in Ordnung. Deshalb kann ich ja nicht schlafen.« Das Lächeln, das um Sebastians Mund spielte, schien ein glückliches zu sein.
»Das verstehe ich nicht«, gab Daniel offen zu. »Wollen Sie es mir erklären?«
»Das auch. Aber in erster Linie will ich mich bei Ihnen bedanken.« Die Augen des Sanitäters begannen zu strahlen. »Ich bin mir nicht sicher. Aber ich gehe mal davon aus, dass ich es Ihnen zu verdanken habe, dass Melina heute hier war.«
In diesem Moment fiel Dr. Norden ein Stein vom Herzen.
»Es ist wirklich schön, das zu hören«, erklärte er und machte keinen Hehl aus seiner Freude, dass das Ehepaar offenbar auf einem guten Weg war, wieder zusammenzufinden. »Aber Sie müssen mir nicht danken. Man kann keinen Menschen der Welt von etwas überzeugen, das er nicht in sich trägt. Insofern ist der Beitrag, den ich geleistet habe, nur ein ganz kleiner. Im Grunde genommen wollte Melina dieses Leben gar nicht führen. Sie hatte es nur für einen kurzen Moment vergessen.«
»Aber es ist Ihr Verdienst, dass sie sich gerade noch rechtzeitig daran erinnert hat, was ihr wirklich wichtig ist.« Sebastian schluckte heftig an dem Kloß, der ihm im Hals saß. »Dafür haben Sie was gut bei mir«, kehrte er schnell zu seinem Galgenhumor zurück, um der Situation die Rührseligkeit zu nehmen. »Wie wär’s mit einer hübschen Sankerfahrt?« Er hatte kaum ausgesprochen, als sein glückliches Gesicht noch strahlender wurde. »Ach, das hätte ich über all der Aufregung ja fast vergessen. Haben Sie schon gehört, dass ich wieder selbst fahren darf? Die Untersuchungskommission hat festgestellt, dass der Herr, den ich so erschreckt habe, ohnehin stark herzinfarktgefährdet war. Es ist also gar nicht meine Schuld gewesen. Auch wenn ich natürlich ein schlechtes Gewissen habe.«
Es war schon ein seltsames Ding mit Leid und Glück. Entweder alles ging schief. Oder alles fügte sich auf einmal in schönster Harmonie. So erging es auch Sebastian Keinath in dieser turbulenten Phase seines Lebens.
Mächtige Schleusen öffneten sich, und er redete sich all die Bitterkeit, den Frust und das Unbehagen von der Seele, das sich in den vergangenen, schweren Monaten in ihm aufgestaut hatte.
Obwohl er müde war und auch noch mit Jenny sprechen wollte, blieb Dr. Norden geduldig an seinem Bett sitzen. Er unterbrach Sebastian nicht, ließ ihn reden, weil er wusste, wie heilsam die Gelegenheit für den Sanitäter war, sein übervolles Herz auszuschütten.
Hinterher fühlte sich Sebastian Keinath so erleichtert und wohl wie lange nicht. Die Müdigkeit fiel wie ein samtschwarzes Tuch auf ihn und drückte sanft auf seine Augenlider.
»Ich glaube, ich kann jetzt schlafen«, murmelte er erschöpft.
»Dann sollten Sie das auch tun.« Leise erhob sich Daniel von seinem Stuhl und brachte ihn zurück an den Tisch. »Gute Nacht, Herr Keinath.« Er schlich sich am Bett vorbei und ging zur Tür.
»Herr Doktor …«
Daniel blieb stehen und drehte sich noch einmal um.
»Ja?«
»Sie sind ein großartiger Zuhörer. Und ein toller Arzt. Die Welt bräuchte mehr von Ihrer Sorte.«
Ein Glück, dass das Zimmer nur spärlich beleuchtet war. Denn dieses Kompliment ließ selbst Daniel Nordens Augen feucht schimmern, und er wischte sich kurz übers Gesicht, ehe er auf den Flur trat, um sich auf die Suche nach Jenny Behnisch zu machen, bevor er endlich, endlich nach Hause fahren wollte.
*
So strahlend guter Laune Wendy in letzter Zeit gewesen war, so still und in sich gekehrt war sie in den nächsten Tagen.
»Was ist denn mit Ihrer reizenden Assistentin los?«, erkundigte sich Helene Maschnick bei Dr. Norden, als sie zur Kontrolle ihrer Wunde in die Praxis kam. »Sie war doch immer so ein fröhliches Mädchen. Und jetzt mag das Vögelchen gar nicht mehr singen.«
Obwohl auch Daniel sich Sorgen um das rätselhafte Verhalten seiner Wendy machte, hätte er um ein Haar laut aufgelacht. Frau Maschnick bezeichnete alle Frauen, die auch nur zehn Jahre jünger waren als sie, als Mädchen. Wendy war für ihr Alter zwar immer noch attraktiv – und in letzter Zeit besonders –, trotzdem wäre Dr. Norden nicht auf die Idee gekommen, sie so zu nennen.
»Wir haben im Augenblick sehr viel zu tun«, schützte er seine treue Assistentin vor weiteren Spekulationen und konzentrierte sich auf die Verletzung von Frau Maschnick. »Das sieht sehr gut aus. Ich bin wirklich froh, dass Sie neulich zu mir gekommen sind.«
Das war Helene Maschnick auch. Freudig berichtete sie ihrem Arzt, dass sie, bestärkt durch seinen Rückhalt, ihrem Sohn die Leviten gelesen und gedroht hatte, ihn zu enterben.
»Helmut weiß gar nicht, dass es bei mir nicht viel zu holen gibt«, kicherte sie vergnügt.
So war das Verhältnis zu ihrem Sohn zwar nicht liebevoller geworden, aber zumindest kümmerte er sich angemessen um seine Mutter und redete ihr nicht mehr in ihr Leben hinein, machte ihr keine Vorschriften mehr.
So war wieder einmal ein Fall zu aller Zufriedenheit abgeschlossen, und Wendy verstaute eben die Patientenkarte im Ablageschrank, als sie spürte, dass sie angestarrt wurde. Sie wusste auch genau, von wem. Mit zitternden Fingern steckte sie die Karte zurück an ihren Platz und drehte sich dann langsam um.
Wie geahnt stand Edgar von Platen am Tresen und schenkte ihr sein strahlendstes Lächeln, mit dem er ihr jeden Wind aus den Segeln nahm.
»Anna-Maria!«, rief er überschwänglich und breitete die Arme aus. »Wie schön, Sie endlich wiederzusehen. Ohne Sie, Ihr süßes Lächeln, Ihre zärtliche Stimme, werden Stunden zu Tagen …«
Vor Entsetzen schoss Wendy das Blut in die Wangen.
»Sind Sie verrückt geworden?«, zischte sie und schickte einen panischen Blick ins glücklicherweise fast leere Wartezimmer. »Hören Sie sofort auf damit! Ich bin in der Arbeit.«
Sofort ließ Edgar die Arme sinken und sah sie schuldbewusst an.
»Verzeihung«, murmelte er eine Entschuldigung. »Ich wollte Sie nicht kompromittieren.«
Er wirkte so zerknirscht, dass Wendy schlagartig die Standpauke vergaß, die sie ihm hatte halten wollen. Sie trat an den Tresen und sah ihn forschend an. Er sah immer noch unverschämt gut aus mit seinen grauen Schläfen und den freundlichen Augen hinter der Brille.
»Wo haben Sie in den vergangenen Tagen gesteckt?«, fragte sie leise. »Ich dachte schon, Sie hätten sich aus dem Staub gemacht.« Mit meinem Geld!, fügte sie in Gedanken hinzu.
Entsetzt riss Edgar die Augen auf.
»Was? Sie halten mich für so einen Schurken?«
Jetzt musste Wendy doch schmunzeln.
»Na ja, nachdem ich festgestellt habe, dass in der Behnisch-Klinik kein Diebstahl bekannt geworden ist und Sie wie vom Erdboden verschluckt waren …«, begann sie zögernd, als Edgar sie empört unterbrach.
»… da dachten Sie, dass ich Sie nur ausgenutzt und mich aus dem Staub gemacht habe.«
»Na ja …« In Erwartung einer wütenden Schimpftirade hielt sie die Luft an.
Doch nichts dergleichen geschah. Sie riskierte einen vorsichtigen Blick und bemerkte das tiefe Mitgefühl, das auf einmal in Edgars Augen stand.
»Meine arme Anna-Maria! Wie grausam muss das Schicksal und vor allen Dingen die Männer Ihnen mitgespielt haben, dass Sie so misstrauisch sind«, bemerkte er mit weicher Stimme.
Fassungslos sah Wendy dabei zu, wie er sein Portemonnaie aus der Tasche zog und ihr das schuldige Geld Schein für Schein hinblätterte.
»Haben Sie wirklich gedacht, ich hätte das nötig? So eine lächerliche Summe?«
An dieser Stelle wünschte sich Wendy ein Loch, das sich im Erdboden auftun würde, damit sie darin verschwinden konnte.
»Ich …, es …, ich …«
Sie verstummte, als