war, welche nie zuvor ein europäischer Fuß betreten hatte. Er war ein langer, hagerer, muskulöser, sonnverbrannter, schweigsamer Mann. Trotz eines Ausdrucks von Abspannung war sein Blick scharf und aufmerksam. Es hieß, er sei des ewigen Einerlei des Lebens in unserer Gegend überdrüssig und sehne sich darnach, den Wanderstab wieder in die Hand zu nehmen und in die unerforschten Länder des Ostens zurückzukehren. Ich glaube, daß er mit Ausnahme dessen, was er zu Fräulein Rachel über ihren Diamanten sagte, während des ganzen Mittagessens keine sechs Worte sprach und kein einziges Glas Wein trank. Der Mondstein war der einzige Gegenstand, der ihm das mindeste Interesse einflößte. Der Ruf desselben schien an einigen jener gefährlichen indischen Orte, wohin ihn seine Wanderung geführt hatte, zu ihm gedrungen zu sein. Nach dem er denselben so lange schweigend angesehen hatte, daß Fräulein Rachel verlegen zu werden anfing, sagte er zu ihr in seiner kühlen, ruhigen Weise: »Wenn Sie je nach Indien gehen sollten, Fräulein Verinder, so hüten Sie sich, das Geburtstags-Geschenk Ihres Onkels mitzunehmen. Ein indischer Diamant ist zuweilen ein religiöses Symbol. Mir ist eine indische Stadt und ein Tempel in dieser Stadt bekannt, wo Sie, geschmückt wie Sie in diesem Augenblicke sind, nicht fünf Minuten lang Ihres Lebens sicher sein» würden.«
Fräulein Rachel, die sich in England vollkommen sicher fühlte, amüsirte sich sehr, von einer ihr in Indien drohenden Lebensgefahr zu hören; die »Dragoner« amüsirten sich noch mehr darüber. Sie ließen ihre Messer und Gabeln auf den Tisch fallen und brachen gemeinschaftlich in den heftigen Ausruf aus: »O, wie interessant!«
Mylady wurde offenbar nervös und leitete die Unterhaltung auf einen andern Gegenstand über.
Im Verlauf des Diners wurde es mir allmälig klar, daß dieses Fest keinen so fröhlichen Fortgang nehme, wie es andere ähnliche Feste bei uns gethan hatten. Wenn ich jetzt nach Allem, was seitdem geschehen ist, an den Geburtstag zurückdenke so bin ich fast geneigt zu glauben, daß der unselige Diamant wie ein Alp auf der Gesellschaft lastete. Ich füllte die Gläser fleißig und begleitete als eine privilegirte Person weniger beliebte Speisen bei ihrem Umgang um den Tisch, indem ich den Gästen vertraulich zuflüsterte: »Bitte, kosten Sie doch einmal davon; ich bin überzeugt, es wird Ihnen schmecken.« In den meisten Fällen befolgten sie meinen Rath, wie sie freundlich bemerkten aus Achtung für ihren alten Freund Betteredge. Aber das half Alles nichts. Es entstanden peinliche Pausen in der Unterhaltung, die mich persönlich unbehaglich stimmten. Kam die Unterhaltung dann wieder einmal in Fluß, so geschah es ganz unabsichtlich in der denkbar ungeschicktesten Weise und mit sehr unangenehmen Wirkungen. So sagte z. B. Herr Candy, der Arzt, mehr unpassende Dinge, als ich je früher von ihm gehört hatte.
Hier nur ein Beispiel und meine Leser werden verstehen, was ich, dem das fröhliche Gedeihen des Festes so sehr am Herzen liegen mußte, auf meinem Posten am Buffet auszustehen hatte.
Eine der Damen unserer Gesellschaft war die würdige Mrs. Threadgall, die Wittwe des verstorbenen Professors dieses Namens. Die gute Dame sprach fortwährend von ihrem verstorbenen Manne, ohne jemals gegen Fremde zu erwähnen, daß er todt sei. Sie glaubte vermuthlich, daß jeder Mensch in England das wissen müsse.
Nach einer jener peinlichen Pausen wurde das Gespräch auf den trockenen und widerwärtigen Gegenstand der menschlichen Anatomie gebracht, worauf die gute Mrs. Threadgall, wie gewöhnlich, ihres verstorbenen Mannes gedachte, ohne zu erwähnen, daß er todt sei. Sie bezeichnete die Anatomie als die Lieblings-Beschäftigung des Professors in seinen Mußestunden. Unglücklicherweise hörte Herr Candy, der über den verstorbenen Professor nichts wußte und unserer Dame gegenüber saß, diese Worte. Als der höflichste Mann auf der Welt ergriff er die Gelegenheit, sich auf der Stelle den anatomischen Unterhaltungen des Professors zuzugesellen »In dem Collegium der Wundärzte haben sie kürzlich einige wundervolle Skelette bekommen,« sagte Herr Candy mit lauter, munterer Stimme, »ich möchte dem Herrn Professor angelegentlichst empfehlen, verehrte Frau, sich in der ersten freien Stunde diese Skelette anzusehen.« Es entstand ein tiefes Schweigen. Die ganze Gesellschaft saß sprachlos da. Ich stand gerade hinter Mrs. Threadgall und schenkte ihr vertraulich ein Glas Rheinwein ein; sie senkte den Blick und sagte ganz leise: »Mein theurer Gatte ist nicht mehr!« Der unglückliche Herr Candy, der nichts gehört und keine Ahnung von dem wirklichen Sachverhalt hatte, fuhr lauter und höflicher als zuvor über Tisch fort: »Der Herr Professor weiß vielleicht nicht, daß er vermöge einer Mitgliedskarte an jedem Tage, außer Sonntags, in den Stunden von Zehn bis Vier in’s Colleg gelangen kann.« Mrs Treadgall ließ ihr Haupt aus die Brust sinken und wiederholte mit noch leiserer Stimme die Worte: »Mein theurer Gatte ist nicht mehr!« Ich winkte Herrn Candy über den Tisch, Fräulein Rachel stieß ihn an, Mylady warf ihm vielsagende Blicke zu. Alles vergebens. Mit einer unbefangenen Heiterkeit, die auf keine Weise zu hemmen war, fuhr er fort: »Ich werde dem Herrn Professor mit dem größten Vergnügen meine Karte schicken, wenn »Sie die Güte haben wollen, mir seine jetzige Advesse anzugeben.«
»Seine jetzige Adresse, Herr Candy, ist das Grab,« erwiederte Mrs. Threadgall, die nun plötzlich ihre Fassung völlig verlor und diese Worte so heftig und emphatisch ausrief, daß die Gläser davon erklangen. »Der Professor ist seit zehn Jahren todt!«
»Mein Gott!« rief Herr Candy erschrocken.
Mit Ausnahme der »Dragoner«, die in ein Lachen ausbrachen, befiel die ganze Gesellschaft ein stummer Schrecken. Die übrigen Gäste waren in ihrer Unterhaltung kaum minder verletzend als der Doktor. Wo sie hätten sprechen sollen, schwiegen sie, und wenn sie sprachen, so sagten sie etwas Ungeschicktes. Herr Godfrey, der bei öffentlichen Gelegenheiten eine so große Beredtsamkeit zu entfalten pflegte, schien durchaus abgeneigt, sich an einer allgemeineren Conversation zu betheiligen. Ob aus Verdruß oder aus Scham nach seiner Niederlage im Rosengarten, weiß ich nicht. Er verwandte seinen ganzen Unterhaltungsstoff auf die neben ihm sitzende Dame: sie gehörte zu seinen Comité-Damen und war eine kirchlich gesinnte Frau mit einer stattlichen Entfaltung des Busens und einer starken Liebhaberei für Champagner, den sie wohlverstanden ohne Schaum in reichlichem Maße genoß.«
Da ich auf meinen Posten am Büffet dicht hinter diesen Beiden stand, so kann ich nach dem, was ich von ihrer Unterhaltung hörte, versichern,